Untersuchungsbericht zu Credit-Suisse-Debakel

Lobbyeinfluss verhindert höhere Eigenkapitaldotierung

Die Vorgeschichte des Credit-Suisse-Debakels ist ebenso lehrreich wie die Analyse des Endspiels. Der neue Bericht einer Untersuchungskommission des Schweizer Parlamentes ist erhellend.

Lobbyeinfluss verhindert höhere Eigenkapitaldotierung

Credit Suisse

Lobbyeinfluss verhindert höhere Eigenkapitaldotierung

Großbank nutzt „Erleichterungen“ der Finanzaufsicht – Schweizer Parlamentsausschuss legt Untersuchungsbericht vor

dz Zürich

Kann sich die Schweiz internationale Banken leisten, die aufgrund ihrer Größe und Marktstellung auch für das gute Funktionieren der Schweizer Wirtschaft unverzichtbar sind? Seit der risikoreichen Staatsrettung der UBS im Jahr 2008 weiß man: Solche Banken sind zu gefährlich für das Land, seine Steuerzahlenden und seine Institutionen, wenn deren Kapitalausstattung und finanzielle Solidität nicht in einem gesunden Verhältnis zu den Risiken stehen.

Keine einfache Lösung

Der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zum Hergang des Credit-Suisse-Debakels ist mehr als eine Bestätigung dieser Erkenntnis. Vielmehr vermittelt er die Komplexität eines Problems, dessen Lösung weder ein raffiniertes „Too big to fail“-Gesetz (TBTF) noch eine andere geniale Einzelmaßnahme erbringen kann.

Eine Rückblende: 2014 konstatierte eine vom Bundesrat eingesetzte „Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarkstrategie“ unter Leitung des Berner Wirtschaftsprofessors Aymo Brunetti: Das Schweizer System mit dem TBTF-Gesetz kann das Problem lösen – im Prinzip. „Aber der Praxistest relativiert die theoretische Betrachtungsweise in beträchtlichem Masse.“

Geringe Kapitalausstattung

Die Kapitalausstattung der beiden Schweizer Großbanken sei geringer als ursprünglich prognostiziert, die Notfallpläne mit großen Unsicherheiten bei der Implementierung verbunden. „Von einer vollständigen Lösung des Problems ist die Schweiz noch ein Stück entfernt“, stellten die Experten um Professor Brunetti fest.

Ermahnungen schnell vergessen

Die damalige Diagnose sollte bald in Vergessenheit geraten. So sei der PUK aufgefallen, dass in den vier Evaluationsberichten, die der Bundesrat seit 2015 zu den systemrelevanten Banken in der Schweiz verfassen ließ, die „praktisch immer gleich lautende, positive Bewertung der Schweizer TBTF-Gesetzgebung im internationalen Vergleich“ zu lesen war. In jeder Evaluation wurden Mängel formuliert, ohne dass diese in der nächsten Evaluation noch einmal Erwähnung fanden.

Es gab Kritik am fehlenden Monitoring des Finanzministeriums, zum Beispiel vom Justizministerium. Aber auch das ohne Folgen. Offensichtlich lag hier kein Versehen vor. Nach den Maßnahmen im Zuge der Finanzkrise habe sich in der Schweizer Politik zunehmend die Regulierungsmüdigkeit breit gemacht – eine Feststellung, welche die PUK an zahlreichen parlamentarischen Vorstößen etwa zur Begrenzung des Gestaltungsspielraums der Finanzmarktaufsicht (Finma) festmachen kann.

Bankenlobby nimmt Einfluss

Gleichzeitig nimmt auch der politische Einfluss der Bankenlobby wieder zu. In einem von der PUK in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten heißt es: Die damalige Regulierungspraxis und -kultur hätten Maßnahmen gegen den Willen der Credit Suisse in Bezug auf Artikel 125 in der 2013 revidierten Eigenmittelverordnung „als von vornherein nicht realistisch erscheinen lassen“.

Dieser Artikel 125 sollte der Credit Suisse die Eigenmittelunterlegung ihres Schweizer Stammhauses erleichtern. Die Verordnung, die auf Wunsch der Credit Suisse und in erstmaliger Abänderung der gängigen Praxis nicht direkt von den Behörden, sondern vom Parlament erlassen wurde, ist ein Schlüsselelement. Dadurch wird klar, wie die eklatanten Kapitallücken im CS-Stammhaus so groß werden konnten, dass sie im Lauf der Krise eine herausragende, wenn nicht gar die wichtigste Rolle spielen konnten.

Eigenkapital steht im Zentrum

Zwar bestimmte die damalige Verordnung (in Erkenntnis des Nachbesserungsbedarfs beim Eigenkapital) unter Artikel 32 sinngemäß, dass eine Bank das Eigenkapital ihrer Tochterbank nicht mit Fremdkapital finanzieren durfte und das Kapital der Tochter deshalb vom Kapital des Mutterhauses abziehen musste.

Doch Artikel 125 machte den Gegenschnitt: Die Finma wurde darauf verpflichtet, „Erleichterungen“ zu gewähren, wenn das kumulierte Kapital von Mutter und Tochter größer war, als es das Gesetz für den ganzen Konzern vorschreibt. Die Credit Suisse warb besonders intensiv für diese Erleichterung, weil sie historisch als dezentralisierter Finanzkonzern mit zahlreichen Tochtergesellschaften besonders stark von Artikel 32 betroffen war.

Sündenfall oder Pragmatismus?

Die Bank setzte sich durch mit dem Argument, ihre Eigenkapitalquote würde ohne Artikel 125 vom gesetzlichen Minimum von 19% auf 26% steigen und die Weiterführung des bisherigen Geschäftsmodells unmöglich machen. Ob die damalige Eigenmittelverordnung ein wirtschaftspolitischer Sündenfall war, wie das im linken politischen Spektrum viele sehen, oder ob sie eine legitime, pragmatische Lösung war, die regulatorische Benachteiligung einer für das Land wichtigen Branche zu verhindern, wird von der aus Vertretern aller politischen Parteien zusammengesetzten PUK nicht beantwortet.

Deutlich aufgezeigt wird in ihrem Bericht aber, wie jener politische Entscheid zu einer fatalen aufsichtsrechtlichen Zwangslage führte. Die sukzessive Umsetzung des internationalen Basel-III-Kapitalstandards und andere regulatorische Veränderungen im Zusammenhang mit der Umsetzung der TBTF-Gesetzgebung im In- und Ausland verschärften die Unterkapitalisierung des Credit-Suisse-Stammhauses.

Verzweifelt nach Lösungen gesucht

Die Finma suchte händeringend nach neuen Lösungen, musste sich gemäß PUK aber weiter mit der Credit Suisse einigen. Gefunden wurde 2017 der „regulatorische Filter“, ein System, das in der Wirkung mit Artikel 125 identisch war, faktisch aber Teil der regulatorischen Eigenmittel wurde. Die Finma gewährte der Credit Suisse eine Frist von zehn Jahren, um den 2017 geschätzten Kapitaleinsparungseffekt des Filters von 8 Mrd. sfr auszugleichen.

Die Rechnung sollte sich bald als heillos überoptimistisch erweisen. Mit der Eskalation der Krise im Jahr 2022 machte der Filter zeitweise die Hälfte des Eigenkapitals des Stammhauses aus. Die PUK wertet das Ausnahmeregime der Credit Suisse „ausgesprochen kritisch“. Ohne den Filter hätte die Credit Suisse schon ab 2021 die minimalen Eigenmittelanforderungen verfehlt. Dadurch sei ihr Spielraum für eine Sanierung ab Herbst 2022 eingeschränkt gewesen.

Wettbewerbsfähigkeit verloren

Ob es der Bank gelungen wäre, die Kapitalbasis ohne Filter aus eigener Kraft zu stärken, lässt die PUK aus guten Gründen offen. Die Wettbewerbsfähigkeit, welche die Bank dank Ausnahmeregelungen bei der Kapitalunterlegung erfolgreich zu verteidigen glaubte, hatte sie tatsächlich längst verloren. Vielleicht gerade weil sie Politik und Behörden lange mit Samthandschuhen behandelte.

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