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Kreativer Koch

Aus verschiedenen Zutaten etwas Neues zaubern: Dieses Prinzip brachte einst die Zertifikate hervor. Pionier Thomas Zwirner blickt zurück. Von Jan Schrader Die Zutatenliste und die Kochanleitung sind übersichtlich: Man nehme einen Basiswert, etwa...

Kreativer Koch

Aus verschiedenen Zutaten etwas Neues zaubern: Dieses Prinzip brachte einst die Zertifikate hervor. Pionier Thomas Zwirner blickt zurück.Von Jan SchraderDie Zutatenliste und die Kochanleitung sind übersichtlich: Man nehme einen Basiswert, etwa eine Aktie oder einen Aktienkorb, und kombiniere das Produkt mit dem Verkauf einer Call-Option, also der Pflicht, den zugehörigen Basiswert zu einem bestimmten Preis bereitzustellen, sollte der Kurs noch weiter steigen. Verrührt und verbacken in einem Vertrag ergibt sich ein neues Produkt: ein Discount-Zertifikat, also ein “strukturiertes” Instrument mit eigenem Profil. Voilà!Sparer haben sich an eine umfangreiche Speisekarte bereits gewöhnt. Vor einem Vierteljahrhundert waren derartige Produkte jedoch eine ungewöhnliche Innovation, sagt Thomas Zwirner, der bereits seit drei Jahrzehnten für die heutige HSBC Deutschland arbeitet und als Erfinder des Discount-Zertifikats gilt. Mitte 1995 brachte er, damals als Leiter für quantitatives Research, ein Discount-Zertifikat auf den Weg. Binnen weniger Tage, so erzählt Zwirner, war die Kreation nach Einbindung der Kollegen servierfertig, Anfang August 1995 emittierte die Bank das Discount-Zertifikat. Das Produkt garantiert gegenüber einer Aktie oder einem Aktienkorb einen zusätzlichen Abschlag – einen “Discount” aus Anlegersicht. Im Gegenzug verzichtet der Sparer auf Kursgewinne, wenn die Aktie oder der Aktienkorb stark steigen sollte. Zwar können Investoren das Auszahlungsprofil auch selbst zusammenrühren, indem sie mit Aktien und Optionen handeln. Aber für private Sparer wäre das umständlich und teuer gewesen, so Zwirner. “Das Zertifikat verbindet beide Elemente und schafft damit einen Zugang.” Doch das breite Publikum brauchte noch eine Weile, ehe es die neue Speise der damaligen Privatbank Trinkhaus & Burkhardt, eines Vorläufers der heutigen HSBC Deutschland, goutierte. Im Anlegerfernsehen und in Medien warben Zwirner und seine Kollegen für die Innovation, fanden aber zunächst wenige Nachahmer. “Viele Marktteilnehmer, insbesondere andere Banken, taten das Discount-Zertifikat zuerst als Modeerscheinung ab.” Erst nach und nach stiegen andere Banken ein. In der Küche der Geldhäuser gibt es heute etliche weitere Finanzkreationen: Aktienanleihen und Bonitätsanleihen etwa oder Bonus-, Express- oder Kapitalschutzzertifikate. Zunächst haben nur wenige Feinschmecker die Produkte entdeckt, ehe die Kreationen nach der Jahrtausendwende populär wurden. “Unserer Produktidee begann als Nischensegment. Langsam entwickelte sich daraus ein großer Markt”, sagt Zwirner. Zertifikate richten sich an erfahrene Privatanleger, die eine Meinung darüber haben, wie sich Aktienmärkte entwickeln. Der Deutsche Derivate Verband (DDV), der Zertifikateanbieter heute vertritt, empfiehlt die Discount-Papiere wie auch einige andere Instrumente für Marktphasen, in denen die Kurse nicht besonders stark steigen, aber eben auch nicht fallen. Für private Anleger seien die Produkte, die heute laut DDV auf ein Volumen von 4 Mrd. Euro kommen, als Beimischung geeignet, sagt Zwirner. Doch der Fachmann, der heute institutionelle Investoren betreut, sieht auch Vorteile für Großinvestoren: Sie legten ihr Geld typischerweise breit gestreut in etliche Discount-Instrumente an und können somit gezielt den “Discount” vereinnahmen. “Darin liegt der Charme der Stillhaltestrategie.”Dass Zertifikate den Ruf als Teufelszeug hätten, sehe er mit Wehmut. Die Finanzkrise brachte mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers das Segment in Verruf, denn plötzlich wurde deutlich, dass Produkte auch ausfallen können. Schneller, als die Institute das Volumen in den Vor­jahren aufgebaut haben, verpuffte es wieder: Von den 139 Mrd. Euro, die Zertifikate im Privatkundensegment im September 2007 laut DDV-Schätzung auf die Waage brachten, waren im Dezember 2008 nur noch 80 Mrd. Euro übrig, ehe es später weiter bergab ging. Den Ton geben heute die DekaBank der Sparkassen und die DZ Bank der Volks- und Raiffeisenbanken an. HSBC Deutschland ist mit 1,2 Mrd. Euro nur ein Nischenspieler.Die Produktpalette ist heute heterogen. Strukturierte Anleihen, mit mehr als 20 Mrd. Euro die stärkste Kategorie, sind als verzinste Wertpapiere mit Kapitalschutz sicher, solange die Bank dahinter nicht wackelt. Discount-Zertifikate sind an einen Aktienkurs gekoppelt und bieten keine Garantie auf das eingesetzte Geld, doch ein Kursrutsch trifft den Anleger weniger hart. Express-Zertifikate, mit rund 18 Mrd. Euro die zweitstärkste Kategorie, sind schon etwas riskanter, weil sie starke Kursverluste nicht abfedern. Am anderen Ende stehen “gehebelte” Produkte, die rasch hohe Gewinne, aber auch einen Totalverlust bescheren können. Zwirner zeigt sich von dem Produktsegment überzeugt: “Auch wenn die Finanzkrise das Bewusstsein für das Ausfallrisiko geschärft hat: Die grundsätzliche Sinnhaftigkeit von strukturierten Produkten hat keinen Schaden genommen.” 73,4 Mrd. Eurobeträgt das Volumen, das private Sparer in Deutschland nach Schätzung des Deutschen Derivate Verbands (DDV) in Form von Zertifikaten angespart haben. Das Discount-Zertifikat war eines der ersten dieser “strukturierten” Produkte, mit einem Volumen von 4 Mrd. Euro ist es heute aber ein Nischeninstrument. In dem heterogenen Markt sind vor allen die eher sicheren strukturierten Anleihen und die riskanteren Express-Zertifikate gefragt. Einen Höhepunkt hat das Segment kurz vor der Finanzkrise erlebt, als 139 Mrd. Euro zusammenkamen.