"Lange vom Finanzsystem ausgeschlossen"
Die US-Tochter des Allianz-Konzerns fokussiert bewusst auf Minderheiten, denen der Zugang zur Altersvorsorge bislang oft verschlossen blieb. Um diese Zielgruppen zu erreichen, beziehe Allianz Life die entsprechenden Mitarbeiternetzwerke bewusst ein, sagt Top-Managerin Cecilia Stanton Adams. Frau Stanton Adams, die Allianz Life hat ihren Hauptsitz in Minneapolis, wo der Afroamerikaner George Floyd vor laufender Kamera von einem weißen Polizisten getötet wurde. Wie haben Sie und Ihre Kollegen darauf reagiert?Es war für alle Menschen entsetzlich mitanzusehen, wie jemand ermordet wird. Zusammen mit der Covid-19-Pandemie hat der Tod von George Floyd das Land an den Siedepunkt gebracht. Bei unseren Mitarbeitern gab es eine große Bandbreite von Emotionen. Wir haben schwarze Angestellte, die diesen Schmerz sehr tief empfinden, die ihr ganzes Leben lang systemischen Rassismus erlebt haben. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die dachten, wir hätten schon viel größere Fortschritte gemacht. Der Vorstand der Allianz Life hat danach nicht nur seiner Erschütterung über den Mord Ausdruck verliehen, sondern auch Engagement zur Überwindung von Rassismus versprochen. Wieso äußern sich Unternehmen verstärkt zu gesellschaftlichen Fragen?Das ist in der Tat ziemlich neu. Viele Unternehmen orientieren sich stärker an den nachhaltigen ESG-Kriterien. Also an Aspekten von Umweltschutz, sozialen Belangen und guter Unternehmensführung.Was im Gegenzug bedeutet, dass Unternehmen auch Teil des Entscheidungsprozesses sein wollen. Unternehmen erkennen ihren großen Einfluss an und engagieren sich gesellschaftlich stärker. Das wird auch von den jüngeren Mitarbeitern vorangetrieben. Millennials legen großen Wert darauf, für ein Unternehmen zu arbeiten, das sich an ihren Werten orientiert. Gab es eine Debatte, ob die Allianz Life öffentlich Stellung nehmen soll? Einigen Unternehmen wurde danach vorgehalten, selbst nicht genug für Vielfalt in der Belegschaft zu tun.Nein, im Vorstand waren alle an Bord. Die Debatte drehte sich eher um die Botschaft. Wir wollten nicht nur eine wirkungsvolle Aussage treffen, sondern uns als Organisation auch verpflichten, uns weiter zu verändern. Wir haben unserem bereits ziemlich gründlichen Diversitätsplan weitere Komponenten hinzugefügt. Wir haben uns gefragt, wie wir mehr Gespräche über das Thema Rasse anstoßen und was wir bei der Einstellung von Leuten mit unterschiedlicher Herkunft besser machen können. Sie sind seit Oktober auf Vorstandsebene für Vielfalt und Inklusion im Unternehmen verantwortlich. Warum hält die Allianz Life diese neu geschaffene Position für notwendig?Es gibt viel mehr demografische Vielfalt als zu irgendeiner anderen Zeit unserer Geschichte. Unternehmen müssen sich flexibel daran anpassen. Es gibt neue, sich entwickelnde Märkte, deren Kunden andere Werte und unterschiedliche Bedürfnisse haben. Das betrifft auch die Zusammensetzung der Mitarbeiter. Um innovative Produkte und Dienstleistungen für diesen vielfältigen Marktplatz zu schaffen, brauchen sie verschiedene Perspektiven. So bewegen sie sich weg vom Gruppendenken, bei dem niemand den anderen herausfordert. Warum aber eine solche Position im Vorstand?Beim Thema Vielfalt und Inklusion muss es sowohl ein Top-down als auch ein Bottom-up geben. Das heißt: Die Führungskräfte vermitteln die Botschaft und setzen ein Signal für die Prioritäten. Sie brauchen aber auch die Unterstützung der Mitarbeiter. Bei der Allianz Life spielen vier Mitarbeiternetzwerke eine wichtige Rolle – für Frauen, für ehemalige Soldaten, für LGBTQ-Mitarbeiter und für schwarze Angestellte. Wie passen Sie sich den gesellschaftlichen Veränderungen konkret an?Wir gehen beispielsweise mit einem spezifischen Programm auf die LGBTQ-Gemeinschaft zu. Auf Karrieremessen weisen wir uns mit Aufklebern als “Ally”, als Verbündete, aus. Damit signalisieren wir, dass Lesben und Schwule bei uns willkommen sind. Diese kleinen Dinge machen einen großen Unterschied. Gleichzeitig untersuchen wir, was dieser Kundengruppe bei Entscheidungen über Lebensversicherungen oder Finanzen im Allgemeinen wichtig ist. Gehen Sie auch stärker auf Afroamerikaner zu?Afroamerikaner waren viele Jahre lang vom Finanzsystem ausgeschlossen. Deshalb gibt es große Ungleichheiten beim Zugang zu Lebensversicherungen oder Altersvorsorge. Das beginnt sich jetzt zu öffnen. Viele Unternehmen erkennen, dass es sich um wichtige Märkte handelt, die wir noch nicht wirklich erschlossen haben. Wir konzentrieren uns daher definitiv sehr auf Afroamerikaner in der Belegschaft. Ende des vergangenen Jahres waren 3,8 % unserer insgesamt 2 015 Mitarbeiter Afroamerikaner. Die große Mehrheit der Belegschaft – 84,5 % – ist weiß. Das afroamerikanische Mitarbeiternetzwerk spielt eine wichtige Rolle für unsere schwarzen Angestellten, um sich gegenseitig beim beruflichen Aufstieg und bei der Förderung durch Mentoren zu helfen. Es ist wichtig, dass die Mitarbeiter erfolgreiche Menschen sehen, die so aussehen wie sie selbst. Das Netzwerk macht auch schwarze Führungskräfte zugänglich. Das inspiriert Leute, die am Anfang ihrer Karriere stehen, ihren Weg bei uns fortzusetzen. Im besten Fall muss ein Unternehmen dann auch nicht viel Geld für Stellenanzeigen ausgeben, weil Mitarbeiter ihre positiven Erfahrungen in den sozialen Medien teilen. Fürchten Sie keinen Widerstand? Immerhin schürt der US-Präsident Ressentiments von Weißen gegenüber Minderheiten.Ich glaube, dass bei weißen Mitarbeitern eine gewisse Angst besteht, künftig keine Chancen mehr zu haben. Ich sehe das so: Wir werden als Organisation weiter wachsen. Und wir müssen unsere Fähigkeit stärken, mehrere Perspektiven zu haben und innovativ zu sein. Für Weiße ist das genauso ein Gewinn wie für Schwarze. Wir müssen die Menschen daran erinnern, dass Wachstum nicht bedeutet, dass es weniger Chancen geben wird, sondern mehr. Haben Sie schon eine Pipeline für afroamerikanische Führungskräfte?Wir arbeiten daran. Wir müssen sicherstellen, dass wir diese Talente frühzeitig erkennen und dass wir ihnen Entwicklungsmöglichkeiten geben. Ich würde gerne einmal eine schwarze Vorstandschefin oder einen schwarzen Vorstandschef bei der Allianz Life sehen. Das Interview führte Norbert Kuls.