IM BLICKFELD

Lebensversicherer geraten immer stärker unter Druck

Von Antje Kullrich, Köln Börsen-Zeitung, 15.1.2021 Die Lebensversicherung ist in Deutschland nach wie vor ein Verkaufsschlager: Etwa fünf Millionen neue Verträge haben die Anbieter in den vergangenen Jahren pro Jahr verkauft. Auch wenn es im...

Lebensversicherer geraten immer stärker unter Druck

Von Antje Kullrich, KölnDie Lebensversicherung ist in Deutschland nach wie vor ein Verkaufsschlager: Etwa fünf Millionen neue Verträge haben die Anbieter in den vergangenen Jahren pro Jahr verkauft. Auch wenn es im Corona-Jahr 2020 durch den Lockdown und die damit verbundenen Vertriebseinschränkungen etwas weniger gewesen sein dürfte, zeigt sich die Branche für 2021 bereits wieder optimistisch. Die Lebensversicherer hoffen, dass die Verbraucher ihr gespartes Geld, das sie zuletzt zum Beispiel nicht für Urlaubsreisen ausgeben konnten, in die Altersvorsorge stecken. Die Kunden haben die neuen Produkte der Branche, die weit weniger und flexiblere Garantien bieten als früher, inzwischen längst angenommen. Altlasten machen ProblemeDoch hinter den Kulissen sieht es inzwischen zunehmend düsterer aus. Die Lebensversicherer drücken ihre Altlasten immer stärker. Dafür gibt es diverse Indikatoren: So wird die Zuführung zur Zinszusatzreserve (ZZR) für die Unternehmen immer mehr zum Kraftakt. Der 2011 eingeführte Puffertopf, dem die Lebensversicherer jährlich Mittel zuführen müssen, soll sicherstellen, dass auch in etwas fernerer Zukunft die Unternehmen ihre Verpflichtungen erfüllen können. Doch die jährlich notwendigen Dotierungen schossen so schnell in die Höhe, dass das langfristig ausgelegte Sicherungsinstrument kurzfristig zum Problem wurde und einigen Versicherern die Luft abzuschnüren drohte. 2018 wurde die Berechnungsmethode geändert, um die Dotierung der ZZR zeitlich zu strecken. Zwang zu MilliardenreserveDoch die Zinssituation hat sich so dramatisch verschärft, dass auch das kaum mehr ausreicht: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) prognostiziert, dass die Lebensversicherer allein für 2020 rund 10,5 Mrd. Euro für die ZZR zurückstellen müssen. 2021 dürfte es dann mit 10,4 Mrd. Euro noch einmal etwa genauso viel werden. Das ist gut dreimal so viel wie einst bei der Änderung der Berechnungsmethode kalkuliert worden war. Der oberste Versicherungsaufseher, BaFin-Exekutivdirektor Frank Grund, nannte die ZZR deshalb kürzlich auch eine “deutliche Belastung” für die Unternehmen. Zum Teil müssten auch schon wieder stille Reserven für die Bildung aufgelöst werden – ein für die Kapitalanleger ungünstiger Schritt, der eigentlich vermieden werden sollte. Die Dramatik der Lage zeigt sich auch in den Deklarationen für die Überschussbeteiligung 2021. Hier sehen sich auch große Anbieter wie die Debeka und die R+V, die zu den Top 5 am Markt gehören, zu drastischen Schritten gezwungen: Die Debeka rutscht mit ihrer Kürzung der laufenden Verzinsung um 0,5 Prozentpunkte auf 1,25 % an das Marktende. Bei der R+V fällt die Senkung noch größer aus: In ihrem Lebensversicherungsverein auf Gegenseitigkeit kürzt sie von 2,3 auf 1,25 %, in der R+V Leben AG von 2,3 auf 1,75 %. Es sei wichtig, auch im aktuellen Negativzinsumfeld langfristig alle eingegangen Verpflichtungen zu erfüllen, erläuterte das Unternehmen. “Die R+V kalkuliert deshalb zeitgemäß und dabei zugleich vorausschauend”, hieß es auf Anfrage. Am Gesamtmarkt dürfte die Überschussbeteiligung 2021 im Durchschnitt bei knapp über 2 % liegen.Immerhin: Die Zahl der Lebensversicherer und Pensionskassen, die die BaFin genauer beobachtet und damit zu den potenziellen Wackelkandidaten zählt, steigt derzeit nicht. Die Behörde führt etwa ein Viertel aller Anbieter unter intensivierter Aufsicht. Bei den Lebensversicherern sind es rund 20 von etwa 80 Unternehmen, bei den Pensionskassen 36 von 135 Einrichtungen. Bei den Pensionskassen hat das Dauer-Zinstief schon erste Opfer gefordert: Gerade gestern teilte die BaFin mit, dass die Kölner Pensionskasse sowie die Caritas-Pensionskasse endgültig abgewickelt werden (siehe auch Seite 4).Zwei Entwicklungen haben das Potenzial, die Situation der deutschen Lebensversicherer noch schneller zu verschärfen. Die Auswirkungen der Coronakrise auf die Kapitalanlagen der Altersvorsorgeanbieter sind derzeit noch nicht detailliert zu prognostizieren. Doch in der Tendenz dürfte die erwartete Insolvenzwelle in der Wirtschaft zahlreiche Ratingherabstufungen nach sich ziehen und in Einzelfällen auch für Ausfälle festverzinslicher Papiere sorgen. Das könnte einerseits die Kapitalanlageergebnisse direkt unter Druck setzen und andererseits die Eigenmittelanforderungen erhöhen, weil die Lebensversicherer für Papiere von bonitätsschwächeren Adressen mehr Kapital vorhalten müssen. Kapitalbedarf steigtDie deutschen Lebensversicherer fürchten außerdem steigenden Eigenmittelbedarf durch die anstehende erste größere Reform des seit 2016 geltenden Regelwerks Solvency II. Die im Dezember von der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA an die EU-Kommission übermittelten Vorschläge führten zu zusätzlichem Kapitalbedarf “in erheblichen Maße”, hatte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft gewarnt. Auch das würde die Lage von Anbietern mit hohen Altbeständen nicht rosiger werden lassen.