KPMG erhöht vor Gericht Druck auf Markus Braun
“Man wollte uns so wenig wie möglich zeigen”
Im Wirecard-Prozess belastet ein weiterer Zeuge von KPMG den angeklagten Ex-CEO Markus Braun schwer
Von Stefan Kroneck, München
Im Betrugsprozess um den kollabierten Zahlungsabwickler Wirecard hat KPMG vor dem Landgericht München den Hauptangeklagten Markus Braun abermals deutlich unter Druck gesetzt. In seiner Vernehmung im Zeugenstand berichtete der beim Wirtschaftsprüfer angestellte Informatiker und IT-Forensiker Alexander Geschonneck von Versuchen der damaligen Wirecard-Konzernführung, die 2020 stattgefundene Sonderuntersuchung zu torpedieren und von Disputen mit dem Konzernabschlussprüfer EY. In seiner Befragung belastete zuvor Geschonnecks Vorgesetzter, KPMG-Vorstandsmitglied Sven-Olaf Leitz, den früheren Wirecard-CEO ebenfalls schwer (vgl. BZ vom 13. April). Der 52-jährige Wirtschaftsinformatiker leitete die damals vom Wirecard-Aufsichtsrat in Auftrag gegebenen Untersuchungen der Konzernbücher nach konkreten Vorwürfen der “Financial Times”. Dem Vorsitzenden Richter der zuständigen Strafkammer, Markus Födisch, schilderte Geschonneck von einer fortwährenden Hinterfragung der Aktivitäten der Wirtschaftsprüfer im Unternehmen. “Es gab immer wieder Diskussionen von Wirecard-Mitarbeitern über den Umfang unseres Prüfungsauftrags. Man wollte uns so wenig wie möglich zeigen.”
Geschonneck zufolge haben Braun, Jan Marsalek und Stephan von Erffa seinerzeit wiederholt darauf verwiesen, KPMG bräuchte nicht detailliert nachzuprüfen. Sie hätten das damit begründet, dass der Jahresabschlussprüfer EY dies bereits täte. Der frühere Vertriebsvorstand Marsalek befindet sich seit den aufgeflogenen Machenschaften Ende Juni 2020 auf der Flucht. Der Ex-Konzernchefbuchhalter von Erffa befindet sich ebenfalls auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft München wirft Braun und von Erffa u.a. gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Der Kronzeuge Oliver Bellenhaus, einst Statthalter von Wirecard in Dubai, legte bereits ein vollumfängliches Geständnis ab. Braun bestreitet hingegen die Tatvorwürfe.
Parallel zur damaligen Sonderuntersuchung war EY mit der Abschlussprüfung für die Bilanz 2019 beschäftigt. Geschonneck zufolge wies KPMG gegenüber den Verantwortlichen von Wirecard wiederholt darauf hin, dass man eine eigene Prüfung erstelle. “In vielen Bereichen wollten wir unsere eigenen Erkenntnisse durch eigene Untersuchungen erlangen.” Der Zeuge räumte ein, dass es infolge der parallel stattgefundenen Prüfung der Bücher “teils Dissens” mit EY gegeben habe. Als Beispiel nannte er die angeblichen Bankbestätigungen für die von Wirecard aufgeführten Treuhandkonten in Manila fürs sogenannte Drittpartnergeschäft (TPA). “Wir hatten unterschiedliche Vorstellungen über die Bankbestätigungen. EY hat die Bankbestätigungen als authentisch eingeschätzt, wir nicht. Wir hätten eine Bestätigung von der Bankzentrale erwartet, nicht von einer Bankfiliale.” Zur Erinnerung: Ende Juni 2020 erwiesen sich die von Wirecard angegebenen Gelder auf diesen Konten in Höhe von insgesamt 1,9 Mrd. Euro als Luftbuchung. EY verweigerte daraufhin ihr Testat für 2019. Wirecard meldete danach Insolvenz an.
“Wir wollten endlich an die Daten ran. Dazu kam es nicht”, berichtete Geschonneck mit Bezug auf das erste erteilte Prüfungsmandat für den Zeitraum 2016 bis 2018. Zwischenzeitig erfuhr KPMG von Marsalek während eines Gesprächs, dass Wirecard den Treuhänder gewechselt habe. Der Zeuge berichtete, dass dies für KPMG “überraschend” gewesen sei. Für diese Entscheidung hätte es kein Vorstandsprotokoll gegeben. “Wir haben nach der Zuverlässigkeit der Treuhänder gefragt. Uns wurde dazu nichts vorgelegt.”
Geschonneck bestätigte vorherige Aussagen von Leitz`, wonach Braun in einem Gespräch Ende Februar 2020 gesagt habe, dass sämtliche Unterlagen vorhanden seien. “Er sagte uns, dass er über ein absolutes Herrschaftswissen verfüge.” Seinerzeit drohte KPMG damit, die Untersuchung abzubrechen. “Solch ein Meeting hätte ich viel früher erwartet. Das Gespräch verlief in einer allgemein ruhigen Tonlage. Ich persönlich hätte erwartet, dass Herr Braun mehr Emotionen zeigt.” Später stellte sich heraus, dass das damals um 2019 erweiterte Mandat für KPMG ebenfalls kein anderes Ergebnis brachte. Die geprüften Transaktionsdaten für Dezember 2019 überzeugten den Wirtschaftsprüfer nicht. Dass trotz dieser Erkenntnisse Braun Ende April 2020 auf Basis des KPMG-Entwurfs für den Prüfungsbericht eine zugunsten von Wirecard formulierte Ad-hoc-Meldung herausgab, sorgte bei KPMG für Entsetzen. “Die Ad-hoc entspricht nicht der Wahrheit”, zitierte Geschonneck eine von Leitz seinerzeit an ihn gerichtete hausinterne E-Mail.