LEITARTIKEL

Kinder ihrer Zeit

James Gorman bringt für seinen Job bei der US-Großbank Morgan Stanley nicht nur einen dem Anagramm sei Dank hervorragend geeigneten Nachnamen mit (Gorman/Morgan), sondern auch das notwendige Fingerspitzengefühl. Der Topbanker gibt sich für das...

Kinder ihrer Zeit

James Gorman bringt für seinen Job bei der US-Großbank Morgan Stanley nicht nur einen dem Anagramm sei Dank hervorragend geeigneten Nachnamen mit (Gorman/Morgan), sondern auch das notwendige Fingerspitzengefühl. Der Topbanker gibt sich für das vergangene Jahr mit einer etwas niedrigeren Vergütung zufrieden, obwohl Morgan Stanley unter seiner Ägide im vergangenen Jahr Rekordergebnisse verbucht hat. Auch wenn der Manager sich mit einem Jahresgehalt von 27 Mill. Dollar nur begrenzt als Beispiel für eine neue Bescheidenheit eignet, muss man doch konstatieren, dass die Richtung stimmt. Zweifelsohne hätte sich der eine oder andere Manager in seiner Situation einen größeren Schluck aus der Pulle genehmigen lassen. Gorman aber, der vor einem Jahr nach der Veröffentlichung von – übrigens ebenfalls sehr starken – Quartalszahlen ankündigte, 1 500 Stellen bei Morgan Stanley abzubauen, ist sich offenbar darüber im Klaren, dass für sein Haus wie auch für die anderen Wall-Street-Banken die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen werden.Dabei waren insbesondere die großen Universalbanken in den USA zuletzt überaus erfolgreich. Die sechs größten Institute, zu denen neben Morgan Stanley auch J.P. Morgan, Bank of America, Citigroup, Wells Fargo und Goldman Sachs gehören, fuhren zusammengenommen zum zweiten Mal in Folge einen Jahresgewinn von mehr als 100 Mrd. Dollar ein. Die Sonderfaktoren in Form von Rückstellungen für Rechtskosten herausgerechnet, die Goldman Sachs und Wells Fargo die Bilanz verhagelten, spiegelten die Zahlenwerke eindrucksvoll die seit fast einem Jahrzehnt andauernde Hochkonjunktur in den USA wider. Dass sich diese Erfolgsgeschichte nicht einfach in die Zukunft fortschreiben lässt, ist nicht nur Gorman klar. Auch die anderen Geldhäuser – allen voran J.P. Morgan mit ihren gigantischen IT-Investitionen – haben längst die Weichen gestellt, um im nächsten Abschwung mit deutlich weniger Mitarbeitern über die Runden zu kommen. Und aus heutiger Perspektive spricht wenig dafür, dass es sich dabei um temporäre Kürzungen handeln wird.Derzeit können die US-Banken aufgrund der guten wirtschaftlichen Situation und der für sie vorteilhaften Wettbewerbsstrukturen auf dem Heimatmarkt aus einem Ertragspool schöpfen, von dem die hiesigen Institute nur träumen. Sobald eine Abkühlung der US-Konjunktur die Kreditausfälle in die Höhe zu treiben beginnt, werden die US-Banken den Schalter umlegen und die Automatisierung einleiten, für die sie seit einiger Zeit die technischen Voraussetzungen schaffen.Man muss keine Prophetin sein, um vorherzusagen, dass dies den US-Banken besser gelingen wird als den hiesigen Instituten, denen schlicht die Mittel für die erforderlichen Digitalisierungsinvestitionen fehlen. Doch eine Wachstumsstory wird daraus auch für die US-Branche nicht. Vielmehr steht ein gigantischer Margen- und Preisverfall zu erwarten, der sich nicht wieder zurückdrehen lassen wird. Es gibt daher gute Gründe, den Gürtel schon heute enger zu schnallen. Sich neue Geschäftsfelder zu erschließen, mit denen sich die in Zukunft wegbrechenden Erträge ausgleichen lassen, wird für die Banken ungleich schwieriger.——Von Anna SleegersDie starken Quartalszahlen der US-Banken sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die goldenen Zeiten der Branche der Vergangenheit angehören.——