EUROPEAN BANKING CONGRESS

Lagarde nimmt Politik in die Pflicht

EZB-Chefin fordert mehr öffentliche Investitionen und eine Stärkung des Binnenmarkts

Lagarde nimmt Politik in die Pflicht

Bei ihrem ersten Auftritt auf einer finanzpolitischen Konferenz seit Amtsantritt hat EZB-Präsidentin Christine Lagarde klare Forderungen an die nationalen Regierungen formuliert. Sie warb für eine Stärkung der Binnennachfrage – auch um der Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft willen.fed Frankfurt – Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) hielt sich bei ihrem Impulsvortrag anlässlich des European Banking Congress mit geldpolitischen Hinweisen zurück. Sie wies lediglich darauf hin, dass die Geldpolitik “weiterhin die Wirtschaft unterstützen und auf zukünftige Risiken reagieren wird – im Einklang mit unserem Mandat für Preisstabilität”. Zudem bekräftigte sie, was zuletzt ihr Stellvertreter Luis de Guindos unterstrichen hatte: “Wir werden die Nebeneffekte unserer Geldpolitik stetig beobachten.” Darüber hinaus beschäftigte sich Lagarde bei ihrem Premieren-Auftritt als EZB-Chefin aber vor allem mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik – mit dem Argument, dass die Geldpolitik ihre Ziele effektiver erreichen könne, wenn andere Politiken sie unterstützten.Wie das am besten geschehen soll, darüber äußerte Lagarde sehr konkrete Vorstellungen. Um Europas Volkswirtschaften widerstandsfähiger gegen Schocks oder globale Konjunkturabschwünge zu machen, forderte sie Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage. Denn eine solche Stärkung des Binnenwachstums bilde eine Voraussetzung, um in Zeiten langfristiger weltweiter Herausforderungen wettbewerbsfähig zu bleiben.” An die Adresse der Finanzpolitik gerichtet, stellte Lagarde die Forderung auf, einen größeren Teil der öffentlichen Ausgaben für Investitionen zu nutzen. Die staatlichen Investitionen lägen in einigen Teilen der Eurozone noch immer unter dem Niveau vor der Finanzkrise. Es komme nun darauf an, dass sowohl nationale Regierungen als auch die EU – beispielsweise mit ihrem Rahmenprogramm InvestEU – eine aktive Rolle spielten. Ruf nach Digital-BinnenmarktZugleich gehe es aber auch darum, mehr private Investitionen zu mobilisieren. Der Schlüssel hierfür liege in einer Stärkung des Binnenmarkts, argumentierte Lagarde. Konkreter als ihr Vorgänger Mario Draghi sprach sie ausdrücklich spezifische europäische Vorhaben wie etwa die Fortentwicklung des digitalen Binnenmarkts oder des Dienstleistungs-Binnenmarkts an. Damit einhergehend machte sich die Französin auch für Fortschritte bei der Kapitalmarktunion und der Vervollständigung der Wirtschafts- und Währungsunion stark.Nach Ansicht von Lagarde muss es dabei darum gehen, eine Balance zu finden zwischen Risikoteilung, wie sie insbesondere die Südländer verlangen, und Risikoabbau, auf den vor allem Deutschland pocht. Schlage das Pendel zu sehr in die eine Richtung aus, bestehe die Gefahr, dass zu stark gespart werde. In anderer Richtung drohe unterdessen das Risiko des Moral Hazard, also von Fehlanreizen zu leichtsinnigem finanzpolitischen Handeln auf Kosten der Partner. “Wir haben die einzigartige Möglichkeit, auf eine sich wandelnde und herausfordernde Welt zu reagieren, indem wir in unsere Zukunft investieren, unsere gemeinsamen Institutionen festigen und die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt stärken”, lautete das Fazit von Lagarde. Weidmann warntAuf der gleichen Konferenz erneuerte Bundesbankpräsident Jens Weidmann seine Warnung mit Blick auf die Gefahren einer langen Phase niedriger oder gar negativer Zinsen. Je länger dieser Zeitraum anhalte, desto stärker und anhaltender wären die Belastungen für Kreditinstitute, die ihre Erträge traditionell aus dem Einlagen- und Kreditgeschäft erzielten. Das sei aktuell im Euro-Währungsraum zu beobachten.Zwar sei es nicht Aufgabe der Währungshüter, die Profitabilität der Institute sicherzustellen. Allerdings könnten sich die Banken durch den anhaltenden Druck auf die Erträge veranlasst sehen, ihre Kreditvergabe zurückzufahren – und zwar trotz der Anreize einer sehr lockeren Geldpolitik. Auf diese Weise werde aber gerade die Transmission der Geldpolitik in die reale Wirtschaft – also die Wirkung der Notenbankentscheidungen – beeinträchtigt, mahnte der Bundesbankchef.Über die Banken hinaus gebe es aber auch andere unerwünschte Nebeneffekte. So könnte eine lange Phase niedriger Zinsen die Investoren in unangemessen hohe Risiken treiben. Daraus wiederum könnten sich finanzielle Unwuchten ergeben, die ihrerseits die Fähigkeit der Europäischen Zentralbank untergraben, für stabile Preise zu sorgen.Zwar sei es Aufgabe der makroprudenziellen Aufsicht, finanziellen Ungleichgewichten vorzubeugen. Gleichwohl könne sich die Geldpolitik nicht selbstgefällig zurücklehnen, wenn ihr Kurs dazu beitrage, dass sich langfristig Risiken aufbauten.