"Kunden in Hongkong sind diversifiziert"
Herr Lacher, die Spannungen zwischen Großmächten wie USA, China und Russland nehmen seit einiger Zeit laufend zu. Was bedeutet das für den Schweizer Finanzplatz?Die Schweiz ist sich ein spannungsgeladenes, internationales Umfeld gewohnt und hat in ihrer langen Geschichte gut gelernt, damit umzugehen. Die Politik der aktiven Neutralität war dabei stets hilfreich. Deshalb bin ich optimistisch, dass sich der Schweizer Finanzplatz weiterhin gut auf der Weltbühne behaupten wird. Aber den Banken drohen neue Probleme.Welche meinen Sie konkret? Oligarch Viktor Vekselberg etwa steht wegen besonderer Nähe zu Wladimir Putin auf einer US-Sanktionsliste. Seine Konten in der Schweiz sind eingefroren. Werden Sie bald Konten chinesischer Unternehmern sperren müssen?Ausschließen kann ich das nicht. Aber Sanktionsmaßnahmen sind üblicherweise international breit abgestützt. Unter Ihrem Vorvorgänger Raymond Bär hat die Bank ihre starke Expansion in Asien gestartet. Halten Sie es für möglich, dass Sie von den USA einmal zu einer Entscheidung für oder gegen China gezwungen werden?Nein, das halte ich für unsere Branche für sehr unwahrscheinlich. Hongkong spielt als offener und streng regulierter Finanzplatz eine große Rolle für alle Marktteilnehmer. In Hongkong unterhalten auch Sie ein bedeutendes Geschäft. Dort will Peking jetzt die Überwachung verschärfen, was die Bürgerproteste verschärft. Was raten Sie Ihren Kunden? Sollen sie sich britische Visa beschaffen und ausreisen?Solche Ratschläge gehören nicht zu unseren Aufgaben. Aber wie überall, wo politische Unsicherheit herrscht, stehen wir unseren Kunden mit Rat und Tat bei und zeigen ihnen auf, wie wichtig eine Diversifikation ist. Dies umfasst auch, dass wir unseren Kunden die Vor- und Nachteile der verschiedenen Buchungszentren wie beispielsweise Singapur, Schweiz oder London erläutern. Den Entscheid, wo er sein Vermögen von uns betreuen lässt, muss der Kunde selbst fällen. Singapur ist ein kleiner Stadtstaat vor den Toren Chinas. Die Schweiz konnte Steuerflüchtlingen aus großen Ländern am Ende keine Sicherheit bieten. Sie musste unter starkem politischen Druck Tausende von rechtlich geschützten Kundendaten am damaligen Bankgeheimnis vorbei an die USA ausliefern. Könnte Singapur nicht das gleiche Schicksal drohen?Das tönt für mich zum heutigen Zeitpunkt sehr hypothetisch. Aber was sagen Sie Ihren Kunden in Hongkong?Unsere Kunden in Hongkong kennen die Verhältnisse und sind wie gesagt längst diversifiziert. Hongkong ist zusammen mit Singapur der wichtigste Finanzplatz in der Region und verfügt über enorm viel Dynamik. Wie sieht denn die Strategie von Julius Bär in Asien und in Hongkong aus? Investieren Sie weiter oder bremsen Sie?Asien ist unser zweiter Heimatmarkt, und wir betreuen in dieser Region gut ein Viertel unserer verwalteten Vermögen. Ein bedeutender Teil des globalen Vermögenswachstums findet in Asien statt, und wir werden dort deshalb weiter investieren. Wie wirken sich die derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Spannungen in der Welt auf die Nachfrage Ihrer vermögenden Kunden aus?Es besteht ein unverändertes, eher noch gesteigertes Bedürfnis nach Beratung und Diversifikation. Das gilt nicht nur für Hongkong-Chinesen. Solche Überlegungen stellen auch europäische Kunden an. Auch sie möchten nicht alles Geld im Euroraum haben und legen einen Teil ihres Vermögens deshalb außerhalb ihres Domizillandes an. Spielt der Schweizer Finanzplatz in diesen Überlegungen immer noch eine Rolle?Ja, absolut. Die Schweiz wird gesucht für ihre stabile Währung, das zuverlässige Rechtssystem und die politische Stabilität. Diese Qualitäten manifestieren sich immer besonders stark in Phasen der Unsicherheit – wie auch gerade heute. Aber auch London, der größte internationale Finanzplatz weltweit, genießt viel Zuspruch – Brexit hin oder her. Große internationale Vermögen sind auch in den USA investiert. Es herrscht unter den Finanzplätzen rege Konkurrenz, und die Schweiz mit ihren starken Vermögensverwaltungsbanken gehört weiterhin zu den besten Adressen. Die Bank Julius Bär hat erst gerade 300 Stellen abgebaut und Ihr CEO sagte unlängst sinngemäß in einem Interview, dass es noch mehr werden könnten. Warum muss Julius Bär so sparen?Die ganze Branche geht durch eine tiefgreifende Transformation, und Effizienzsteigerungen sind in diesem Zusammenhang unerlässlich. Sie sind deshalb auch Teil unserer Strategie, die wir im Februar vorgestellt haben. Wir wollen aber nicht nur die Kosten senken, sondern gleichzeitig die Erträge steigern. Um das zu erreichen, werden wir auch etwa 20 % mehr investieren als bisher. Wir wirkt sich die Coronakrise auf Ihre Geschäfte aus?Die ersten vier Monate sind dank des außerordentlich hohen Volumens insgesamt gut gelaufen. Diese Entwicklung wird sich aber im weiteren Jahresverlauf nicht so fortsetzen. Positiv ist, dass die Aktienkurse sich so rasch wieder erholt haben, ist doch ein bedeutender Teil unserer Einnahmen von der Höhe der Kundenvermögen abhängig. Seit der Finanzkrise beklagt die Bankbranche die zunehmende Regulierung. Hat sich das Gejammer mit der Pandemie erübrigt – mindestens, was die verschärften Kapitalvorschriften anbelangt?Für Julius Bär als reine Vermögensverwaltungsbank war die Verschärfung der Kapitalvorschriften nie ein zentrales Thema. Wie wir auch in der aktuellen Krise sehen werden, trifft uns eine Rezession viel weniger stark als Banken, die ihr Geld im Kreditgeschäft verdienen. Wir vergeben keine Kredite an Unternehmen und müssen uns deshalb auch nicht mit Kreditausfällen als Folge von Konkursen auseinandersetzen. Ein stabiles Bankensystem muss auch im Interesse einer Vermögensverwaltungsbank sein.Ja. Ich sehe die schärferen Kapital- und Liquiditätsvorschriften auch nicht als Nachteil für unseren Finanzplatz. Sie erweisen sich gerade jetzt als Vorteil. Also hätte die Branche auch gut auf ihre ständigen Klagen von wegen Überregulierung verzichten können.Nein. Der Gegendruck war nötig. Es ging ja nicht um die Frage Regulierung ja oder nein. Es ging vor allem um das wie viel – nicht nur im Bereich der Kapitalvorschriften. Als Vermögensverwalter stoßen wir uns zum Beispiel sehr an der Idee, den Bankkunden a priori die Mündigkeit abzusprechen. Diese Denkweise ist aber via zweite europäische Finanzmarktdirektive Mifid auch ins schweizerische Finanzdienstleistungsgesetz eingeflossen. Stimmt der Eindruck, dass Sie ziemlich genervt von der Finanzmarktaufsicht waren, als diese Ihnen im Februar in den Dividendenentscheid reingeredet hat?Sagen wir es so: Der Dividendenvorschlag ist Aufgabe des Verwaltungsrates. Und dieser trifft seine Entscheidung aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der Situation des Unternehmens und nicht in der Absicht, die Aktionäre glücklich zu machen. Sie fühlten sich also bevormundet?Wie gesagt: Wir sind als reine Vermögensverwaltungsbank ganz anderen Risiken ausgesetzt als Kreditbanken. Dementsprechend hätten wir uns auch eine differenzierte Behandlung durch die Finanzmarktaufsicht gewünscht. Aber auf einem Finanzplatz bilden die Banken eine Schicksalsgemeinschaft. Eine schwache Bank kann das Vertrauen der Kunden bei allen anderen Banken aushöhlen.Ich will Ihnen gar nicht widersprechen, aber warum durften denn die Kantonalbanken ihre Dividenden planmäßig ausschütten und wir nicht? Warum werden Banken, deren Dividende in die Staatskassen fließt, anders behandelt als wir? Ist nicht die Börsennotiz das Problem? Eine einzelne börsennotierte Bank hätte doch kaum einen Dividendenverzicht aussprechen können, ohne dafür vom Kapitalmarkt hart abgestraft zu werden.Das ist ja genau der Punkt. Julius Bär ist eine gut kapitalisierte Bank. Wenn wir unsere Dividende ohne Not nicht oder nur teilweise auszahlen, dann fragen unsere Aktionäre sofort: Habt ihr ein finanzielles Problem? Zahlen Sie nicht den Preis, den eine Bank zahlen muss, wenn sie zu den großen Spielern auf dem Finanzplatz gehören will?Wir haben uns ja auch nicht wirklich gegen das Anliegen der Finma gesträubt. Ihr berühmter Vorgänger Hans Bär schrieb vor 16 Jahren in seinen Memoiren, die Schweizer Banken seien vom Bankgeheimnis fett und impotent geworden.Die Geschichte hat gezeigt, dass er recht hatte. Im klassischen Vermögensverwaltungsgeschäft waren die Schweizer Banken träge geworden. Es lag nicht nur an der operationellen Effizienz, sondern auch an den allzu geringen Ambitionen. Es kann ja nicht sein, dass der Mehrwert eines Vermögensverwalters nur darin besteht, einem Kunden sein teilweise unversteuertes Vermögen zu verwalten. Ich kann Ihnen versichern, dass sich unsere Industrie seit den Beobachtungen von Hans Bär massiv verändert hat. Sie klagen seit Jahren über rückläufige Margen. Ist das eine Nachwirkung des Bankgeheimnisses?Der Margenrückgang ist ein Fakt und ein langjähriger Trend. In vielen Branchen zahlen die Kunden heute nicht mehr gleich viel für eine Leistung wie vor zehn oder zwanzig Jahren. Das hat unter anderem mit der stärkeren Konkurrenz und im Bankensektor speziell auch mit den gestiegenen regulatorischen Auflagen zu tun. Aber wir machen wie gesagt auch viel gegen den Margenschwund. Sind die Schweizer Banken wettbewerbsfähiger geworden?Es war sicher gut, dass Hans Bär die Branche wachgerüttelt und ihr vor Augen geführt hat, dass sie fitter, agiler und schlanker werden muss und sich nicht auf dem erworbenen Besitzstand ausruhen darf. Sie können nicht nur sparen, sondern müssen auch wachsen und neue Kunden finden. Wie wir seit den großen Geldwäschefällen wie Petrobras, 1MDB, PDVSA oder Fifa wissen, ist das nicht ganz einfach.Das Bankgeschäft ist ein Risikogeschäft und wird es auch bleiben. Was Julius Bär betrifft, haben wir die Lehren aus unseren Fehlern gezogen und vor drei Jahren begonnen, diese Themen systematisch aufzuarbeiten. Dieses Jahr haben wir eine neue Strategie präsentiert, bei der das nachhaltige Gewinnwachstum im Zentrum steht. Geschäfte, unter denen unser guter Ruf leidet oder die uns lange Verfahren und Rechtskosten eintragen, tragen dazu nichts bei. Unsere Kundenberater müssen unter Umständen zu einem Geschäft auch Nein sagen können. Wir sind auch weit fortgeschritten, die finanziellen Leistungsanreize so zu ändern, dass sie nicht mehr das Volumenwachstum honorieren. Trotzdem kommen immer wieder neue Fälle aufs Tapet. Gerade hat die Finma ein Verfahren in einem argentinischen Geldwäschefall angestrengt.Es geht um eine Kundenbeziehung, die wir 2016 beendet haben und betrifft denselben Zeitraum, dieselben Märkte und dieselben Mängel, für die wir im Februar die Rüge der Finma erhalten haben. Wie im Februar dargelegt, hat die Bank in den letzten drei Jahren umfassende operative, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen, um das Kontrollsystem und die Risikokultur innerhalb der Gruppe zu stärken. Warum kommt dieser Argentinien-Fall erst jetzt ans Licht?Das müssen Sie die Finma fragen. Die Zürcher Staatsanwaltschaft prüft nun die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen Ihren ehemaligen CEO Boris Collardi. Wie schlimm ging es denn unter ihm zu und her in Ihrer Bank?Wie üblich kommentieren wir keine laufenden Verfahren. Wir haben derzeit keine Kenntnis von einer Vorabklärung der Staatsanwaltschaft und keine Kenntnis von Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Bank. Müssen Sie befürchten, dass noch mehr Altlasten auftauchen?Neben den vorhin erwähnten Maßnahmen, die wir seit drei Jahren rigoros umsetzen, arbeiten wir genauso konsequent auch mit Regulatoren in verschiedenen Ländern zusammen, um Fälle aus der Vergangenheit zu lösen. Das ist ein mehrjähriger Prozess. Wir sind zuversichtlich, dass er konstruktiv ist und uns nicht daran hindert, unsere Strategie umzusetzen oder unsere Ziele zu erreichen. Das Interview führte Daniel Zulauf.