Kredite ohne Einblick in Prüfbericht
Die Wirecard bis zum Zusammenbruch finanzierenden Banken müssen sich fragen, ob sie alles getan haben, um der Bonität des Fintechs auf den Grund zu gehen: Wie es in Kreisen des 15 Banken zählenden Konsortiums, das insgesamt 1,76 Mrd. Euro bereitstellte, heißt, fehlte Einblick in den Prüfungsbericht. Von Bernd Neubacher, FrankfurtIm Wirecard-Skandal stehen vor allem – zu Recht – der Prüfer EY und die Finanzaufsicht BaFin am Pranger sowie, wenn auch in viel geringerem Maße, als es angebracht wäre, der Aufsichtsrat des Unternehmens. Doch auch die 15 Mitglieder des Konsortiums, das Wirecard mit insgesamt 1,76 Mrd. Euro finanzierte, dürfen sich fragen, ob sie alle Hebel bewegt haben, um einen Bilanzbetrug auszuschließen: Wie die Börsen-Zeitung von mehreren Seiten erfahren hat, ließen sie die Möglichkeit ungenutzt, Einsicht in den nichtöffentlichen Prüfungsbericht einzufordern, den der Prüfer dem Aufsichtsrat zuleitet. Offenbar wurde dies in den Verhandlungen über den Konsortialvertrag versäumt. Dazu habe die vertragliche Grundlage gefehlt, ist etwa zu hören. In einer Umfrage bei zwei Drittel der insgesamt 15 Konsortialbanken (Grafik) will sich keines der Institute zu Details des Engagements äußern.Hinter vorgehaltener Hand wird freilich eingeräumt, dass der Prüfungsbericht nicht eingesehen wurde. Dieses Detail wirft die Frage auf, wie weit die Due Diligence eines Kreditgebers gehen muss, gerade in solch einem speziellen Fall, und nährt den Eindruck, dass das Wirecard-Desaster nicht nur auf das Versagen des Prüfers EY, der Finanzaufsicht sowie des Aufsichtsrats zurückgeht, sondern eine Art Gesamtkunstwerk mit vielen Beteiligten darstellt, deren Beitrag freilich schwer differiert.Dass der Skandal für Banken empfindliche Folgen haben kann, erlebt momentan die KfW Ipex-Bank, die Wirecard noch im September vorvergangenen Jahres eine bilaterale, unbesicherte Kreditlinie über 100 Mill. Euro eingeräumt hatte. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdachts der Untreue, weil sie der Förderbank laut “Süddeutscher Zeitung” vorwirft, sich nicht mit Absicherungsgeschäften vor möglichen Verlusten geschützt zu haben.”Auf eine testierte Bilanz muss man sich einfach verlassen können”, sagte Hans-Walter Peters, Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, Mitte September dem “Handelsblatt”. Das ist richtig, für Banken aber nicht die ganze Wahrheit. Ein Kreditinstitut darf größere Kredite laut Gesetz nur vergeben, “wenn es sich von dem Kreditnehmer die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere durch Vorlage der Jahresabschlüsse, offenlegen lässt”. Dabei steht es Banken offen, als Gläubiger Einblick in den nichtöffentlichen Prüfungsbericht zu verlangen.Im Falle Wirecards hätte dies spätestens im vergangenen Jahr interessante Details zutage gefördert, wie inzwischen “Der Spiegel” öffentlich gemacht hat. Dem Magazin zufolge war im Prüfungsbericht für 2018, den EY im April 2019 dem Aufsichtsrat zuleitete, von Unregelmäßigkeiten die Rede. Demnach listete EY eine ganze Reihe an Tatsachen oder Sachverhalten auf, “die Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften darstellen oder erkennen lassen”: von einem Unternehmenskauf und möglichen Interessenkonflikten, vermeintlichen Scheinbuchungen und einem Versuch der Bestechung eines lokalen Prüfers über unautorisierte Banktransaktionen, Scheingeschäfte, fingierte Umsätze und manipulierte Verträge bis hin zu Buchungen ohne wirtschaftliche Substanz, Unterschriften ohne Vertretungsmacht und Kreislaufzahlungen. Die Bilanz 2018 testierte EY dessen ungeachtet, wenn auch mit einem neun Seiten langen Bestätigungsvermerk, mit dem die Gesellschaft vermutlich schon mal für den Fall künftiger Haftungsansprüche vorbauen wollte. Diverse BegründungenIn Kreisen der Konsortialbanken werden diverse Begründungen für das Versäumnis angegeben, keine Einsicht in den Prüfungsbericht durchgesetzt zu haben. Ein Argument lautet, der Prüfungsvermerk im Jahresabschluss und der erweiterte Prüfungsbericht müssten inhaltlich übereinstimmen – sende ein Prüfer im nichtöffentlichen Prüfungsbericht eine andere Botschaft als im öffentlichen Prüfungsvermerk, würde er die Öffentlichkeit in die Irre führen oder sich gar strafbar machen. Andernorts heißt es, die Anforderung des Berichts sei nicht üblich, wenn der Jahresabschluss uneingeschränkt testiert worden sei. An einer anderen Stelle wird als Rechtfertigung das Investment-Grade-Rating von Moody’s herangezogen – die US-Bonitätswächter hatten dem Fintech aus dem Dax bis zuletzt eine Bonitätsnote von “Baa3” gegönnt und diese erst am Tag, nachdem am 18. Juni der Bilanzskandal öffentlich geworden war, tief in den Ramsch-Bereich herabgestuft.Wie zu erfahren ist, sind solche Einsichtsrechte zumindest im Fall von Unternehmen mit guten Bonitätsnoten generell keineswegs gang und gäbe. Im Ergebnis laufen diese Verweise aber darauf hinaus, die Verantwortung weiterzureichen. Dabei war die Solidität Wirecards zumindest in der britischen Presse schon vor Jahren massiv in Zweifel gezogen worden.Bei Beobachtern wird als ein gewichtiger Grund für den fehlenden Einblick in den Prüfungsbericht auch vermutet, dass sich Wirecard in den Verhandlungen um den Konsortialvertrag in dieser Frage eher hartleibig gezeigt haben dürfte. Und das Geschäft der Unternehmensfinanzierung gilt als hart umkämpft, so dass Banken nicht unbedingt in der Position sind, dabei die Bedingungen zu diktieren. Allerdings heißt dies nicht, dass die Institute, die ihre Kredite inzwischen vielfach veräußert und dabei teils herbe Verluste eingefahren haben, zur Tagesordnung übergehen könnten. So haben Aufsichtsräte involvierter Banken, sofern sie ihre Rolle als aktiv verstehen, durchaus Grund nachzufragen, warum die Institute nicht das Recht auf Einsicht in den Prüfungsbericht durchgesetzt haben, wie ein Rechtsexperte erläutert. Hätten die Banken Einsichtsrecht gehabt, dieses aber nicht genutzt, sähe es für die Verantwortlichen demnach allerdings ungleich düsterer aus. Dann stünde rasch die Frage im Raum, wie man die Verantwortlichen wegen Pflichtverletzung in Anspruch nehmen könne.Jahrelang hatte die vom Konsortium bereits 2011 zugesagte Finanzierung nur als eine Art Linie bestanden. Gezogen worden waren die Mittel dem Vernehmen nach größtenteils erst 2019 und 2020, als der Baum in Aschheim längst brannte. Gelegenheit, auf Einsicht in den Prüfungsbericht zu insistieren, hätte sich etwa im Juni 2018 geboten, als die Finanzierung verlängert wurde – die “Financial Times” hatte schon im April 2015 Ungereimtheiten in der Bilanzierung ausgemacht. Im September 2018 hatte dann die Ipex-Bank dem Zahlungsabwickler 100 Mill. Euro zugesagt.Eine rechtliche Verpflichtung von Banken, vom Aufsichtsrat ihrer Schuldner den Prüfungsbericht anzufordern, besteht bei alledem wohlgemerkt nicht mehr. Denn die Finanzaufsicht ist in dieser Frage schon vor Jahren zurückgerudert.So hatten die Finanzaufseher 2005 zunächst eine Regelung aus 1998 fortschreiben wollen und im Entwurf eines Rundschreibens zur Kreditvergabe formuliert: “Sofern der testierte Jahresabschluss nicht aus sich heraus eine eindeutige Beurteilung der wirtschaftlichen Situation des Kreditnehmers gewährleistet, wird das Kreditinstitut auch nicht umhinkommen, den Prüfungsbericht des Abschlussprüfers zu analysieren, nicht zuletzt auch, um zu erkennen, welchen Gebrauch der Kreditnehmer von Bewertungswahlrechten gemacht hat.” Nachdem allerdings die Bankenverbände vereint gerügt hatten, der Entwurf sei “zu formalistisch” und lasse den Instituten “nur geringe Spielräume bei der Kreditvergabe”, verzichtete die Behörde auf detaillierte Auslegungsregeln zugunsten allgemeinerer Hinweise. Seither entscheiden die Banken eigenverantwortlich; der Prüfer muss gleichwohl bestätigen, dass ihr Beurteilungssystem den gesetzlichen Anforderungen genügt.Die künftigen Regeln gäben den Instituten “größere Freiräume”, schrieb der damalige BaFin-Präsident Jochen Sanio den Bankenverbänden. Dies setze allerdings voraus, dass die “Banken ihrer größeren Verantwortung gerecht werden”. Sein Schreiben schließt mit den Worten: “Ich gehe davon aus, dass meine Entscheidung, mehr Verantwortung auf die Institute zu übertragen, in Ihrem Sinne ist, und wünsche mir, dass die Institute ihre neuen Spielräume auf sachgerechte Weise mit Leben erfüllen werden.”