FINANZEN UND TECHNIK - GASTBEITRAG

Legal Tech - Die Zukunft hat begonnen

Börsen-Zeitung, 7.12.2019 Der 19. September 2019 dürfte als einer der Tage in die Geschichte des modernen Bankings eingehen, die man der Kategorie "Meilensteine" zuordnen kann: Als erste europäische Großbank emittierte der spanische Banco Santander...

Legal Tech - Die Zukunft hat begonnen

Der 19. September 2019 dürfte als einer der Tage in die Geschichte des modernen Bankings eingehen, die man der Kategorie “Meilensteine” zuordnen kann: Als erste europäische Großbank emittierte der spanische Banco Santander eine Anleihe auf Blockchain-Basis. Auch wenn es sich um ein Pilotprojekt handelte, zeigte der Launch sehr deutlich: Der digitale Wandel im hoch regulierten Finanzsektor ist unumkehrbar. Zugleich entsteht an dessen Peripherie eine neue Industrie, die regulatorische Anforderungen in technische Lösungen übersetzt: Start-ups, die in Anlehnung an die Fintech-Branche als Legal Techs bezeichnet werden. Blockchain-basierte EmissionIm Falle der mit Blockchain-Technologie emittierten Santander-Anleihe war das Londoner Fintech-Unternehmen Nivaura involviert. Der nach den EU-Finanzmarktregeln regulierte Dienstleister entwickelt und implementiert digitalisierte und automatisierte Prozesse für Akteure im Kapitalmarkt. Technologisch handelt es sich hierbei um eine modular aufgebaute Plattform, die ganz unterschiedlichen Zwecken dienen kann: Banken setzen Nivaura zur Verwaltung interner Prozesse ein, als Service-Portal gegenüber Kunden oder, wie geschehen bei Santander – und vorher bereits bei mehreren Industrieunternehmen -, um die direkte Emission von Wertpapieren zu ermöglichen. Nivaura war 2017 das erste Unternehmen, das sich dem im selben Jahr gegründeten Legal-Tech-Inkubator Fuse von Allen & Overy anschloss.Dass die immer stärker um sich greifende Regulierung der Finanzbranche große Mühen abverlangt, ist weithin bekannt. Insbesondere die mangelnde Vorhersehbarkeit der Auswirkungen neuer Finanzmarkt- und Bankenregeln stellt die Branche nicht nur bei Transaktionen immer wieder vor Probleme, sondern auch, wenn es um neue Produkte oder Umstrukturierungen im eigenen Haus geht.Als dienlich empfinden Verantwortliche aus der Branche ein Tool, das ihnen hilft, neue regulatorische Initiativen frühzeitig zu erkennen, und welches die praktischen Änderungen sichtbar macht. Genau diesen Zweck verfolgt das von der Kanzlei selbst entwickelte Regulatory Gateway. Zusätzlich umfasst das Tool eine Bestandsaufnahme aller europäischen und nationalen Rechtsakte, die regulierte Unternehmen der Finanzbranche betreffen, klar geordnet nach Themengebieten. Grundlage des Regulatory Gateway sind Tools, die ursprünglich zur kanzleiinternen Qualitätssicherung entwickelt wurden. Das Gateway bündelt und ergänzt diese laufend auf einem Portal.Bis hierher sind es also zwei Möglichkeiten, juristische Tätigkeiten und Tech-Entwicklung miteinander zu kombinieren: über einen kanzleieigenen Inkubator oder durch kanzleiinterne Eigenentwicklungen. Es gibt aber noch eine dritte Variante: die Zusammenarbeit zwischen am Markt bekannten Legal-Tech-Unternehmen und Kanzlei, so aktuell geschehen bei Allen & Overy und Lexemo. Hierbei ging es darum, das Informationsangebot um Handlungsempfehlungen zur Einhaltung der stetig steigenden regulatorischen Anforderungen zu erweitern.Doch die Übersetzung der regulatorischen Dichte in die Bedingungen der digitalen Wirtschaft ist nur eine Herausforderung. Die andere ergibt sich aus den Anforderungen von Rechtsabteilungen – ganz gleich ob in Banken oder Industrieunternehmen – an digitale Technologien. Bekannte Technologien können nicht eins zu eins übertragen, sondern müssen adaptiert, oftmals sogar völlig neu entwickelt werden. Ende des Silo-DenkensTechnologien, Ideen und Produkte allein machen jedoch den Erfolg nicht aus. In Rechtsabteilungen und Kanzleien müssen Arbeitsmethoden entwickelt und implementiert werden, die es ermöglichen, etwa blockchainbasierte Emissionen umzusetzen. Was Management-Berater seit Jahrzehnten fordern, wird nun gelebt: das Ende des sogenannten Silo-Denkens. Im Falle der Zusammenarbeit mit den Legal Techs von Fuse sieht dies folgendermaßen aus: In der Legal-Tech-Gruppe unter dem Dach von Allen & Overy befassen sich mehr als 50 Juristen, Informatiker und Innovationsexperten mit Themen, die die Mandanten umtreiben. In der konkreten Fallbearbeitung sitzen Legal Tech, Mandant und beratende Anwälte an einem Tisch und arbeiten gemeinsam. Der Vorteil: Der Mandant kann unmittelbar äußern, was er wirtschaftlich will, die Vertreter des Legal Techs entwickeln die digitale Lösung, und die Anwälte verpassen dem Ganzen einen wasserdichten rechtlichen Rahmen. Mit diesem Ansatz, der dem Konzept des agilen Arbeitens folgt, sichern sich die Legal Techs zugleich in einem hochkomplexen und hochregulierten Umfeld ab. Mensch bleibt unersetzlichGleichwohl sind digitale Technologien in rechtlichen Fragestellungen, sei es im Bankwesen, in den Finanzmärkten oder in Industrie und Handel, nicht schrankenlos einsetzbar. Digitale Technik spielt ihre Vorteile vor allem dann aus, wenn Aufgaben mit hohem Wiederholungsgrad zu bewältigen und große Datenmengen zu verarbeiten sind. Dies gilt beispielsweise für die Vereinheitlichung von Vertragswerken, die formelle Due-Diligence-Prüfung, Bestandsanalysen im Kapitalmarktgeschäft im Hinblick auf Geldwäsche-Themen oder die regulatorische Compliance. Überall jedoch, wo die Beurteilung einer realen, manchmal streitigen Situation gefragt ist, sind juristische Methoden und menschliches Urteilsvermögen unersetzlich. Henrik von Wehrs, Legal Tech Engagement Manager Europe, Allen & Overy