Lieferkettengesetz irritiert Finanzbranche
Von Stefan Reccius, Brüssel
Deutsche Banken ringen mit dem neuen Lieferkettengesetz. Das gerade in Kraft getretene Gesetz verpflichtet große Unternehmen, auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten zu achten. In der Finanzbranche rätselt man dem Vernehmen nach, was das konkret für die Institute bedeutet. Seit Monaten warten Branchenvertreter informierten Kreisen zufolge auf Instruktionen der zuständigen Behörde. „Wir hängen in der Luft“, heißt es.
Klar ist nur: Auch Banken und Finanzdienstleister mit mindestens 3000 Mitarbeitern in Deutschland stehen seit 1. Januar in der Pflicht. Das stellt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auf Anfrage klar: „Die Unternehmen müssen kontinuierlich und eigenverantwortlich prüfen, ob sie in den Anwendungsbereich des LkSG fallen.“ LkSG steht für Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. In der Branche setzt man darauf, dass bald EU-weit einheitliche Sorgfaltspflichten das nationale Lieferkettengesetz ablösen und für mehr Klarheit sorgen. Doch wie der Gesetzgebungsprozess in Brüssel ausgeht, ist völlig offen.
Abwarten ist ohnehin keine Option, sagt Thomas Grützner, Partner der Kanzlei Latham & Watkins: „Banken und Versicherer müssen sich Gedanken machen, wo und wie das Lieferkettengesetz für sie schon jetzt greift.“ Nach Informationen der Börsen-Zeitung bereitet ihnen das große Probleme. Das Gesetz sei „primär für die Realwirtschaft“ geschrieben, heißt es in Branchenkreisen. Dort beklagt man sich über unzureichende Informationen. „Viele branchenspezifische Punkte bedürfen einer Klärung“, heißt es. Jedoch sei außer eines Katalogs allgemeiner Fragen und Antworten (FAQ), Handreichungen und einer Grundsatzerklärung trotz gegenteiliger Ankündigungen nichts passiert.
Das BAFA gibt allen Unternehmen wie berichtet knapp anderthalb Jahre Aufschub, um den Berichtspflichten nachzukommen (vgl. BZ vom 26. Januar). Ansonsten greifen die Sorgfaltspflichten allerdings schon jetzt. Ausschlaggebend sei, „ob ein Bestandteil oder eine Dienstleistung im fertigen Produkt eine Funktion erfüllt oder im Herstellungsprozess eine Rolle spielt und dieser ohne diesen Bestandteil oder diese Dienstleistung nicht reibungslos funktionieren würde“: So die sperrige Definition des BAFA. Beispielhaft nennt die Behörde „unter anderem“ IT-Ausstattung für Büros und Dienstleistungen, „wie zum Beispiel die Reinigung unternehmenseigener Büroflächen als auch die Beauftragung von Marktforschungsunternehmen“. Die Sorgfaltspflichten könnten „sämtliche Geschäftsbereiche der Banken und Finanzdienstleister betreffen“.
In der Branche sorgt das für erhebliche Irritationen. Man gebe sich alle Mühe, heißt es mit Blick auf interne Beschwerdeverfahren. Es sei aber unklar, ob die Sorgfaltspflichten sich auf das Kerngeschäft erstrecken, also auf Refinanzierung, Einlagen, Derivate oder die Emission von Wertpapieren. Darauf gebe es keine Antworten. Diese Situation sei schwierig. Gesichert scheint nur: Kreditvergabe und Investmentgeschäft sind nicht betroffen, weil das Gesetz lediglich auf die vorgelagerte Lieferkette abzielt, nicht auf Abnehmer.
Kontroverse im EU-Parlament
Mit einem EU-weiten Lieferkettengesetz könnte sich das ändern. Es gibt Bestrebungen, Banken und Finanzdienstleister als „Hochrisikosektor“ einzustufen. Das fordert der Handelsausschuss und hätte besonders weitreichende Sorgfaltspflichten zur Folge. Außerdem will der Handelsausschuss, dass Sorgfaltspflichten in der gesamten Wertschöpfungskette gelten. Für Finanzdienstleister könnte das bedeuten, dass sie künftig auch bei der Kreditvergabe genauer hinschauen müssen. In der Finanzbranche sieht man solch weitreichende Forderungen naturgemäß kritisch.
„Keine Ausnahmen für die Finanzlobby“, fordert der SPD-Abgeordnete René Repasi aus dem Wirtschafts- und Währungsausschuss (Econ). Der Econ will ebenfalls Sorgfaltspflichten für die Finanzindustrie, dringt aber auf einen Mittelweg. Dagegen hat der Industrieausschuss den Finanzsektor aus einschlägigen Passagen gestrichen. Es gelte sicherzustellen, „dass nicht durch überbordende Bürokratie der Zugang zu Krediten und Versicherungen für Betriebe erschwert wird“, sagt die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler.
Auf den federführenden Rechtsausschuss wartet somit eine schwierige Aufgabe. Er muss die in der abgelaufenen Woche beschlossenen Stellungnahmen zu einer gemeinsamen Position zusammenführen. Die Beratungen im Rechtsausschuss stehen dem Vernehmen nach im Februar oder März an. Im Mai könnte die Verhandlungsposition des Parlaments nach Lage der Dinge das Plenum passieren. Das mündet in Verhandlungen mit EU-Kommission und EU-Staaten. Die Finanzminister wollen erreichen, dass jeder Mitgliedstaat Sorgfaltspflichten für die Finanzbranche selbst regeln kann.