Kreditplattformen und die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Finanzplatzes
Der 11. November 2021 ist ein wichtiger Tag für den Mittelstand und die Start-ups in Europa. Nach der Verordnung für den European Crowd-funding Service Provider, kurz ECSP-VO, gelten dann EU-weit einheitliche Vorschriften für das Anbieten von alternativen Unternehmensfinanzierungen bis 5 Mill. Euro über Kreditplattformen. Die zwingende Einbindung einer Fronting-Bank in die Kreditvergabe ist dann ein Fall für das Geschichtsbuch.
Maßgeblich getrieben ist diese Entwicklung von der Erkenntnis der EU-Kommission, dass mittelständische Unternehmen und Start-ups seit der Finanzkrise Schwierigkeiten haben, an Fremdkapital zu gelangen. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend noch einmal verstärkt. Zugleich ziehen sich die Banken aus der Finanzierung von unbesicherten Unternehmenskrediten weiter zurück – teils getrieben durch die Krisenförderkreditpolitik, teils aber auch regulatorisch veranlasst durch weiter verschärfte Anforderungen an die Kreditvergabe.
Lücke schließen
Die eingeschränkten Bilanzen schaffen somit insbesondere im Bereich der unbesicherten Kredite bis 5 Mill. Euro eine wachsende Finanzierungslücke, die ab 11. November durch Kreditplattformen geschlossen werden könnte. Nun droht ihnen aber Ungemach, und zwar von Seiten der Bundesregierung. Denn in ihrem Entwurf eines Schwarmfinanzierungsbegleitgesetzes, mit dem sie verschiedene Vorschriften der ECSP-VO näher ausgestalten darf, hat sie mit §32c und §32d Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) neue Haftungsregelungen im Zusammenhang mit dem Anlagebasisinformationsblatt verabschiedet, die das deutsche Prospektrecht aufmischen.
Wird der Regierungsentwurf unverändert verabschiedet, werden die deutschen Kreditplattformen an Attraktivität als alternative Finanzierungsquelle für Unternehmenskredite einbüßen. Worum geht es genau? Die ECSP-VO räumt den Mitgliedstaaten mit den Artikeln 23 Absatz 9 bzw. 24 Absatz 4 die Möglichkeit ein, entweder jeweils nur die Emittenten bzw. Kreditplattformen als Unternehmen oder aber zusätzlich auch noch die jeweiligen Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane als Haftungsträger für die in einem Anlegerbasisinformationsblatt angegebenen Informationen heranzuziehen. Zurückzuführen sind diese Bestimmungen auf einen Kompromiss, der bei den seinerzeitigen Verhandlungen der Verordnung gemacht werden musste.
Nicht alle Mitgliedsstaaten wollten schon damals eine so weitgehende Haftung mittragen. Im Ergebnis sollte es deshalb jedem selbst überlassen bleiben, wie kurz die Leine ist, an die er zu Hause Mittelstand und Kreditplattformen nimmt. Um im Bild zu bleiben: Jene, die die Bundesregierung mit dem Schwarmfinanzierungsbegleitgesetz ausgewählt hat, ist gleich aus mehreren Gründen viel zu kurz.
So ist zunächst der mit §§32c,d WpHG vorgesehene Haftungsrahmen im Vergleich mit dem sonstigen deutschen Prospekthaftungsrecht unverhältnismäßig weit gefasst. Es sollen nicht nur Emittenten und Kreditplattformen, sondern auch die jeweiligen verantwortlichen Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane haften. Vergleichbare spezialgesetzliche Normen im Vermögensanlagegesetz, Kapitalanlagegesetz oder Wertpapierprospektgesetz kennen so eine persönliche Haftung nicht.
Und der Wortlaut führt zu bemerkenswerten Ergebnissen. Der Syndikusrechtsanwalt etwa als bloß angestellter Rechtsanwalt, aber mit der verantwortlichen Prüfung des Anlegerbasisinformationsblattes befasst, untersteht genauso der Haftung wie der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, der eigentlich ganz andere, nichtoperative Aufgaben wahrnimmt, sich aber zukünftig wohl oder übel in die kniffligen Einzelheiten zahlloser Anlegerbasisinformationsblätter reinfuchsen muss.
Haftung ausgeweitet
Damit aber nicht genug: Der Syndikus, Aufsichtsrat und jeder andere Verantwortliche sollen bereits für einfache Fahrlässigkeit haften. Auch das ist bemerkenswert, denn in den anderen zuvor genannten Spezialgesetzen wird demgegenüber nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit gehaftet. Durch die komplette Ausschöpfung des durch die ECSP-VO vorgegebenen Haftungsrahmens ist die Bundesregierung also über das Ziel hinausgeschossen. Eine Begründung dafür aber, warum sie diese weitreichenden Ergänzungen für Finanzierungen auf Basis der Verordnung für geeignet, erforderlich und angemessen hält, ist ihrem Entwurf leider nicht zu entnehmen. Nicht ausgeschlossen ist, dass das daraus resultierende Nebeneinander unterschiedlicher Haftungsregelungen für Finanzierungen nach der ECSP-VO einerseits und – wie schon bislang – nach dem Vermögensanlagengesetz andererseits zu Marktverwerfungen führen wird. Denn Finanzierungen, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, würden einem strengeren Haftungsregime unterliegen als solche nach dem Vermögensanlagengesetz.
Der Bundesrat warnt an dieser Stelle zutreffend vor der drohenden Gefahr von Rechtsunsicherheit und der Benachteiligung durch unterschiedliche Regelungen, „ohne dass hierfür ein sachlicher Grund erkennbar wäre“. Es ist deshalb absolut vorstellbar, dass deutsche KMU und Start-ups mit Blick auf den 11.November beginnen, sich Gedanken darüber zu machen, ob es nicht vielleicht die bessere Idee wäre, sich auf Kreditplattformen mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu konzentrieren.
Damit hätte die Bundesregierung der hiesigen Wirtschaft, aber auch den deutschen Kreditplattformen als alternativen Finanzierungsanbietern einen Bärendienst erwiesen. Letztere gelten als digitale Innovationstreiber und leisten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland. Zusätzlich beleben sie die Diversifizierung bei der Finanzierung des Mittelstands durch Private Debt. Die Regelung im Regierungsentwurf setzt diese Innovationskraft jedoch aufs Spiel, weil sie die Emittenten und Kreditplattformen gleichermaßen abschreckt, das Potenzial der Verordnung für eine umfassende, flächendeckende und effiziente Vergabe von alternativem Fremdkapital auszuschöpfen.
Auf der anderen Seite ist für die Anleger, deren Schutz die verschärften Haftungsregelungen in §§32c,d WpGH dienen sollen, nichts gewonnen. Wenn es keine ECSP-Emissionen in Deutschland gibt, werden auch sie in die offenen Arme der anderen EU-Mitgliedstaaten getrieben. Verlierer wäre also ganz klar der Wirtschaftsstandort Deutschland.
Das Schwarmfinanzierungsbegleitgesetz liegt seit kurzem auf den Tischen der Bundestagsabgeordneten. Es kommt jetzt auf sie an, in den Beratungen einen Weg zu finden, der die Interessen deutscher KMU und Start-ups an einer starken alternativen Fremdfinanzierung in ein ausgewogenes Verhältnis mit den Interessen der Anleger an dem Schutz ihrer Investitionen bringt.