Klimabezogene Finanzberichterstattung darf kein Selbstzweck sein

Die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells muss im Mittelpunkt stehen

Klimabezogene Finanzberichterstattung darf kein Selbstzweck sein

Dr. Matthias SchmidtStB, Fachreferent beim Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. und Country Lead: Germany beim International Integrated Reporting CouncilDer britische Notenbankchef Mark Carney warnte bereits vor einer Treibhausgasblase, die gravierendere Auswirkungen haben könnte als die immer noch nicht überwundene Finanz- und Wirtschaftskrise: Wenn das auf dem Pariser Klimagipfel 2015 beschlossene Zwei-Grad-Ziel erreicht werden soll und hierfür eine weitgehende Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis spätestens 2050 erforderlich ist, dann sind treibhausgasintensive Vermögenswerte und Geschäftsmodelle langfristig nicht zukunftsfähig. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass der Financial Stability Board (FSB) der G20-Staaten eine Task Force eingerichtet hat, die sich mit klimabezogener Finanzberichterstattung befasst. Der International Integrated Reporting Council (IIRC) hat mit seinem International Integrated Reporting Framework ein Rahmenkonzept vorgelegt, an dem sich Unternehmen, Investoren und weitere Stakeholder bei der Frage nach der Ausgestaltung einer klimabezogenen Finanzberichterstattung orientieren sollten. Im Zentrum von Integrated Reporting steht die Analyse der unternehmensexternen Rahmenbedingungen der Geschäftstätigkeit und der damit verbundenen Chancen und Risiken sowie die unternehmensinterne Analyse der Stärken und Schwächen – diese bilden die Grundlage der strategischen Ausrichtung von Unternehmen. Integrated Reporting ist im Kern Chancen- und Risikomanagement – also die Identifikation, Analyse, Bewertung, Steuerung und Dokumentation aller wesentlichen Erfolgstreiber. Die interne und externe Kommunikation ist nur das sichtbare Ergebnis dieses Prozesses.Unternehmen sind abhängig von Ressourcen – finanziellen und nichtfinanziellen, materiellen und immateriellen. Sie sind ein Teil der Gesellschaft, und ihr finanzieller Erfolg hängt zunehmend von immateriellen Gütern ab, die in Jahresabschlüssen weitgehend nicht enthalten sind, zum Beispiel Ansehen, Vertrauen und Synergien. Die Bezeichnung dieser Werttreiber als “nichtfinanziell” führt dazu, dass diese häufig als “ohne Bezug zur wirtschaftlichen Lage” missverstanden werden. Tatsächlich ist die Berücksichtigung aller wesentlichen Erfolgstreiber und die Anpassung des Geschäftsmodells an sich ändernde Rahmenbedingungen sehr relevant für die künftige Entwicklung der Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage, also der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens.Klimabezogene Finanzberichterstattung darf kein Selbstzweck sein, sondern muss sich am Geschäftsmodell des Unternehmens und den damit verbundenen Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung orientieren. Die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells muss im Mittelpunkt stehen. Hierdurch erhalten Investoren ein umfänglicheres Bild der Erfolgsfaktoren, dies erlaubt Rückschlüsse auf die mittel- bis langfristige Entwicklung. So können Anlageentscheidungen und -horizonte den gesellschaftlichen Erwartungen an Kapitalmärkte angeglichen werden. Die Nutzbarkeit klimabezogener Finanzberichterstattung für die Investoren ergibt sich jedoch erst aus der Integration von nichtfinanziellen und finanziellen Informationen – die Verknüpfung klimabezogener Angaben mit der wirtschaftlichen Lage ist ein zentrales Erfordernis! Ferner geht es nicht darum, anzugeben, ob oder wie ein Unternehmen konkret zum Klimawandel beiträgt, sondern darum, welche Risiken sich aus dem Klimawandel für das Unternehmen ergeben können, insbesondere durch verschärfte Regulierung, aber zum Beispiel auch durch Bedrohung von Produktionsstandorten durch steigende Meeresspiegel oder Desertifikation.Die Erstellung des Berichts ist aber nur ein sichtbares Ergebnis der Unternehmensführung. Viel wichtiger ist die Erfassung wertrelevanter Faktoren – zum Beispiel mit Klimabezug – in der internen Steuerung, vor allem im Chancen- und Risikomanagement. Hierdurch werden Entscheidungsfindungsprozesse gestärkt und der langfristige, nachhaltige Unternehmenswert gesteigert, wenn das Unternehmen auf Risiken aus regulatorischen Eingriffen oder Preisrisiken infolge von Ressourcenknappheit vorbereitet ist. Insofern ist eine Fortentwicklung eines rein operativen Risikomanagements hin zu einem auch strategisch ausgerichteten Chancen- und Risikomanagement angezeigt. Hierdurch wird sichergestellt, dass sich das Unternehmen an ändernde Rahmenbedingungen anpassen kann – Vorteile ergeben sich, wenn ein Unternehmen hier seinen Wettbewerbern voraus ist. Nicht zuletzt wird die Einbeziehung klimabezogener Informationen in unternehmerische Entscheidungen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unternehmen erhöhen und deren Reputation verbessern – beides sind zentrale Vermögenswerte für Unternehmen und zwar nicht nur am Kapitalmarkt, sondern auch am Personal- und Absatzmarkt.Wie sollte eine klimabezogene Finanzberichterstattung aussehen? Natürlich sollten die Angaben auf das Wesentliche beschränkt sein. Doch das Wesentliche liegt im Auge des Betrachters und ergibt sich aus dem Berichtszweck, den Berichtsanforderungen und den Berichtsadressaten. Zweck der Finanzberichterstattung ist die Vermittlung entscheidungsrelevanter Informationen über die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens. Es sollten klimabezogene Sachverhalte berichtet werden, die die wirtschaftliche Lage des Unternehmens wesentlich beeinflussen können – nicht nur direkt, sondern auch indirekt, zum Beispiel durch Reputationsschäden.Bislang ist nicht bekannt, ob die Task Force eigene, detaillierte Anforderungen an die Berichtsinhalte formulieren wird oder eher allgemeine Grundsätze. Berichtsadressaten sind auf vergleichbare und verlässliche Informationen angewiesen. Daher müssen die Anforderungen hinreichend konkret sein, sodass gleiche Sachverhalte gleich berichtet werden und auch nachprüfbar sind. Auf der anderen Seite müssen die Anforderungen derart allgemein sein, dass sie nur zu wesentlichen Angaben führen, nicht zum Abarbeiten einer Checkliste. Berichtsadressaten der Finanzberichterstattung sind insbesondere Investoren, aber auch jeder andere Stakeholder, der sich für die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens interessiert, also auch Lieferanten, Mitarbeiter oder Kunden. Insbesondere langfristig orientierte Investoren können von einer klimabezogenen Finanzberichterstattung profitieren. Die Initiative des FSB sollte nicht bei klimabezogenen Finanzinformationen aufhören. Auch weitere nichtfinanzielle Erfolgsfaktoren sollten betrachtet werden – so geht das Integrated Reporting Framework von sechs Kapitalien aus: Neben Naturkapital werden außerdem Finanz-, Produktions- und Humankapital betrachtet sowie geistiges Kapital und Netzwerkkapital. Ferner sollte nicht nur die Aufstellung besserer Berichte das Ziel sein, sondern die Förderung einer besseren Unternehmensführung im Sinne einer zeitgemäßen Corporate Governance. Beispielsweise sind die G20/OECD Principles of Corporate Governance mit Blick auf das Verhältnis eines Unternehmens zu seinen Stakeholdern noch recht dünn. Stakeholder werden insofern hervorgehoben, als sie als Mitarbeiter oder Kunden wertvolle Beiträge für das Unternehmen leisten können. Es wird aber nicht berücksichtigt, dass sich die Geschäftstätigkeit des Unternehmens bedeutsam auf die Stakeholder auswirken kann und dass der langfristige Erfolg eines Unternehmens davon abhängt, wie gut es ihm gelingt, den Erwartungen seiner Stakeholder zu entsprechen. Schließlich sollte die Diskussion über klimabezogene Finanzberichterstattung vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen geführt werden: Eine Diskussion darüber, was Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert ist, ist überfällig: Die Rahmenbedingungen haben sich durch Klimawandel und Ressourcenknappheit, aber auch durch Globalisierung, demografischen Wandel, Digitalisierung und Grenzen des Wachstums gravierend geändert – die Wirtschaftsordnung ist daran anzupassen. Hier ist auch zu hinterfragen, welchen Beitrag Unternehmen vor diesem Hintergrund erbringen müssen.