LEITARTIKEL

Kritische Masse

Das Ziel erscheint ambitioniert: Ethisch und langfristig gewinnbringend sollen Auswahlkriterien in der Geldanlage sein - "nachhaltig" also, wie es im Jargon der Branche heißt. Ökologische und soziale Belange sowie Kriterien der guten...

Kritische Masse

Das Ziel erscheint ambitioniert: Ethisch und langfristig gewinnbringend sollen Auswahlkriterien in der Geldanlage sein – “nachhaltig” also, wie es im Jargon der Branche heißt. Ökologische und soziale Belange sowie Kriterien der guten Unternehmensführung, die unter dem englischen Akronym ESG (“Environmental, Social, Governance”) zusammengefasst werden, sollen Anlagekalkül und ethisches Streben vereinen. Sie erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Die Strategien reichen von der Auswahl projektbezogener “grüner” Anleihen und Themenfonds über ein engagiertes Auftreten als Investor gegenüber Unternehmen bis hin zur gezielten Auswahl oder dem Aussieben bestimmter Wertpapiere. Das Thema füllt Konferenzen und weckt das Interesse von Öffentlichkeit und Politik.Noch aber hat sich die nachhaltige Geldanlage nicht in der Breite durchgesetzt. Gerade einmal 79 Mrd. Euro lagen per Ende 2016 hierzulande in ausdrücklich nachhaltigen Fonds und Mandaten, wie das Forum Nachhaltige Geldanlagen berichtet, eine Initiative aus Investoren, Assetmanagern und weiteren Akteuren. Das Segment wächst überproportional, kommt aber bislang nur auf annähernd 3 % des gesamten Marktes. Weitere 78 Mrd. Euro an Kunden- und Eigenanlagen verwalten Investoren darüber hinaus in Eigenregie. Eine kritische Masse, um Börsenkurse spürbar zu beeinflussen, haben sie damit nicht erreicht. Das engagierte Auftreten einiger Investoren ist zwar hörbar, doch fehlt ohne Masse ein Druckmittel. Der Aufwand der nachhaltigen Anlage gilt derweil als hoch: Die Berichterstattung von Unternehmen zur Nachhaltigkeit ist mitunter uneinheitlich, und Intransparenz sowie der Mangel an belastbaren Daten werden häufig als Hürde genannt. Viele Investoren sind skeptisch.Doch nach und nach dürfte der Aufwand sinken: So bereiten Datendienstleister Informationen für eine Vielzahl an Marktakteuren auf und schaffen auf diese Weise Standards. Spezialisierte Ratingagenturen wie Oekom, Imug und Sustainalytics haben hier bereits Pionierarbeit geleistet. Je mehr Investoren sie bedienen, desto besser wird auch die Datenlage. Darüber hinaus unterwerfen sich Investoreninitiativen Standards und fordern von Unternehmen eine einheitliche Berichterstattung ein. Das Carbon Disclosure Project, das mittlerweile als CDP auftritt, hat mit seinen Umfragen bereits seit der Jahrtausendwende viele Konzerne zu mehr Offenheit in der Klimaberichterstattung bewegt. Einige öffentliche Akteure gelten in der nachhaltigen Geldanlage als Vorreiter, etwa der norwegische Staatsfonds oder die deutsche KfW. Die hiesige Fondsbranche schließlich hat mit ihren überarbeiteten Wohlverhaltensregeln das Thema aufgewertet. Nun sind die Fondshäuser gefragt, Angebote zu entwickeln und an Anleger heranzutreten.Je mehr sich die nachhaltige Geldanlage etabliert, desto eher spiegelt sie den Wertewandel einer Gesellschaft wider. So stoßen die Herstellung von Streubomben und Antipersonenminen längst weithin auf Ablehnung. In Deutschland werden solche Produzenten routinemäßig herausgefiltert – auch jenseits explizit formulierter ESG-Regeln für einzelne Produkte. Im Vorfeld der Weltklimakonferenz 2015 hat der Klimaschutz in der Geldanlage an Bedeutung gewonnen, während der Libor-Skandal in der Bankenwelt und die Abgasaffäre bei Volkswagen den Blick auf die Unternehmensführung lenkte. Nun könnte die zunehmende Sensibilität der Verbraucher auf Finanzprodukte durchschlagen. So will etwa die Organisation Farm Animal Investment Risk and Return (Fairr) die industrielle Tierhaltung auf die Liste der ESG-Kriterien setzten und hat einen Index für Restaurant- und Supermarktketten sowie Lebensmittelkonzerne entwickelt. Die Initiative Corporate Human Rights Benchmark wiederum untersucht, wie gut Unternehmen aus den Risikobranchen Landwirtschaft, Rohstoffe und Bekleidung die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzen. Weitere Kennziffern dürften folgen. Die nachhaltige Geldanlage gewinnt an Vielfalt.Pionieren bieten sich Anlagechancen. Die Markteffizienzhypothese besagt, dass an den Börsen öffentlich zugängliche Informationen bereits eingepreist sind und einzelne Investoren keine zuverlässige Mehrrendite erzielen können. Doch gerade die nachhaltige Geldanlage zeigt, dass Informationen oft noch gar nicht vorhanden sind und eingefordert und geschaffen werden müssen. Für Investoren könnte es sich also auszahlen, der Zeit voraus zu sein. ——–Von Jan SchraderDie nachhaltige Geldanlage fasst langsam Fuß. Sie spiegelt dabei nicht nur einen Wertewandel wider, sondern schafft auch Anlagechancen für Investoren.——-