Konjunkturhelfer im Risiko
An der Börse wird die Nase gerümpft. Die Aktien der chinesischen Banken sind am Montag weiter unter Druck geraten. Der Branchenprimus ICBC ging fast 4 % leichter aus dem Markt. Die nach Bilanzsumme weltgrößte Bank hat im Tandem mit den drei anderen führenden Instituten in der ersten Jahreshälfte gut 11 % Gewinnrückgang zu verzeichnen. Das ist für sich genommen keine große Überraschung. Die Experten hatten bereits niedrige zweistellige Gewinneinbußen prognostiziert. Nun aber wird der Blick dafür geschärft, dass es trotz laufender wirtschaftlicher Erholung in China vorerst keine Entlastung für die Kreditriesen gibt.Die Chefs von ICBC und Bank of China warnen, dass sie vor nie dagewesenen Herausforderungen stehen. Gemeint sind in erster Linie Kreditausfälle, die mit einem gewissen Time Lag einem konjunkturellen Abschwung folgen. Chinas BIP war im ersten Quartal um 6,8 % abgerutscht, hat sich aber bereits im Juni-Quartal mit einem Anstieg um 3,2 % wieder gut erholt. Bei den Großbanken haben die Gewinne im ersten Quartal noch um bis zu 5 % angezogen, in den vergangenen drei Monaten aber kam es zu Gewinneinbrüchen von etwa 25 %.Chinas Großbanken haben seit fünfzehn Jahren praktisch durchweg Gewinnfortschritte vorweisen können. Die mit Chinas starkem Wirtschaftswachstum einhergehende Ausweitung der Neukreditvergabe bei äußerst auskömmlichen Zinsmargen hat die Gewinnmaschine automatisch auf hohen Touren gehalten. Nun aber stellt sich mit der Corona-Pandemie eine völlig neue Situation dar. Die Staatsriesen sind von Regierung und Regulatoren mit sanfter Gewalt dazu angehalten, die Kreditvergabe weiter hochzufahren. Dabei werden sie im Dienste der Nation in eine Konjunkturhelferrolle manövriert, deren Kehrseite eine wesentliche Erhöhung des Kreditrisikoprofils ist. Die bislang wegen hoher Kreditausfallrisiken eher gemiedene Klientel der kleinen und mittleren privaten Unternehmen, die für das Gros der Arbeitsplätze in China aufkommen, muss in Krisenzeiten nämlich koste, was es wolle, mit Krediten versorgt werden.Angesichts eines wesentlich gesteigerten Risikovorsorgebedarfs werden Chinas Großbanken erst einmal weiter bluten müssen. Und da ihre regulatorische Kapitaldecke längst nicht mehr üppig wirkt, könnte es bei den sonst so zuverlässigen Dividendenlieferanten erstmals zu Einschnitten beim Dienst an die Aktionäre kommen. Damit werden auch Value-Investoren künftig abgeschreckt. Bereits jetzt stehen Chinas Banken mit einer Marktkapitalisierung vom nur 0,45-Fachen des Buchwerts auf einem historisch niedrigen Bewertungsniveau. Daran dürfte sich so lange nichts ändern, wie die Bankriesen weiter vor den Konjunkturkarren gespannt werden.