Kostensenkung vor Ertragsausbau
Banken sollten ihre Erwartungen an das Ertragspotenzial von Digitalisierungsaktivitäten nicht sehr hoch ansetzen, meint Oliver Wyman. Vor allem müsse es darum gehen, mit Hilfe von Digitalisierung das Einnahmenniveau zu halten.Von Bernd Neubacher, FrankfurtDie Beratungsgesellschaft Oliver Wyman dämpft die allgemeine Aufregung um die Digitalisierung der Geschäfte im Bankensektor und deren Ertragspotenzial. Mit ihren Aufwendungen für digitale Aktivitäten können Banken allenfalls eine defensive Strategie verfolgen, wie Udo Bröskamp, Partner und Mitglied des deutschen Managementteams bei Oliver Wyman, der Börsen-Zeitung zu verstehen gibt. Seiner Einschätzung nach dürften digitale Angebote es Banken zuallererst ermöglichen, ihr Ertragsniveau zu halten. Vorbild Leasing-AnbieterAnders sieht es dagegen hinsichtlich der Kosten aus. Dort sieht Oliver Wyman erheblichen Spielraum für Einsparungen. Insgesamt dürften Banken mit Hilfe digitaler Prozesse ihr Kostenniveau um insgesamt 10 bis 15 % reduzieren können, schätzt Bröskamp. Als Beispiel führt er die Erfahrung mancher Leasing-Anbieter ins Feld, die Firmenkunden schon vor Jahren ermöglicht hätten, eine Finanzierungsanfrage online zu stellen. Die Kosten hätten sie damit um bis zu zwei Drittel senken können, berichtet er. Kostensenkungen in ähnlichem Volumen hält Bröskamp auch im Geschäft mit Handelsfinanzierungen für möglich, in welchem ebenfalls zahlreiche Dokumente bereitzustellen und zu verarbeiten sind. Die entscheidende Frage sei freilich, welche IT-Investitionen dem gegenüberzustellen seien, um diese Prozesse zu digitalisieren. Kooperation ist gefragtUm der Kostensenkungen willen sollten Banken nach Einschätzung von Oliver-Wyman-Partner Matthias Hübner auch dazu übergehen, mit Anbietern aus dem Fintech-Sektor zu kooperieren, um sich einzelne Produkte oder Dienstleistungen zuliefern zu lassen. Die Spieler in der Autoindustrie hätten schon lange den Anspruch aufgegeben, die gesamte Wertschöpfungskette selbst abdecken zu müssen. “Etwas Ähnliches werden wir auch im Bankensektor erleben”, sagt Hübner. Darüber hinaus eröffne Digitalisierung Banken Wege zu Kostensenkungen auch, indem ein Teil der Datenerfassung dem Kunden überlassen werde oder Wertpapierberater bei Bedarf schneller auf standardisierte Lösungen zurückgreifen könnten. Ein drittes Feld der Kostensenkung sieht Hübner darin, durch eine verstärkte Analyse von Kundendaten die Risikokosten im Kreditgeschäft zu reduzieren. Deutlich überschätztInvestitionen in Digitalisierung per Gießkanne zu verteilen dürfte, allen positiven Prognosen zum Trotz (siehe Grafik), indes nicht zum Ziel führen, wie Oliver Wyman deutlich macht. Das Potenzial manchen Segments des Bankgeschäfts, um das sich derzeit viele Digitalisierungsbemühungen drehen, wird seinen Angaben zufolge deutlich überschätzt. So zeige eine Analyse der anonymisierten Kundendaten einer typischen deutschen Retail-Bank, dass rund 80 % aller Kontakte von Kunden mit ihrer Bank je zur Hälfte auf klassisches Online-Banking sowie auf die Nutzung von Geldautomaten entfallen. Weitere 10 % rührten von Filialbesuchen her, die übrigen Anteile seien Sonstige sowie Kontakte infolge von Omnikanal-Banking. Da müssten Banken sich fragen, ob sie ihre Investitionsbudgets für den prozentual einstelligen, auf Omnikanal-Banking entfallenden Anteil verwenden oder sich nicht besser etwa der Aufgabe widmen sollten, die Kommunikation mit Kunden am Kontaktpunkt Geldautomat zu verbessern.Auch die Bedeutung alternativer Zahlungssysteme relativiert Bröskamp. Selbst in der Gruppe der technikaffinen Kunden liefen gerade einmal 3 % des Zahlungsverkehrs etwa über Paypal. Und die Volumina fielen dabei eher unterdurchschnittlich aus. Jede Investition in die Digitalisierung des Geschäfts einer Bank sei sauber durchzurechnen mitsamt einem Investitionsbudget, einer Ertragsplanung und einer Renditeerwartung, meint er. Selbst falls man etwa ein Zehntel davon unter Marketingkosten verbuchen wolle, müssten sich solche Vorhaben auf absehbare Zeit rechnen, und zwar am besten nach drei und nicht nach 15 Jahren: “Da erledigen sich dann schon viele Sachen von selbst”, resümiert er. Am Ende einer solchen Analyse werden seinen Angaben zufolge damit womöglich keine Budgets für Digitalisierungsprojekte stehen, sondern stattdessen vielleicht vielmehr gezielte Investitionen in Personal für Kundengruppen, deren Potenzial, wie die Auswertung zeigt, noch lange nicht ausgeschöpft ist.