Kunden sollten über ihren Schutz selbst entscheiden
Die Finanzmarktkrise, die vor zehn Jahren mit der Lehman-Pleite begann, beschreibt eine Zäsur. Für Kreditinstitute ebenso wie für Verbraucher. Eine ihrer wichtigsten Lehren war die Neubesinnung darauf, dass Bankgeschäfte Risiken bergen. Breite Bevölkerungsschichten haben das schmerzhaft erfahren müssen. Zu ihren Verlusten gesellte sich das Misstrauen, insbesondere gegenüber der Bankberatung. Politik, und Verbraucherschützer haben sich zu Recht dieses wichtigen Themas angenommen und für mehr Transparenz bei der Geldanlage gesorgt.Heute, zehn Jahre nach dem Lehman-Crash, bleibt festzuhalten, dass der politische Impuls, alles zu tun für die Finanzstabilität, in vielen mehrheitlich zu kleinteiligen und technischen Regularien umgesetzt wurde. Das mündet darin, dass Sparkassen ihre Kunden im Beratungsgespräch mit Papier überhäufen müssen und sich von Verbraucherschützern dem Vorwurf ausgesetzt sehen, sie würden nur ihre eigenen Produkte anbieten. Dabei blendet man offensichtlich aus, dass Kunden mit dem Betreten einer Sparkassen-Filiale eine bewusste Entscheidung für das rote S getroffen haben. Sparkassen haben längst erkannt, dass sie der Risikoneigung ihrer Kunden mehr Aufmerksamkeit widmen müssen. Sie sind aber inzwischen auch darauf verpflichtet worden, ihre Kunden zu fragen, welche möglichen Verluste sie zu tragen bereit sind. Danach richtet sich, welche Produkte der Berater seinem Kunden empfehlen kann. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, ist nun Gesetz.Am Ende jedoch zählen zufriedene Kunden. Folgerichtig haben die Sparkassen die Kundenzufriedenheit zum Mittelpunkt ihrer Geschäftsstrategie gemacht. Ihr Vertrauen in die Sparkassen macht die Institute zukunftsfest – zum Wohl der Region und der in ihr lebenden Menschen. Allein in Westfalen-Lippe führen mehr als 6 der 8,2 Millionen Einwohner ihr Konto beim Marktführer Sparkasse. Mehr als jeder zweite Mittelständler unterhält seine Erst- und Exklusiv-Bankverbindung zu einer Sparkasse. Vertrauen verdientDieses Vertrauen haben sich die westfälisch-lippischen Institute verdient, denn sie arbeiten solide. Im ersten Halbjahr 2018 ist die Bilanzsumme der 60 Häuser mit knapp 25 000 Beschäftigten auf 132,5 Mrd. Euro geklettert. Tragende Säulen waren der Anstieg des Kundenkreditbestands und der Zuwachs der Kundeneinlagen. Mehr als eine halbe Mrd. Euro haben die Institute im vergangenen Jahr durch Steuern, Spenden, Sponsoring und Ausschüttungen in die Region zurückgegeben.Sparkassen sind ein sichtbarerer Partner nicht zuletzt für die Erhaltung des öffentlichen Lebens. Auch dies fördert das Vertrauen der Menschen in ihre Sparkassen. Diese sind ihrerseits interessiert an einer persönlichen und vertrauensvollen, auf Langfristigkeit angelegten Geschäftsbeziehung zu ihren Kunden. Dafür bieten sie größtmögliche Nähe: In jeder Gemeinde in Westfalen-Lippe gibt es mindestens eine Sparkassen-Filiale. Darüber hinaus stehen den Kunden 1300 Geschäftsstellen und 2600 Geldautomaten zur Verfügung.Dennoch, trotz aller positiven Entwicklungen kommen Wolken auf am Horizont. Die Beziehung zwischen Berater und Kunde scheint mit einem pauschalen Misstrauen belegt zu sein. Dieser Eindruck entsteht, denn Kreditinstitute müssen Kunden vor Abschluss eines Geschäfts nicht nur umfangreiches Informationsmaterial aushändigen, sondern die erfolgte Beratung auch genau dokumentieren.Die Auflagen zum Verbraucherschutz haben im Gleichschritt mit Maßnahmen zur Regulierung der Kreditinstitute zugenommen. Wie an anderer Stelle schon für die Regulierung gefordert, ist es an der Zeit, auch im Verbraucherschutz die Forderungen zu überdenken und die Regelungen auf den Prüfstand zu stellen. In diesem Zusammenhang sei die Frage erlaubt, an welcher Stelle der notwendige Schutz des Verbrauchers in dessen Bevormundung oder gar Entmündigung umschlägt. Aus unserer Sicht da, wo die Kunden nicht mehr selbst entscheiden dürfen, ob sie geschützt werden wollen.Drei Aspekte verdienen besondere Aufmerksamkeit:1. die Informationspflichten, die einer Beratung vorausgehen müssen,2. die Pflicht zur Aufzeichnung wertpapierbezogener Beratungsgespräche,3. das Beraterregister.Vor Abschluss eines Geschäfts muss eine Sparkasse ihren Kunden über das betreffende Produkt, anfallende Kosten und die Sparkasse selbst informieren. Beim ersten Wertpapierkauf kommt so beispielsweise ein Papierstapel zusammen, der nicht auf einmal in einen Locher passt. Der Kunde hat keine Möglichkeit, auf die Informationsübermittlung zu verzichten. Selbst wenn er beispielsweise Fondsanteile im Internet kauft, muss er die Datei mit den Informationsbögen öffnen oder deren Kenntnisnahme bestätigen, um im Bestellprozess fortfahren zu können.Jedes einzelne Thema, zu dem Kreditinstitute informieren müssen, ist im Rahmen der politischen Diskussion als wichtig herausgestellt worden. In ihrer Menge aber führt die dadurch entstandene kleinteilige Bürokratie zu einer Informationsflut, die der Kunde in der Regel nicht mehr aufnehmen will. Ein mündiger Kunde sollte die Möglichkeit haben, sich bewusst gegen die Aushändigung bestimmter Informationen zu entscheiden, die ihm ansonsten automatisch zugehen. Alles andere ist eine Bevormundung und ab einem bestimmten Seitenumfang eine Zumutung.Eine weitere Belastung für die Vertrauensbeziehung zwischen Kreditinstitut und Kunde stellt die Pflicht zur Sprachaufzeichnung telefonischer Geschäfte mit Wertpapieren dar. Sie gilt seit Beginn dieses Jahres, als die zweite europäische Finanzmarktrichtlinie Mifid II (Markets in Financial Instruments Directive) in Kraft getreten ist. Zur Aufzeichnungspflicht gehören Informationen über die Kenntnisse des Kunden zu Wertpapiergeschäften, seine finanziellen Verhältnisse, seine Fähigkeit Verluste zu tragen, seine Anlageziele und seine Risikotoleranz. Manchem geht das deutlich zu weit.Aber auch hier kann der Kunde sich nicht für den Verzicht entscheiden. Im Gegenteil: Widerspricht er der Aufzeichnung, sind sowohl die telefonische Beratung zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers als auch das Geschäft selbst telefonisch nicht mehr möglich. Dabei ist derzeit nichts so wichtig in der strategischen Geldanlage wie das Geschäft mit Wertpapieren. Kunden, die ihr Vermögen aufbauen wollen, kommen um Wertpapiere nicht herum. Der Zugang zum Wertpapiergeschäft sollte ihnen nicht auch noch erschwert werden. Verärgerte VerbraucherNach den Erfahrungen der Sparkassen verärgern die bestehenden Informations- und Dokumentationspflichten selbst die Verbraucher. Das belegt eine Umfrage des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) unter 140 Sparkassen in diesem Frühjahr: Knapp 100 Institute berichteten von Beschwerden wegen verzögerter Orderausführungen durch die bürokratischen Hürden. Am liebsten würde ein Teil der Kunden auf Informationsblätter und Sprachaufzeichnung verzichten, gab jede zweite Sparkasse an. Etwa ebenso viele sagten, ihre Kunden bezweifelten den persönlichen Mehrwert der Unterlagen.Mit ihren deutschlandweit 136 000 Beratern stellt die Kreditwirtschaft erfolgreich eine qualifizierte Anlageberatung in der Fläche sicher. Dafür sprechen zwei Fakten: Erstens erfolgt statistisch gesehen pro Berater nur alle 25 Jahre eine Beschwerde. Zweitens nehmen die Beschwerden kontinuierlich ab. Von 2013 bis 2017 haben sie sich mehr als halbiert, wie aus Zahlen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zur Auswertung des Beraterregisters hervorgeht.Das Beraterregister führt seit Ende 2012 alle qualifizierten Anlageberater in Deutschland mit Namen, Einsatzstelle und Vorgesetztem. Es registriert jede Kundenbeschwerde zur erfolgten Anlageberatung in Wertpapieren – unabhängig davon, ob sie berechtigt ist oder nicht. Allein die Existenz des Registers schürte lange Zeit bei Beratern Unbehagen. Denn so gut die meist jahrelang gewachsene, von persönlicher Nähe getragene Kundenbeziehung auch ist, zu Unmutsbekundungen und Beschwerden kann es immer kommen.Sorgen bereiten Beratern die Eingriffsmöglichkeiten der BaFin, wie etwa eine Verwarnung oder ein Tätigkeitsverbot für bis zu zwei Jahre. Wenn Maßnahmen der BaFin drohen, werden Kreditinstitute meist von sich aus tätig. Sie versetzen den betreffenden Berater oder kündigen ihm. Sinnvoll korrigierenIn Zeiten des demografischen Wandels stellt es für Kreditinstitute eine wachsende Herausforderung dar, geeignete Mitarbeiter für die Beratung zu finden. Sparkassen legen hohe Maßstäbe an die Qualität ihrer Kundenbetreuer. Diese sind gut ausgebildet und verfügen über regionale Expertise. Sie kennen die Bedürfnisse ihrer Kunden und sprechen deren Sprache, um sie passgenau in Finanzfragen beraten zu können. Die Sorge vor dem Beraterregister hat sich für die Kundenberater der Sparkassen aus heutiger Sicht als unbegründet erwiesen.Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Verbraucherschutz in der Kundenberatung der Banken und Sparkassen eine Geeignetheitsprüfung – um es mit einem Fachbegriff für die dokumentierte Wertpapierberatung aus Mifid II zu sagen – selbst gut gebrauchen kann. Darauf aufbauend lässt sich dann eine sinnvolle Korrektur vornehmen.—-Liane Buchholz, Präsidentin des Sparkassenverbandes Westfalen-Lippe