Klimasündern zu mehr Nachhaltigkeit verhelfen
Kein Geld für Klimasünder! Die Divestment-Community hat mit ihrer Forderung nach dem Ausstieg aus Anlagen in Kohle & Co. in den letzten Jahren lautstark auf sich aufmerksam gemacht. Für einen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit sollten verantwortungsbewusste Anleger aber besser auf den Dialog mit Unternehmen und eine aktive Abstimmungspolitik setzen.Seit der Klimakonferenz in Paris hat die Divestment-Bewegung schnell an Fahrt gewonnen. Kein Geld für fossile Rohstoffunternehmen – so das Credo von Aktivisten und einer wachsenden Zahl von Investoren. Was auf den ersten Blick konsequent erscheint, ist jedoch nicht zwingend die beste Lösung. Gerade in der aktuellen Übergangsphase hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft bringt ein Schwarz-Weiß-Denken nicht den gewünschten Erfolg. Verkaufen Anleger nämlich ihre Aktien von Klimasündern, haben sie keine Einflussmöglichkeit mehr auf die Unternehmen, ihre Nachhaltigkeitsbilanz zu verbessern. Diese Haltung vertreten nicht nur wir als Vermögensverwalter, sondern auch viele institutionelle Investoren, die in Deutschland dominierende Gruppe nachhaltiger Anleger. Bei einem Marktanteil nachhaltiger Fonds und Mandate von 4,5 % entfallen derzeit 93 % auf institutionelle Investoren.Einen höheren Nutzen können große aktive Vermögensverwalter mit einer breit gefächerten Nachhaltigkeitsstrategie erreichen. Diese basiert bei Fidelity auf den Elementen ESG-Integration, Engagement und Kooperation. Anstatt die Nachhaltigkeitsbewertungen einem externen ESG-Research oder einem Sustainable-Investing-Team zu überlassen, hat Fidelity ein eigenes ESG-Rating entwickelt. Das heißt, dass das gesamte Research-Team ESG-Kriterien von Emittenten abklopft. ESG rückt damit ins Herz des Investmentprozesses. Sind die ESG-Themen komplex, können die Analysten zusätzlich auf Spezialisten-Teams zugreifen. Die Themenbereiche sind dabei äußerst vielfältig und abhängig von Branchen und Regionen, in denen die Unternehmen tätig sind. Bei vielen der anstehenden Herausforderungen handelt es sich um wahre Herkulesaufgaben, bei denen Widerstände zu überwinden und Strukturen schrittweise anzupassen sind. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Investoren Umwelt- und Sozialstandards sowie Aspekte einer guten Unternehmensführung – auch im Interesse besserer Renditechancen – frühzeitig in die Anlageentscheidung einbeziehen und stetig weiterentwickeln müssen.Bei nachhaltigen Investments sollte man den Blickwinkel nicht nur auf den Status quo richten, sondern auch in Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeitsbilanz erkennbar verbessern. Meist ist es hinsichtlich der Wirkung für Umwelt und Gesellschaft sinnvoller, zukunftsgerichtet zu agieren und auch ESG-Nachzügler oder Firmen aus schwierigen Branchen zu berücksichtigen. In der Transitionsphase zu einer klimaneutralen Wirtschaft, in der wir uns derzeit befinden, sind wir noch eine Zeit lang auf fossile Rohstoffe angewiesen. Klimasünder sind also nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung. So haben europäische Unternehmen laut CPD-Daten 2019 mehr als 124 Mrd. Euro in klimaschonende Technologien investiert. Außerdem verfügen gerade traditionelle Energiekonzerne über das erforderliche Know-how und die Ressourcen, die Energiewenden voranzutreiben. Wenn diese Unternehmen nachhaltiger arbeiten, lässt sich ein großes Verbesserungspotenzial nutzen. Den Wandel aktiv gestaltenAls großer und international aktiver Vermögensverwalter ist es unser Ziel, Unternehmen bei ihrem Transformationsprozess aktiv zu begleiten. Konkret können wir einen Beitrag zur stärkeren Berücksichtigung von ESG-Aspekten in Unternehmen leisten, indem wir Einfluss auf Unternehmenslenker nehmen. Dabei nutzen wir unsere Position als wichtiger Aktionär bei Abstimmungen und fordern einen Platz am Tisch ein, wenn es um Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken und mögliche Maßnahmen von Unternehmen geht. Fidelity nahm beispielsweise im vergangenen Jahr an 4 200 Hauptversammlungen teil, wobei vor allem Fragen rund um den Umgang mit Klimarisiken und die Managervergütung im Fokus standen.Noch wichtiger ist für uns, den Dialog zu ESG-Aspekten außerhalb der Hauptversammlung zu führen. Dies gibt Unternehmen die Möglichkeit, sich an den Best Practices der Branche zu messen und Verbesserungen zu initiieren. Außerdem können wir als Aktionär die Erkenntnisse nutzen, um Anlagechancen zu erkennen und Risiken zu meiden. Unser ESG-Team steht im Dialog mit annähernd 800 Unternehmen weltweit, das globale Investment-Team mit 15 000 Unternehmen; Nachhaltigkeit war auch hier fast immer ein Thema. 2019 ging es darüber hinaus um den Wandel hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft, eine nachhaltige Abfall- und Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Lieferketten, Palmöl und um einen stärkeren Fokus auf Zahlen und Fakten.Die ESG-Integration ins Research ist eine der effektivsten Lösungen, um Geschäftsmodelle zu verstehen und Unternehmen so zu mehr Nachhaltigkeit zu bewegen. Bei Fidelity haben wir ESG daher inzwischen vollständig in unser klassisches Research integriert. Das bedeutet, dass ESG-Themen nicht nur in ESG-Fachabteilungen oder auf der Basis von externem Research, sondern von unseren Analysten standardmäßig behandelt werden. Eines der größten Analysten-Teams in der Branche erlaubt es uns, ESG-Themen bei Unternehmenslenkern auf Augenhöhe anzusprechen.Ein von einigen Akteuren gefordertes Divestment oder der vollständige Ausschluss von Titeln aus ESG-Gründen ist für uns in extremen Fällen möglich, um Unternehmen zu sanktionieren. Verbreitet ist dies bei Zuwiderhandlungen gegen internationale Verträge und Konventionen wie die UN-Menschenrechtscharta oder den UN Global Compact für verantwortungsvolle Unternehmensführung. Allerdings gibt es auch wichtige Argumente, die gegen ein Divestment sprechen – vor allem die Tatsache, dass es eine einmalige Maßnahme ist. Hat man die Aktien verkauft, gibt man seine Einflussmöglichkeit vollständig auf. Für uns ist ein Ausstieg aus Unternehmen und Branchen daher bestenfalls eine Ultima Ratio.Ebenfalls kontrovers diskutiert werden Anlagen in Schwellenländern. Auch wenn ESG-Standards in vielen Bereichen noch nicht mit denen weiter entwickelter Regionen vergleichbar sind, gilt auch hier: Steter Tropfen höhlt den Stein. Grundsätzlich sollten wir auch in Regionen mit schwächeren Regularien im Dialog mit den Unternehmen und anderen Stakeholdern bleiben. In vielen asiatischen Schwellenländern – vor allem in China – hat bereits vor einigen Jahren ein Umdenken und ein enormer Aufholprozess begonnen. Noch 2011 hat KPMG zufolge nur knapp jedes zweite asiatische börsengelistete Unternehmen ESG-Themen in die Berichterstattung integriert. 2017 waren es bereits 78 % – ein Wert, der durchaus mit Industrienationen vergleichbar ist. Jahr der ZeitenwendeEs zeichnet sich ab, dass 2020 eine Zeitenwende für ESG wird. Dies belegt auch eine aktuelle Umfrage von Fidelity International. Jährlich befragen wir unsere rund 200 Analysten dazu, was die von ihnen abgedeckten Unternehmen in den kommenden zwölf Monaten erwarten und wie das Management das Unternehmen positionieren will. Im Fokus standen dabei branchenübergreifend der Klimawandel und die Reduktion des CO2-Fußabdrucks, das Abfallmanagement sowie die Themenfelder Gesundheit und Sicherheit, Datenschutz und Managergehälter. 90 % der Analysten berichteten, dass sich einige oder alle der von ihnen abgedeckten Unternehmen stärker auf Nachhaltigkeit konzentrieren wollen. Während die Bedeutung von ESG in Europa bereits seit einiger Zeit wächst, steht das Thema nun auch in Regionen wie Asien und insbesondere in China ganz oben auf der Agenda.Nachhaltiges Wirtschaften und vor allem der Klimaschutz beschäftigen nicht nur Unternehmen und Vermögensverwalter. Die Themen stellen auch die Politik vor die Herausforderung, die Weichen für eine kohlenstoffarme Wirtschaft entschlossen zu stellen. Ordnungspolitisch zentral ist dabei, die soziale Marktwirtschaft zu stärken und mit Blick auf die Klimaziele weiterzuentwickeln. Die soziale Marktwirtschaft ist die Wirtschaftsordnung, die die notwendigen Innovationen zu vergleichsweise geringen volkswirtschaftlichen Kosten effektiv befördert. Es gilt, das Gleichgewicht zwischen der sozialen und der marktwirtschaftlichen Komponente wiederherzustellen. Dazu müssen wir die marktwirtschaftlichen Prinzipien fördern und die regulierenden sozialen Prinzipien um einen Nachhaltigkeitsfaktor erweitern. Dazu zählt beispielsweise ein funktionierender Emissionsrechtehandel mit höheren Preisen für CO2-Emissionen. Die soziale Marktwirtschaft ist das ideale Wirtschaftssystem, das genau dieses Gleichgewicht wiederherstellen kann. Alexander Leisten, Leiter des Deutschlandgeschäfts von Fidelity International