Lukrative Börsen
Aktien von Börsenbetreibern sind die Outperformer der vergangenen Jahre. Die Branche profitierte von stetigen Gewinnen, Akquisitionen und Übernahmen.Von Christopher KalbhennVerglichen mit dem Technologiesektor wirkt die Branche unscheinbar. Dennoch zählen Anteilscheine von Börsenbetreibern zu den besten Investments, die in den zurückliegenden Jahren an den Aktienmärkten gemacht werden konnten. Auch 2020 eilen vor allem die europäischen Vertreter der Branche, aber auch die Nyse-Mutter Intercontinental Exchange (ICE) von Rekordhoch zu Rekordhoch, der Terminmarktbetreiber CME Group, mit 74,4 Mrd. Dollar Marktkapitalisierung die Nummer 1 des Sektors, erreichte zuletzt im Sommer 2019 einen Höchststand. Gemessen am Branchenindex FTSE MV Exchanges haben die Aktien der Börsenbetreiber mit einem Plus von 30,3 % seit Anfang 2019 den Industrieländerindex MSCI World (29 %) zwar nur knapp geschlagen. Relevant ist jedoch der Blick weiter zurück. Im schwachen Börsenjahr 2018, in dem der MSCI World 10,4 % verlor, hat der FTSE MV Exchanges ein Plus von knapp 5 % geschafft und sich damit der globalen Aktienmarktschwäche entzogen. Kurzum: Seit Anfang 2018 hat der Börsenbranchenindex 36,7 % gewonnen und damit den MSCI World (15,6 %) um rund 21 Prozentpunkte geschlagen.Mehrere Gründe treiben die Outperformance der Börsenaktien. Angesichts des merklich gesunkenen globalen Wirtschafts- und Unternehmensgewinnwachstums sowie des sehr weit fortgeschrittenen Konjunkturzyklus stehen Aktien von Gesellschaften, die konstant hohe Erlös- und Gewinnwachstumsraten aufweisen, bei den Anlegern hoch im Kurs. Eben dies bieten neben der Technologiebranche nur wenige andere Sektoren, und zu denen zählen die Börsenbetreiber. Beispiel Deutsche Börse: Das Unternehmen hat das von ihr ausgewiesene bereinigte Ergebnis je Aktie seit 2014 in jedem Jahr gesteigert. Die Wachstumsraten bewegten sich in einer Spanne von rund 4,6 bis 13,4 %, die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate betrug knapp 10 %. Hinzu kommt eine sehr hohe Profitabilität. So erzielte die Deutsche Börse im zurückliegenden Geschäftsjahr bei einem Erlös von 2,9 Mrd. Euro einen bereinigten Überschuss in Höhe von 1,1 Mrd. Euro.Getrieben wird das überdurchschnittliche und stetige Gewinnwachstum der Branche unter anderem von regulatorischen Faktoren. Seit der großen Finanzkrise drängen Regierungen und Aufseher auf eine Verlagerung von außerbörslichem Wertpapier- und Derivatehandel auf organisierte, börsliche Handels- und Clearing-Plattformen. Zudem schaffen neue Vorschriften neue Möglichkeiten, Dienstleistungen anzubieten, etwa in Form von Transaktionsregistern. Die Börsenbetreiber greifen diese Chancen sowie weitere strukturelle Wachstumsgelegenheiten, die sich beispielsweise durch die sehr stark wachsende Nutzung von Indizes durch Investoren ergeben, durch gezielte Investitionen auf, wozu auch Übernahmen zählen.Ziel der Investitionen ist neben der Stärkung des eigenen Wachstums vor allem auch die Diversifizierung des Geschäftsportfolios. Die Börsenbetreiber investieren u. a. in Geschäftsbereiche wie das Marktdaten- und das Indexgeschäft, in weitere Asset-Klassen wie Anleihen, Devisen und Rohstoffe, sowie in bislang noch nicht von ihnen erschlossene Regionen, neue Kundengruppen und neue Produkte. Durch ihren Umbau werden die Unternehmen weniger zyklisch bzw. weniger anfällig für Schwankungen in den Volumina des Aktien- und des Derivatehandels. Im Falle der Deutschen Börse entfällt etwa auf das Aktiengeschäft nur noch ein hoher einstelliger Prozentanteil des Erlöses, bei der vor kurzem noch sehr stark davon abhängigen Mehrländerbörse Euronext sind es noch 30 %. Zudem können durch Akquisitionen die Systeme der Börsen zusätzlich beladen werden, wodurch margenerhöhende Skaleneffekte realisiert werden. Deutsche Börse kauft zuDie Deutsche Börse hat ihr Geschäftsprofil in den zurückliegenden Jahren durch mehrere mittelgroße Akquisitionen deutlich verändert. Dazu zählen u. a. der Erwerb des ihr noch fehlenden 50-Prozent-Anteils der Schweizer Six am Indexbetreiber Stoxx, der Devisenhandelsplattform 360T und des US-Energieterminmarktbetreibers Nodal. Zuletzt übernahm das Unternehmen 2019 mit Axioma einen Anbieter von cloudbasierten Software-Lösungen für das Portfolio- und Risikomanagement, den sie im dritten Quartal mit ihrem Indexgeschäft zusammenlegte, sowie in diesem Jahr die Fondsvertriebsplattform Fondcenter der UBS, mit der sie das stark wachsende Fondsservice-Geschäft ihrer Tochter Clearstream ausbaut. Den radikalsten Umbau vollzieht jedoch die wie die Euronext vor einigen Jahren noch sehr aktienlastige London Stock Exchange. Das ist neben immer wieder aufkommenden Übernahmespekulationen auch der Grund für die Spitzen-Performance ihrer Aktie innerhalb des Sektors. Seit Anfang 2018 hat sie sich um 125 % befestigt. 2012 übernahm sie das Clearing-Haus LCH.Clearnet, gefolgt 2014 vom Indexbetreiber und Assetmanager Russell Investment Group. Nach diesen bereits sehr bemerkenswerten Akquisitionen folgte 2019 mit dem Erwerb der Mehrheit am Finanzinformationsdienstleister Refinitiv der große Paukenschlag. In zweierlei Hinsicht wurden damit Maßstäbe gesetzt. Zum einen wurde mit einem Transaktionsvolumen von 27 Mrd. Dollar eine für die Branche neue Größendimension erreicht, zum anderen verändert das Unternehmen damit seine Gestalt auf eine Art und Weise, die es immer weniger wie ein “klassischer” Börsenbetreiber aussehen lässt.Auch die Branchenkonsolidierung treibt die Aktien der Börsenbetreiber an. Zwar ist nach der großen Konsolidierungswelle vergangener Jahre nur noch eine überschaubare Anzahl potenzieller Ziele übriggeblieben. Zuletzt hat jedoch einen Rennen um diese Ziele begonnen. So hat Euronext 2018 die irische und im zurückliegenden Jahr die norwegische Börse samt Zentralverwahrer des Landes übernommen. Hinzu kam im November 2019 ein Gebot des Schweizer Finanzmarktinfrastrukturbetreibers Six Group für die spanische Börsenholding BME, dem eventuell ein Gegengebot der Euronext folgen könnte. Zusätzlich geschürt wird die Konsolidierungsfantasie durch das inzwischen abgeblasene Vorhaben der Intercontinental Exchange ICE), Ebay für 30 Mrd. Dollar zu übernehmen, das die Dimensionen der Refinitiv-Übernahme durch die London Stock Exchange noch übertroffen hätte. Die ICE könnte nun nach anderen “Opfern” Ausschau halten.Auch wenn die Börsenbetreiber über attraktive Wachstumsperspektiven verfügen, sollten Anleger jedoch den Preis nicht außer Acht lassen. Durch den Höhenflug der Aktien haben die Bewertungen Niveaus erreicht, die zum Teil weit über den historischen Durchschnitten liegen.