Klimawandel als Investmentchance verstehen

Real- und Finanzwirtschaft wie auch Politik müssen gemeinsam die Möglichkeiten erarbeiten - Vermögensmanager sollten sich aktiv einbringen

Klimawandel als Investmentchance verstehen

Es hat lange gedauert, bis sich die Welt bereiterklärte, die Folgen der selbstverschuldeten Klimakrise anzuerkennen und koordiniert Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die erste Weltklimakonferenz unter dem Dach der Vereinten Nationen fand bereits 1979 in Genf statt. In schöner Regelmäßigkeit folgten weitere internationale Treffen; seit 1995 etwa die jährlich stattfindenden COP-Weltklimakonferenzen. Allzu oft jedoch blieben diese Zusammenkünfte ohne konkrete Folgen.Im Dezember 2015 wurde in der französischen Hauptstadt dann klimapolitische Geschichte geschrieben. Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen verpflichteten sich 175 Staaten, konkrete Maßnahmen gegen die Erderwärmung zu ergreifen. Das Abkommen gilt als Durchbruch in der Klimapolitik. Bis dahin hatten sich nur einige Industriestaaten dazu bekannt, CO2-Emissionen zu senken.Seitdem hat der klimapolitische Zug erheblich an Fahrt aufgenommen – vor allem in Europa. Im Dezember des vergangenen Jahres stellte die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Programm vor, Europa mithilfe eines Green Deals bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent entwickeln zu wollen. Das Ziel ist klar. Die Wirtschaft innerhalb der EU soll klimafreundlicher und schnellstmöglich entsprechend umgebaut werden. In der Praxis bedeutet dies einen gewaltigen Transformationsprozess, der zahlreiche bestehende Geschäftsmodelle vor neue Herausforderungen stellt und Investoren mit klimapolitischen Risiken für ihre Portfolien konfrontiert.Auf ebendiese hatte die Investorenorganisation Principles for Responsible Investment (PRI) unlängst in einer groß angelegten Studie hingewiesen. Nach Auffassung von PRI wird die Politik weltweit künftig noch stärker regulatorisch in Wirtschaft und Gesellschaft eingreifen, um so den Ausstoß klimaschädlicher Gase zu minimieren. Die klimapolitische Regulierung werde über alle Sektoren hinweg zu erheblichen Neubewertungen von Unternehmen und ihren Geschäftsmodellen führen. So geht PRI davon aus, dass die im MSCI ACWI Index enthaltenen Unternehmen bis 2025 insgesamt Bewertungsabschläge von 3,1 bis 4,5 % hinnehmen müssen. Das entspricht einem Volumen von 1,6 bis 2,3 Bill. Dollar. Ähnliches gelte für bis zu ein Drittel der im FTSE 100 enthaltenen Titel.Den neuen Investmentrisiken, die mit dem klimapolitischen Umbau der Wirtschaft verbunden sind, stehen unbestreitbar aber auch Chancen für Investoren gegenüber. Denn während einige Unternehmen unter den Folgen der Klimapolitik zu leiden haben, gibt es andere, welche mit der Entwicklung neuer Technologien, Produkte und Dienstleistungen vom Transformationsprozess profitieren werden. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Politik bereit ist, die Neuausrichtung der Wirtschaft hin zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Ökonomie aktiv zu unterstützen.Insgesamt über 500 Mrd. Euro will etwa die EU in den kommenden zehn Jahren in die Realisierung ihres Green Deals stecken. Allein 100 Mrd. Euro sollen in die Finanzierung von Wissenschaft und Innovation fließen. So soll Europa bei klimafreundlichen Industrien und sauberen Technologien eine Vorreiterrolle einnehmen. Aus eigener Kraft allerdings wird es der Politik nicht gelingen, den Wandel voranzutreiben. Um ihre Ziele zu erreichen, braucht sie die Hilfe der Finanzwirtschaft und privater Investoren. Aus diesem Grunde hat die EU-Kommission 2018 den Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums vorgelegt und in Teilen bereits durch das europäische Gesetzgebungsverfahren gebracht. Dieser Aktionsplan zielt insbesondere darauf ab, die Kapitalflüsse auf nachhaltige Investitionen umzulenken und die Transparenz im Bereich der nachhaltigen Kapitalanlage zu fördern. Noch abwartende HaltungFür Investoren und Assetmanager stellt sich die Frage, wie mit den ambitionierten Plänen der Politik umzugehen ist. Lange Zeit neigten vor allem die Investoren hierzulande dazu, das Thema auf die leichte Schulter zu nehmen. Noch im vergangenen Jahr jedenfalls ermittelte die von unserem Haus einmal im Jahr in Auftrag gegebene Nachhaltigkeitsstudie, dass lediglich ein Drittel der befragten Großinvestoren mit dem EU-Aktionsplan vertraut war. 61 % hatten zudem angegeben, keine Informationen über die Klimawirkung ihres Portfolios zu haben.Die darin zum Ausdruck kommende abwartende Haltung wird in Zukunft kaum durchzuhalten sein. Denn zumindest auf europäischer Ebene hat die Politik ihren Gestaltungswillen in Sachen Klimaschutz unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Und anzunehmen, dass das Ende der klimaregulatorischen Fahnenstange bereits erreicht sei, dürfte sich als Fehleinschätzung erweisen. Im Gegenteil: Vielmehr ist davon auszugehen, dass die staatlichen Eingriffe in dem Maße zunehmen werden, wie die Politik im Zuge der sich fortsetzenden Klimakrise verstärkt unter Handlungsdruck geraten wird.Vor diesem Hintergrund erscheint es ratsam, die Herausforderungen des Klimawandels proaktiv anzugehen. Dies erfordert zunächst Klarheit über den CO2-Abdruck des Investmentportfolios. Eine entsprechende Analyse ist unabdingbarer Bestandteil der klimapolitischen Risikobewertung und wird inzwischen von verschiedenen Assetmanagern zuverlässig angeboten. Im Portfolio können so Unternehmen identifiziert werden, die aufgrund einer hohen CO2-Intensität künftig mit zusätzlichen Belastungen und gegebenenfalls mit Bewertungsabschlägen zu rechnen haben.Neben den direkten Treibhausgasemissionen eines Unternehmens berücksichtigen entsprechende Analysen auch alle indirekten Emissionen, die durch die Bereitstellung von außerhalb des Unternehmens produzierter Energie entstehen. Gerade mit Blick nach vorn ist es darüber hinaus notwendig, sich als Investor anhand von Szenarien mit den CO2-Emissionen von Branchen und einzelnen Unternehmen zu beschäftigen und deren Anpassungskapazitäten an sich verändernde Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.Die Risikoanalyse ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Denn wie beschrieben, bietet der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft auch Chancen für Investoren. Diese können grundsätzlich auf zwei Ebenen wahrgenommen werden. Zum einen auf Branchenebene. Hier gilt es je nach Sektor herauszufinden, welche Firmen den Wandel besonders gut und schnell vollziehen können. Ziel ist es, mögliche Gewinner frühzeitig zu ermitteln und die entsprechenden Unternehmen im Portfolio zum Beispiel stärker zu gewichten.Diesem klimapolitischen Best-in-Class-Ansatz steht eine zweite Analyseebene gegenüber. Diese ist branchenunabhängig und versucht, grüne Technologieführer zu identifizieren, deren Produkte und Dienstleistungen den klimapolitischen Umbau der Wirtschaft in besonderem Maße unterstützen oder fördern.Firmen dieser Art lassen sich von der Agrarwirtschaft über die Energie- und Verkehrswirtschaft bis hin zur Bauwirtschaft in den unterschiedlichsten Sektoren finden. Wichtig hierbei ist ein frühzeitiges Investment in solche Unternehmen. Denn erfahrungsgemäß lohnt sich das Engagement in ein innovatives Wachstumsunternehmen vor allem für Investoren, die von Anfang an dabei gewesen sind. Wer als Anleger von den Chancen des Klimawandels profitieren möchte, muss also jetzt handeln. Aktiver Dialog erforderlichDer Transformationsprozess, den die Wirtschaft auf dem Weg in eine emissionsärmere Welt durchlaufen muss, erfordert den Dialog aller Beteiligten. Das gilt auch für Investoren und Unternehmenslenker. Denn oftmals reicht ein rein zahlengetriebenes Research nicht aus, um nachhaltige oder klimafreundliche Investmententscheidungen zu treffen. In solchen Fällen kann sich das regelmäßige Gespräch mit dem Firmenmanagement als hilfreich erweisen. Unternehmen können so für die Notwendigkeit dringender Veränderungsmaßnahmen sensibilisiert und bei deren Umsetzung unterstützt werden.Gerade in Phasen des Wandels fällt es dem Management damit leichter, schwierige und für den Unternehmenserfolg notwendige Projekte anzugehen. Ähnliches gilt auch für innovative grüne Wachstumsunternehmen, die sich am Markt erst etablieren müssen. Gerade sie benötigen Investoren, die ein Unternehmen im Rahmen eines aktiven Engagements langfristig begleiten und bereit sind, dabeizubleiben, auch wenn es einmal holprig wird. Damit dies funktionieren kann, braucht es einen aktiven und vertrauensvollen Dialog. Alexander Schindler, Vorstandsmitglied von Union Investment