FESE-CONVENTION 2014 - IM INTERVIEW: PETER GOMBER, UNIVERSITÄT FRANKFURT

"Klar sind große Investoren sauer"

Hochfrequenzhandel stiftet Liquidität - Marktinfrastruktur ist stabil - Transaktionskosten sind rückläufig

"Klar sind große Investoren sauer"

– Herr Gomber, der Ärger über den Hochfrequenzhandel wächst. Ist das schnelle Geschäft ein Problem?Die akademische Literatur steht dem Hochfrequenzhandel recht positiv gegenüber. Es gibt diverse Studien, in denen Analysen durchgeführt wurden. Das ist immer wieder ein riesiges Datenproblem, weil oft kleine Zeiträume untersucht werden und häufig die Identifikation der jeweiligen Händler und Strategien in den Daten fehlt. Die Untersuchungen zeigen mehrheitlich, dass der Hochfrequenzhandel in normalen Marktphasen für die Liquidität und Markteffizienz positiv ist und zu einer Reduktion von Volatilität beiträgt.- Und bei Marktstress?In Phasen von extremem Marktstress wie dem Flash Crash in den USA wirkt der Hochfrequenzhandel tendenziell verstärkend, weil die Positionen noch schneller gedreht werden. Trotzdem ist die akademische Welt viel entspannter als die aktuelle Diskussion im regulatorischen, politischen und medialen Umfeld.- Schaffen Hochfrequenzhändler wirklich Liquidität?Wenn Hochfrequenzhändler die Strategie fahren, die teure Intermediation durch Market Maker elektronisch zu ersetzen, schaffen sie Liquidität. Und das ist eine sehr wesentliche Strategie. Sie verdienen den Spread und hedgen sich möglichst schnell. In diesem Geschäft ist Geschwindigkeit ganz wesentlich ein Werkzeug zum Risikomanagement. Denn wenn ich schnell bin, kann ich mich auch schnell absichern, wenn ich auf der falschen Seite eine Position aufgebaut habe.- Was ist mit Strategien, die davon leben, dass sie Informationen vor anderen Marktteilnehmern bekommen?Das ist nur dann ein Problem, wenn Datenanbieter einen ungleichen Zugriff auf die Daten erlauben. Denn dann haben die einen die Möglichkeit, die Daten schneller zu bekommen, und die anderen eben nicht. Es ist wichtig, dass jedem die gleichen Daten zu gleichen Konditionen angeboten werden, was aber nicht bedeutet, dass jeder alle Daten kostenlos und in Echtzeit bekommen kann. Das ist wie im richtigen Leben: Wer einen schnelleren Internetzugang haben will, muss eben mehr zahlen. Wenn manche Marktteilnehmer versuchen, über Investitionen in Technologie Vorteile zu generieren, indem sie beispielsweise Nachrichten elektronisch auslesen und interpretieren, ist das einfach Innovation.- Trotzdem scheinen viele Investoren das Gefühl zu haben, an der Börse regelmäßig über den Tisch gezogen zu werden.Die institutionellen Investoren haben ein großes grundsätzliches Problem und das ist unabhängig vom Hochfrequenzhandel. Sie haben Ordergrößen, die im Verhältnis zum Angebot auf den öffentlichen und transparenten Marktplätzen zu groß sind. Also versuchen die Großanleger mit allen Möglichkeiten, Markteinfluss zu vermeiden. Das geht, indem Order aufgesplittet oder in Dark Pools gegeben werden.- Und andere Marktteilnehmer wollen das aufdecken.Klar sind große Investoren sauer, wenn sie Käufer in einem Wertpapier sind und der Markt steigt und steigt und steigt, obwohl der Kurs bei der Erteilung der ersten Teilorders noch viel niedriger war.- Das Problem der Geschwindigkeit im Börsenhandel gab es doch schon immer.Genau. Früher hatten wir den Parketthandel und dann kam der elektronische Handel. Damals haben wir über Sekunden gesprochen, jetzt sprechen wir beim Hochfrequenzhandel über Millisekunden und Mikrosekunden. Das ist einfach technischer Fortschritt. Diese Entwicklung haben wir aber seit Jahren und die ganze Zeit schon hätten wir über Geschwindigkeiten diskutieren können.- Was halten Sie von den Manipulationsvorwürfen, wie sie beispielsweise Autor Michael Lewis vorbringt?Strategien, mit denen Hochfrequenzhändler zum Beispiel versuchen, durch Scheinorders auf der jeweils anderen Marktseite andere anzulocken, um dann auf ihrer Marktseite eine möglichst gute Ausführung zu bekommen oder Börsensysteme mit Orders zu überladen, um für andere die Geschwindigkeit zu verlangsamen, sind natürlich klar zu missbilligen. Trotzdem sind viele der Vorwürfe von Lewis überzogen. Er behauptet auch immer wieder, die Gewinne der Hochfrequenzhändler wären die Verluste der Investoren. Dies ist falsch: Durch den Hochfrequenzhandel gewinnt die Marktliquidität und damit die Investoren – das lässt sich empirisch zeigen. Verlierer sind die Market Maker und Banken, die vorher in einem weniger liquiden Markt bestens verdient haben.- Verursacht der Hochfrequenzhandel Börsenpannen?Die Marktstruktur ist extrem komplex geworden – vor allem in den USA. Wir haben eine Welt mit hoher Fragmentierung. Die Marktteilnehmer haben viele Börsen, multilaterale Handelsplattformen und Dark Pools. Das führt dazu, dass Computerprogramme oft implementiert werden, ohne dass vorher ausführlich getestet wird.- Wie bei Knight Capital.Ja, die haben auf einem neuen Handelssystem der New York Stock Exchange einen neuen Algorithmus implementiert, und der hat Unmengen ungewollter Orders in den Markt geschickt – mit hohen Verlusten für Knight. Das hat letztlich zur Übernahme durch Getco geführt. Die Marktstruktur ist technisch komplexer geworden, sie ist aber auch durch Regulierung komplexer geworden. Das ist vor allem in den USA ein Riesenproblem. In Europa wird eine Order an dem Marktplatz ausgeführt, an den sie geroutet wurde. In den USA hingegen muss sie zu dem Platz mit dem besten Preis weitergeleitet werden. Dort überlegt man aktuell, diese zu komplexen Strukturen zurückzudrehen.- Sind die Marktplätze stabil?Die Verfügbarkeit der Systeme liegt nahe 100 %. Wir haben aber das Problem nicht sauber getesteter Algorithmen und in den USA fehlte bisher ein sauberes Konzept für Volatilitätsunterbrechungen. Der Flash Crash im Mai 2010 ist passiert, weil die Parameter damals ein Aussetzen erst vorsahen, wenn der Gesamtmarkt mehr als 10 % fällt. An dem Tag waren es im 9,6 % im Dow Jones – allerdings hatten Einzelwerte extreme Preissprünge in beide Richtungen.- In Europa haben wir seit Einführung der elektronischen Handelssysteme, also seit fast 20 Jahren, aktienspezifische Volatilitätsunterbrechungen mit relativ engen Parametern.Wenn eine einzelne Aktie zum Beispiel um mehr als 1,5 oder 2 % schwankt, greifen die Parameter schon und unterbrechen den kontinuierlichen Handel in der jeweiligen Aktie für wenige Minuten. Das signalisiert allen Marktteilnehmern: Achtung, hier ist irgendwas seltsam und jeder kann reagieren und seine Orders überprüfen. Die Unterbrechungen sind damals schon sehr intelligent gebaut worden.—-Das Interview führte Grit Beecken.