Lineares Wirtschaftsmodell stößt an seine Grenzen

Neues wirtschaftliches Paradigma: reduzieren, recyceln und wiederverwenden - Die "Circular Economy" erweist sich als Zukunftsmarkt für Finanzdienstleister

Lineares Wirtschaftsmodell stößt an seine Grenzen

Seit dem Beginn der Industriellen Revolution vor rund 250 Jahren befindet sich die Weltwirtschaft auf einem steilen Wachstumskurs, der von immer neuen technologischen Entwicklungen angetrieben wurde. Dampfmaschine, Elektrizität, Automobil, Flugzeug oder Computer: Jede Entwicklung brachte einen neuen Schub an Produktivität und wirtschaftlichem Wachstum, aber auch an Verbrauch von natürlichen Ressourcen. Lange galten diese Ressourcen als unerschöpflich. Diese vermeintliche Gewissheit führte zur globalen Dominanz eines linearen Produktionsmodells, das nach dem Prinzip von “nehmen, herstellen und entsorgen” funktionierte.Das Modell ging jedoch von Beginn an mit problematischen Nebeneffekten wie zum Beispiel Luft- und Wasserverschmutzung, der Abholzung riesiger Waldflächen oder dem Verlust von Artenvielfalt einher. Die Auswirkungen dieses Raubbaus treten immer spürbarer ins Bewusstsein, zumal der seit wenigen Jahrzehnten weltweit zunehmende Wohlstand zu einer weiteren Verschärfung der Problematik geführt hat. Die Erkenntnis wächst, dass das lineare Wirtschaftsmodell an seine Grenzen stößt. ParadigmenwechselKnapper werdende Rohstoffreserven einerseits und zunehmend kritische Konsumenten andererseits zwingen viele Unternehmen zu einem Umdenken. “Reduzieren, recyceln und wiederverwenden” ist das neue wirtschaftliche Paradigma. Es findet seinen Niederschlag im Konzept der Kreislaufwirtschaft. Ziel der “Circular Economy” ist die grundsätzliche Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch. Das Konzept basiert daher darauf, in der Unternehmenssteuerung neben klassischen Finanzkennzahlen wie Umsatz oder Gewinn auch soziale und umweltbezogene Werte zu berücksichtigen. Die Idee findet ihren Ausdruck in unterschiedlichen Geschäftsmodellen, die eines gemeinsam haben: Sie wollen den Einsatz neuer Ressourcen entlang des Produktionsprozesses möglichst niedrig halten.Dabei setzen einige Unternehmen auf der Inputseite auf komplett erneuerbare, recycelbare oder biologisch abbaubare Materialien. Gleichzeitig werden Produkte, die das Ende ihres Lebenszyklus erreicht haben, durch Re- oder Upcycling ganz oder teilweise in den Lebenszyklus neuer Produkte integriert. Andere Geschäftsmodelle sind darauf ausgerichtet, die Nutzungsdauer von Produkten durch Reparatur, Nachrüstung, Aufarbeitung oder Weiterverkauf auf Gebrauchtmärkten zu verlängern. Das vielleicht bekannteste Beispiel für Kreislaufwirtschaft sind sogenannte Sharing-Modelle, bei denen sich mehrere Nutzer eines Produktes zusammenschließen, statt es zu besitzen. Wenn nicht der Besitz eines Produktes, sondern der damit verbundene Nutzen im Vordergrund steht, ist für die Hersteller der Anreiz gegeben, ihre Produkte langlebiger zu gestalten. Haltbarkeit wird zu einem wichtigen Umsatztreiber. Interessante UnternehmenFür Finanzunternehmen sind Unternehmen der Kreislaufwirtschaft unter verschiedenen Aspekten interessant. Zum einen erwarten Experten in dem Sektor in den kommenden zehn Jahren ein Wachstum zwischen 1 und 4 %. Das ist vor dem Hintergrund des eher schwachen Wirtschaftswachstums in Europa durchaus attraktiv.Zum anderen kann die Finanzierung solcher Geschäftsmodelle Banken dabei helfen, ihre eigenen Nachhaltigkeitsziele umzusetzen und die Entwicklung einer CO2-armen Wirtschaft voranzutreiben. Allerdings bringt die Zusammenarbeit für Finanzdienstleister einige Herausforderungen mit sich. So unterschiedlich wie die Geschäftsmodelle der Unternehmen sind, so unterschiedlich ist auch ihr Bedarf an Finanzdienstleistungen. Welche Dienstleistungen einen Mehrwert bieten, hängt nicht zuletzt vom Entwicklungsstadium ab, in dem sich das jeweilige Unternehmen befindet.Vielfach sind es junge Unternehmen und Start-ups, die mit einem Kreislaufwirtschaftsmodell an den Start gehen. Entsprechend steht in der Frühphase die Akquisition von Fördermitteln und Zuschüssen im Vordergrund, später auch der Zugang zu Venture Capital. Gerade für Unternehmen mit einem ausgeprägten Community-Aspekt kann Crowdfunding dabei eine interessante Finanzierungsalternative sein. Mit zunehmendem Wachstum erhöht sich der Bedarf an klassischen Bankdienstleistungen wie Factoring, Leasing oder Kreditfinanzierung. Ausgereifte Geschäftsmodelle können den Kapitalmarkt über Börsengänge oder Green-Bond-Emissionen anzapfen. Finanzdienstleister, die über ein breites Know-how bei der Unternehmensfinanzierung verfügen und entsprechende Dienstleistungen entweder selbst oder als Plattform über Drittanbieter bereitstellen können, werden damit für Unternehmen der Kreislaufwirtschaft zu wertvollen Partnern. Einige BesonderheitenKreislauforientierte Geschäftsmodelle weisen gegenüber linear ausgerichteten Unternehmen einige Besonderheiten auf, die für Banken in der Zusammenarbeit neu sind. Die genannten Sharing-Modelle, zum Beispiel im Car-Sharing, basieren darauf, dass ihre Nutzer für das zugrundeliegende Gut jeweils bei Gebrauch zahlen. Durch dieses sogenannte Pay-per-Use hat der Cash-flow des Unternehmens eine andere Struktur, da die Einzelumsätze deutlich niedriger sind und sich gleichzeitig über einen längeren Zeitraum hinweg erstrecken als bei einem Einmalverkauf. Der längere Zeitraum, bis der geplante Umsatz erreicht ist, birgt aus Sicht des Anbieters und der finanzierenden Bank Risiken. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Finanzierungskonditionen. Damit spielt die Struktur des Cash-flows eine wichtigere Rolle bei der Gestaltung der Finanzierung als der Wert des eigentlichen Gutes.Das Gut verbleibt bei Pay-per-Use-Modellen auf der Bilanz des Herstellers und erhöht damit dessen Betriebsvermögen bei gleichzeitiger Minderung der Liquidität. Die verringerte Liquidität kann wiederum schlechtere Finanzierungskonditionen zur Folge haben. Zwar bietet das Gut in der Finanzierung zusätzliche Sicherheit. Die Bewertung ist allerdings schwierig, denn zum einen befindet es sich ja im Gebrauch des Nutzers, zum anderen muss der durch die Nutzung entstehende Wertverlust berücksichtigt werden.Anbieter von Pay-per-Use-Modellen laufen immer Gefahr, weniger solvente Kunden anzuziehen, die sich Güter eben nur durch die niedrigen regelmäßigen Zahlungen leisten können. Sie sollten die Kreditwürdigkeit ihrer Kundenbasis deshalb genau analysieren und, wenn nötig, ihre Vertragsstrukturen mit Blick auf unterschiedliche Risikoprämien anpassen. Der Ausfall eines Kunden würde den gesamten Cash-flow gefährden.Ein weiterer Aspekt bei der Finanzierbarkeit von Kreislaufunternehmen ist die Bewertung des Umlaufvermögens. Während Vermögensgegenstände in “linearen” Unternehmen am Ende einer definierten Laufzeit komplett abgeschrieben werden, stellt der Restwert in der Kreislaufwirtschaft im Rahmen des Recyclings oder in Gebrauchtmärkten eine relevante Größe mit Einfluss auf die Finanzierungskonditionen dar. So betreibt etwa Philips Medical Systems eine aktive Second-Hand-Strategie bei MRT-Geräten. Die gebrauchten Geräte werden von Philips gewartet, repariert und dann weiterverkauft. Um die Rückgabe zu gewährleisten, können Finanzdienstleister die Unternehmen bei der Entwicklung entsprechender finanzieller Incentives beraten und unterstützen. Keine StandardlösungenDie Beispiele zeigen, dass es bei der Finanzierung von Kreislaufwirtschaftsmodellen keine Standardlösungen gibt. Genauso wenig sind die Modelle der Kreislaufwirtschaft auf jeden Sektor ohne weiteres übertragbar. Auch steht die Bewährungsprobe, wie sich kreislauforientierte Unternehmen in wirtschaftlichen Schwächephasen schlagen, noch aus.Aber Finanzdienstleister tun gut daran, sich mit den Geschäftsmodellen und ihren Besonderheiten vertraut zu machen. Aktuell verfolgen rund 9 % der Unternehmen weltweit ein kreislauforientiertes Geschäftsmodell. Staaten wie die Niederlande wollen bis 2050 ihre Wirtschaft komplett auf Kreislaufwirtschaft umstellen. Für Banken und Finanzdienstleister, die selbst immer stärker auf die nachhaltigen Auswirkungen ihrer Geschäftsaktivitäten achten müssen, entsteht hier ein attraktives Potenzial. Marco Schoneveld, Manager Trade Finance Services Corporate Sales sowie Sustainability Representative bei ING Wholesale Banking