Kirch und die Haifische in der Medienbranche
Von Michael Flämig, MünchenSpringer frisst nicht ProSiebenSat.1 – keine Fusion also. Als die Nachrichtenagenturen diese Meldung am gestrigen Mittwochnachmittag verbreiteten, war sie eine Neuigkeit. Einerseits. Andererseits aber ist das Scheitern dieses Zusammenschlusses ein alter Hut. Nicht nur Anfang 2006 zerschellte das Projekt am Veto des Bundeskartellamts, sondern schon am 20. April 2001 diskutierte Friede Springer über eine Fusion. Sie entschied sich dagegen. Der Grund: Der Zusammenschluss hätte zu einem übergroßen Gewicht des damaligen TV-Eigentümers Leo Kirch bei Springer geführt.Woher man dies weiß? Die naheliegende Antwort ist: irgendwie aus der Wirtschaftsgeschichte. Doch tatsächlich stammt die Erkenntnis in dieser Form aus dem Saal B 273 des Münchner Strafjustizzentrums. Dort nämlich ist einmal wöchentlich das Schauspiel zu beobachten, dass Top-Anwälte sich einem historischen Thema widmen.Natürlich handelt es sich dabei nicht um eine Fingerübung, dafür wären die Gehälter des juristischen Sachverstands in doppelter Fußballmannschaftsstärke wahrlich zu hoch. Vielmehr geht es in dem dortigen Prozess gegen fünf meist ehemalige Deutsche-Bank-Manager um einen Betrugsverdacht. Auf dem Seziertisch liegt deswegen die Insolvenz der Kirch-Gruppe im Jahr 2002 samt ihren Begleitumständen. Es ist ein wirtschaftshistorisches Thema par excellence, schließlich muss sich die damalige Diskussion bezüglich der Dezibel-Werte nicht hinter der Griechenland-Debatte der vergangenen Wochen verstecken.Wie kommt Springer ins Spiel? Durch die Zeugenaussage von Dieter Hahn. Der damalige Vize von Leo Kirch hatte am Dienstag dieser Woche geschildert, wie Kirch in den Jahren 2001 und 2002 die Liquiditätsnöte bekämpfen wollte. Unter anderem war eine Fusion auch seiner TV-Sender mit Springer angedacht. Die Gespräche führten niemals zu einem vertieften Stadium, wusste Hahn zu berichten – ein Satz, der ebenfalls auf den neuerlichen Quasi-Anlauf im Jahr 2015 gemünzt sein könnte. Kirch auf dem TrockenenDamit nicht genug. Der inhaltlich bestens strukturierte Hahn brachte einen Koffer voller Details über die Kirch-Insolvenz mit – teils bekannt, teils mit Neuigkeitswert. Der rote Faden: Wie sicherte der Medienkonzern die notwendigen Finanzmittel? Denn Liquidität sei Zeit seines Lebens bei Kirch die oberste Priorität gewesen, wusste Hahn zu berichten.Ausgangspunkt der unheilvollen Entwicklung aus seiner Sicht: das Platzen der Internetblase. Die Assetwerte seien in der Wahrnehmung der Kapitalmärkte nicht mehr die gleichen gewesen, sagte Hahn. Zudem habe das Bezahlfernsehen die Kirch-Gruppe mehr Geld als gedacht gekostet. Für die Digitalisierung des Pay-TV sei man Ende der neunziger Jahre erhebliche Verpflichtungen eingegangen. Als das Kartellamt den Verkauf der Kirch-Firma Beta Research an die Telekom untersagte, sei der Mittelzufluss ausgeblieben. Zudem sei der Werbemarkt 2001 schlecht gewesen. Die Schlussfolgerung von Hahn: “Es war klar, wir hatten erheblichen Kapitalbedarf.”Die Lösung: Der Börsengang von Kirch Media, letztlich in der kapitalmarktunfreundlichen Zwangsvariante der Fusion auf die börsennotierte ProSiebenSat.1. Dies sei für Mai 2002 unter dem Projektnamen “Concordia” geplant gewesen, berichtete Hahn. Zwei Kapitalerhöhungen Mitte 2002 und Mitte 2003 hätten dann 1,5 Mrd. Euro einspielen sollen. Die Mehrheit von Leo Kirch wäre auf 30 % oder 35 % verwässert worden. “Das war sicherlich nicht seine Wunschvorstellung im Jahr 2000”, sagte Hahn. Leo Kirch habe es aber später akzeptiert. In den Vorstand habe er nicht einziehen wollen. Er, Hahn, wäre Vorstandsvorsitzender geworden. Mitte Februar 2002 sei der Börsengang ausgesetzt und am 20. März abgesagt worden. Dann habe es Versuche gegeben, ProSiebenSat.1 an Disney zu verkaufen.Zwei zusätzliche Umstrukturierungen seien geplant gewesen, so Hahn. Erstens habe Kirch eine Rekapitalisierung der Formel-1-Beteiligung angestrebt, um die Cash-flows – die bisher in die Rückzahlung eines Bonds geflossen seien – für den Eigentümer frei zu machen. Zweitens sollten Beteiligungen wie am TV-Sender Telecinco verkauft werden.Alternativ hat es Hahn zufolge in der zweiten Hälfte 2001 die Option gegeben, Kirch Media und ProSiebenSat.1 zu fusionieren. Die Logik: Inhalt und Verbreitung aus einer Hand. Der Kapitalbedarf dafür habe bei rund 2 Mrd. DM gelegen. Daher hätte man einen großen strategischen Partner gebraucht. Der Medienunternehmer Rupert Murdoch als natürliche Wahl habe Appetit gehabt. Am 15. Januar 2002 habe es ein konkretes Gespräch in London gegeben. Doch für Murdoch gelte: “Wenn der Haifisch frisst, frisst er alles.” Er habe 51 % verlangt und damit inhaltlich zu 99 % bestimmen wollen. Hahn machte klar, dass Leo Kirch einen Mehrheitsverkauf ins Ausland nicht akzeptiert habe. Er selbst hätte den Verkauf dagegen für richtig gehalten.Es habe auch Gespräche mit der Deutschen Telekom und letztlich eine Absichtserklärung gegeben. Jedoch hätte sich die Telekom zuvor aus kartellrechtlichen Gründen von ihrem Kabelnetz trennen müssen, sagte Hahn. Dies sei nicht gelungen.”Und was wäre aus der Sicht des Jahres 2001 passiert, wenn die Projekte scheiterten?”, so jetzt eine der Fragen vor Gericht. “Aus meiner Sicht wären wir gefressen worden”, so die Antwort von Hahn – von Murdoch oder dem Italiener Silvio Berlusconi. Eine Insolvenz habe er nicht kommen sehen. Dies sei das absurdeste Szenario gewesen. Erst das Interview des damaligen Deutsche-Bank-Chefs Rolf Breuer am 3. Februar 2002 sei die “Wasserscheide” gewesen, habe Kirch also die Kontrolle über den Prozess verlieren lassen. Wenige Tage vor dem Insolvenzantrag am 8. April 2002 seien Gespräche mit Banken über einen Kreditrahmen von 800 Mill. Euro an fehlenden 50 Mill. Euro und widersprüchlichen Ansprüchen von Gesellschaftern und Banken gescheitert. WAZ in der LinkskurveEine besondere Rolle bei den Rettungsversuchen hat Hahn zufolge der damalige HVB-Vorstandsvorsitzende Albrecht Schmidt gespielt. Bereits vor dem Breuer-Interview habe man Gespräche geführt über die Springer-Beteiligung. Im Jahr 2001 seien 1,6 Mrd. Euro als Preis aufgerufen gewesen, doch Leo Kirch habe nicht verkaufen wollen – auch nicht an WAZ-Geschäftsführer Erich Schumann, der ihm zu SPD-nah gewesen sei. Anfang 2002 seien von der HVB 1,3 Mrd. Euro und nach einem Vorstandsbeschluss zum Ankauf 1,1 Mrd. Euro geboten worden. In den Turbulenzen habe sich dies zerschlagen.Mit Schmidt habe er auch erstmals den Schaden für einen Vergleich mit der Deutschen Bank ermittelt, sagte Hahn. Man sei auf eine Größenordnung von 800 Mill. bis 1 Mrd. Euro gekommen.