IM GESPRÄCH: MICHAEL SCHMIDT, DEKA INVESTMENT

Lob für Brüsseler Nachhaltigkeitspläne

Hohe Übereinstimmung zwischen Expertenempfehlungen und Aktionsplan der EU-Kommission - CO2-Benchmarks bergen Gefahr

Lob für Brüsseler Nachhaltigkeitspläne

Selten hat es bislang ein Thema gegeben, dass der Brüsseler EU-Kommission offenkundig derart unter den Nägeln brennt wie die Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Nur kurz nach den Empfehlungen einer vorbereitenden Expertengruppe zu diesem Thema folgten schon Aktionsplan und Gesetzesvorschläge der Kommission. Ein Brüsseler Nachhaltigkeitsdiktat droht dennoch nicht, tritt der einzige deutsche Vertreter dieser Expertengruppe entsprechenden Ängste der hiesigen Finanzwirtschaft entgegen.Von Silke Stoltenberg, FrankfurtDer einzige deutsche Vertreter der vorbereitenden EU-Expertengruppe für mehr Nachhaltigkeit in der Finanzbranche, Michael Schmidt von Deka Investment, ist mit dem daraus entstandenen Aktionsplan der EU-Kommission überaus zufrieden. “Der Aktionsplan enthält fast alle Empfehlungen der High Level Expert Group (HLEG)”, resümiert der Geschäftsführer im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Lediglich beim geplanten Klassifizierungssystem nachhaltiger Finanzanlagen geht Brüssel nach Ansicht von Schmidt langsamer und weniger breit definiert voran wie von der HLEG vorgeschlagen. Zudem habe sich die Kommission die Schaffung von CO2-Benchmarks vorgenommen. Diese Idee stammt nicht aus der Gruppe und wird von Schmidt mit großer Skepsis gesehen.Die Kommission habe die Erarbeitung der Empfehlungen der 20-köpfigen HLEG, die Ende Januar ihren 100-seitigen Abschlussbericht “Financing a Sustainable European Economy” mit Kern-, Querschnitts-, branchenspezifischen und weicheren Empfehlungen vorgelegt hatte (vgl. BZ vom 1. Februar), eng begleitet, erklärt der Leiter Asset Servicing & Alternative Investments von Deka Investment die hohe Übereinstimmung. Dass das Thema Brüssel unter den Nägeln brennt, zeigt sich daran, dass bereits am 24. Mai erste Gesetzesvorschläge zu gleich vier großen Projekten im Rahmen des Aktionsplanes präsentiert wurden (vgl. BZ vom 25. Mai).In der Tat hat die Finanzbranche eine Schlüsselrolle, will man die Pariser Klimaziele erreichen. Laut EU-Kommission fehlen jährlich 180 Mrd. Euro an Investitionen in grüne Projekte, um die Erderwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten, wie bei der UN-Klimakonferenz 2015 vereinbart. Der Finanzsektor spielt dabei eine Schlüsselrolle, um diese Lücke zu schließen.Insgesamt zehn Maßnahmen beinhaltet der Brüsseler Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wirtschaftswachstums. Diese umfassen das Thema Nachhaltigkeit in mehreren Varianten: ein einheitliches Klassifikationssystem, Normen, Förderung von Investitionen, die Finanzberatung, Benchmarks, Ratings, Anleger und Vermögensverwalter, Aufsichtsvorschriften, Offenlegungsvorschriften und die Unternehmensführung (siehe Übersicht). Im Mai konkretisierten Gesetzesvorschläge das Klassifizierungssystem (Taxonomie), die Investorenpflichten, die CO2-Benchmarks und die Kundenberatung. Mit weitem ZeithorizontAm abstraktesten und mit weitem Zeithorizont versehen ist dabei das Projekt der Taxonomie. Diese soll Kriterien festlegen, wonach eine wirtschaftliche Tätigkeit umweltverträglich ist. Dafür wurde im Juli extra eine eigene technische Arbeitsgruppe ins Leben gerufen.Insbesondere Assetmanager befürchten in diesem Zusammenhang ein Diktat aus Brüssel, welches womöglich mit eigenen Definitionen der Nachhaltigkeit im Widerspruch stehen könnte. Diese Sorgen weiß Schmidt zu zerstreuen: “Es geht bei der Taxonomie darum, Orientierung zu geben und eine definitorische Basis festzulegen, welche wirtschaftlichen Aktivitäten wie nachhaltig sind. Darauf sollen dann EU-Standards für Green Bonds aufbauen oder auch EU-Labels für Fonds. Aber es sollte nicht darum gehen, dass man nur noch in diese Aktivitäten investieren darf und in alles andere nicht mehr.”Es gehe vielmehr um eine Art Rippenstoß, um mehr Anleger zu ermutigen, in nachhaltige Assets zu investieren. “Institutionelle Anleger oder Assetmanager können auch weiterhin ihre eigenen Kriterien der Nachhaltigkeit nutzen, diese Freiheit sollte bleiben. Andersherum werden viele kleinere Investoren oder Assetmanager froh darüber sein, wenn es künftig durch Brüssel definierte Standards zur Orientierung gibt”, so der 45-Jährige, der zum 1. April 2019 als Chief Investment Officer zu Lloyds Fonds wechseln wird.Es gehe bei der Taxonomie jedenfalls eher um Festlegungen auf der Metaebene, welche Aktivitäten, Assets oder Erlöse des Finanzsektors mit dem Nachhaltigkeitsgedanken vereinbar seien, und nicht um einen unausweichlichen Standard an und für sich. Das Klassifikationssystem solle auch keine einmalige Festlegung sein, sondern sich flexibel entwickeln, also über die Zeit atmen. Daher soll aus der technischen Arbeitsgruppe eine permanente Expertenplattform werden. “Es wird jedenfalls eine spannende Diskussion in der technischen Arbeitsgruppe geben, wie die Taxonomie aussehen soll, da ich derzeit so vielen unterschiedlichen Vorstellungen zu diesem Thema begegne”, so Schmidt, der seit Juli 2016 für die Deka arbeitet und zuvor bei Union Investment und Deutsche Asset Management tätig gewesen war.Wobei sich auch die EU-Institutionen noch nicht ganz einig sind, in welche Richtung der Zug fahren soll. Das Parlament wolle eine klarere Festlegung zumindest in Richtung eines Standards, der Rat sei eher zurückhaltend und habe die bestehenden nationalen Regelungen im Blick, sagt er. “Die Stoßrichtung der Kommission in Sachen Taxonomie erscheint nicht ganz eindeutig”, führt Schmidt aus, der sich auch stark für die Stimmrechtsausübung von Investoren bei Unternehmen engagiert. Emissionskosten drückenDas Klassifikationssystem sei notwendig, um etwa Standards für grüne Anleihen auf den Weg zu bringen. Solche Standards wiederum würden die Emissionskosten nach unten drücken. Ein auf die Taxonomie aufbauender Standard lege zum Beispiel im übertragenen Sinne fest, wie hoch der Anteil Nachhaltigkeit in einer Assetklasse sein müsse, um dem Standard zu genügen. Eine Kombination verschiedener Standards wiederum könne Fondslabels entstehen lassen. “Ein Fondslabel für die Nachhaltigkeit könnte sich in Europa ebenso gut etablieren wie die Ucits-Fonds”, hofft Schmidt. Diese genießen unter Investoren durch strenge Vorschriften mittlerweile eine gute Reputation.Allerdings gibt es auch positive wie negative Anreize durch Regulatoren oder Aufsicht, die den Ucits zum Erfolg verholfen haben. Ob die Aufsicht in Sachen Nachhaltigkeit ebenso zielstrebig agieren werde wie bei den Ucits, sei indes eine andere Frage, meint Schmidt. In dem Gesetzespaket vom Mai ist jedenfalls festgelegt worden, dass Assetmanager, Finanzinstitute, institutionelle Investoren, Versicherungsvermittler, Anlageberater und Finanzportfolioverwalter künftig mehr Auskunft darüber geben müssen, inwieweit ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) Teil von Anlageentscheidungen oder Beratungsprozessen sind. Auch gilt es nachzuweisen, auf welche Weise nachhaltige Produkte diese Ziele erreichen. Es wird aber keinen Zwang geben, ESG-Produkte zu verkaufen. Mehr als nur “öko”Was Schmidt allerdings deutlich stört, ist die Tatsache, dass die Kommission sich bei ihrem Taxonomie-Vorhaben einzig auf die Klimaaspekte konzentriert – die HLEG hatte auch die sozialen Aspekte und die gute Unternehmensführung mit in den Blick genommen. Denn Sustainable Finance sei mehr als nur “öko”. In der Arbeitsgruppe sei es Konsens gewesen, in zwei Schritten bis 2021 für alle drei Faktoren Festlegungen treffen zu wollen. Die Kommission wolle erst im Juli 2020 die Umweltaspekte definiert sehen und erst zwei Jahre später die anderen beiden Punkte.Die Schaffung von CO2-Benchmarks, wie im Mai von der Kommission vorgeschlagen, sieht Schmidt eher kritisch. Es soll zwei davon geben, eine CO2-arme und eine mit positiver CO2-Auswirkung. Mit Hilfe dieser Benchmarks sollen Investmentportfolios vor dem Hintergrund der Klimaziele bewertet werden. Hiervon sind Ratingagenturen und institutionelle Investoren betroffen. “Ich bin skeptisch, was die Benchmarks betrifft und sehe die Gefahr von Fehlallokationen”, sagt Schmidt. Denn der Ausbau von alternativen Energieträgern wie Windparks müsse langfristig finanziert werden, was im Gegensatz zur gewünschten Liquidität und Investierbarkeit in Portfolios stünde. Präferenzen der AnlegerZufrieden ist Schmidt dagegen mit den Plänen zum Einbezug von Nachhaltigkeitskriterien in der Anlageberatung. Auch dieser Punkt war in den Kernempfehlungen der HLEG enthalten gewesen. Privatanleger sollen in der Beratung künftig nach ihren Präferenzen bezüglich Nachhaltigkeit befragt werden. Dieses Vorhaben betrifft Assetmanager, Versicherungsvermittler und Anlageberater. Das lässt sich nach Ansicht von Schmidt relativ schnell bis Jahresende im Rahmen der Review von Mifid II umsetzen. “Bei der Geeignetheitsprüfung darf es durch Einführung von Nachhaltigkeitskriterien aber keine neue Haftung für Berater geben”, mahnt Schmidt zu Bedacht bei der Umsetzung. Andererseits hätte es die HLEG lieber gesehen, wenn auch schnell Labels für nachhaltige Anlagen für den Privatanleger geschaffen worden wären. Das hat die Kommission aber nicht in ihren Aktionsplan aufgenommen.Ebenso wurden die nachrangigeren Empfehlungen der HLEG wie Förderung des Bürgerengagements für Nachhaltigkeit im Finanzbereich oder Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich nur im geringen Umfang in den Aktionsplan aufgenommen. “Das sind allerdings auch eher Themen in der nationalen Zuständigkeit, da kann die EU nicht viel machen. Ich hoffe, dass die Länder selbst für mehr Bildung in Sachen Nachhaltigkeit sorgen”, so Schmidt. Auch die Kernempfehlung der HLEG zu Governance, Unternehmens- und Führungskultur wurde nicht in vollem Umfang von der EU-Kommission aufgegriffen. Daran, dass die höchst umstrittene Idee eines Green Factors beim Eigenkapital wieder auftaucht, glaubt Schmidt absehbar nicht. Eine mögliche Reduktion von Eigenkapitalvorschriften für grüne Anlagen sei schon in der HLEG nicht konsensfähig gewesen. Im EU-Parlament sei zudem die Mehrheit dagegen, lediglich die Franzosen hätten sich für das Thema erwärmt gehabt. Im Aktionsplan der Kommission war der Green Factor nach vorherigen Debatten jedenfalls nicht enthalten gewesen.