Machine Learning hilft bei Analyse von ESG-Kriterien

Künstliche Intelligenz ermöglicht systematisches und dynamisches Screening Hunderter von Nachhaltigkeitsfaktoren und kann so Rendite-Risiko-Profil verbessern

Machine Learning hilft bei Analyse von ESG-Kriterien

Immer mehr institutionelle und private Investoren berücksichtigen bei ihren Anlageentscheidungen Umweltaspekte, soziale Belange und Prinzipien einer guten Unternehmensführung. Entsprechend wächst das Angebot an Anlagevehikeln, die so genannte ESG-Kriterien (ESG – Environmental, Social, Governance) in ihren Investment-Prozess integrieren oder andere Nachhaltigkeitskriterien einbeziehen.Auch im globalen ETF-Universum finden sich immer mehr Produkte, die sich auf unterschiedliche Nachhaltigkeitskonzepte stützen, um der wachsenden Nachfrage nachzukommen – darunter auch etliche, die sich vor allem an ESG-Kriterien orientieren.Klassische ESG-Ansätze können allerdings schnell an ihre Grenzen stoßen: Üblicherweise ist der Einsatz von ESG-Kriterien auf ein simples Screening beschränkt, in dessen Folge die besten, mit den höchsten Punktzahlen bewerteten Unternehmen ausgewählt und die schlechteren aussortiert werden. Auch wenn ein derartiger Best-in-Class-Ansatz einige interessante Aspekte aufweist, gibt es eindeutige Anhaltspunkte dafür, dass er nicht notwendigerweise die Erträge erhöht.Das gilt insbesondere, wenn es um die Anwendung auf große Investmentuniversen geht. Hier zeigt schon die historische Betrachtung, dass entsprechende ESG-Portfolios nicht stark von ihrer Benchmark abweichen. Hinzu kommt in aller Regel eine geringe Underperformance, auch wenn diese im Schnitt auf wenige Zehntelprozent begrenzt bleibt.Grundsätzlich bieten ESG-Daten jede Menge nützliche Informationen, die sich verarbeiten lassen, um Rückschlüsse auf die Stärken und Schwächen von Unternehmen zu ziehen, die wiederum die künftige Performance einzelner Aktien beeinflussen. Längst ist vielen Investoren bewusst, dass etwa Umweltaspekte ein entscheidendes Kriterium für den künftigen Unternehmenserfolg und damit die Aktienentwicklung sein können. Nur ist hier eine differenziertere Betrachtung nötig, als ein traditioneller Ansatz sie leistet.Für einen Energieversorger beispielsweise werden Umweltkriterien eine ganz andere Rolle spielen als für eine Bank. Und einen europäischen Energieversorger treffen sie möglicherweise anders als seinen US-Konkurrenten. Darüber hinaus haben E-, S- und G-Ratings getrennt betrachtet je nach Sektor, Region und Unternehmensgröße ganz unterschiedlichen Einfluss. Und schließlich erlaubt ein Standard-ESG-Ansatz zwar, relativ einfach Unternehmen mit niedrigem ESG-Score zu identifizieren und auszusortieren – entscheidende Unterschiede zwischen verschiedenen Unternehmen mit hohem Score zu identifizieren, liegt aber regelmäßig außerhalb seines Könnens. Mit anderen Worten: Solide und belastbare Zusammenhänge zwischen ESG-Profil und Geschäfts- beziehungsweise Kursentwicklung herauszuarbeiten, wird mit den Standardwerkzeugen der Ökonometrie nicht gelingen.Mittlerweile aber gibt es Möglichkeiten, derartige Muster dennoch zu identifizieren und bei der Portfolio-Konstruktion einzusetzen. Dank der Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz und einer stark verbesserten Datenqualität und -tiefe lassen sich heute neue Methoden der Aktienauswahl implementieren. Zum Einsatz kommen dabei selbst lernende Algorithmen, die auf den Erkenntnissen des Machine Learning basieren. Ziel ist es, mittels einer Analyse hunderter ESG-Kriterien, eindeutige Zusammenhänge zwischen ESG-Profilen und dem Potenzial für eine finanzielle Outperformance zu identifizieren. Basis sind Rohdaten, die die bekannten Anbieter zu ihren ESG-Ratings aggregieren.Der Machine-Learning-Algorithmus bewertet individuelle Kriterien statt der von klassischen Ansätzen verwendeten, aggregierten ESG-Ratings und nutzt daher eine viel kleinteiligere und damit akkuratere Informationsquelle. Der Algorithmus sucht dabei nach Bedingungen, die darauf hindeuten, dass ein bestimmtes Unternehmen das Potenzial hat, sich gegenüber seinen Benchmarks über- oder unterdurchschnittlich zu entwickeln. Diese Bedingungen, “Experten-Panel” genannt, werden sodann zusammengefasst, um eine aggregierte Bewertung jedes einzelnen Unternehmens zu erzielen. Dabei wird unterschieden zwischen Aktien, die eine Gelegenheit darstellen, weil sie aufgrund ihres ESG-Profils ein großes Potenzial haben, ihre Benchmark zu übertreffen, und Risiko-Aktien. Immense DatenmengeEine solche systematische und dynamische Detailanalyse ist mit Machine-Learning-Technologien möglich. Das ist zum einen der immensen Datenmenge geschuldet, die gut 600 ESG-Indikatoren für mehr als 2 000 Aktien über einen Zeitraum von zehn Jahren umfasst. Zum anderen ist die Verbindung zwischen ESG-Profil und finanzieller Performance häufig nicht linear und lässt sich nur mit komplexen Analyse-Techniken identifizieren.Machine-Learning-Algorithmen haben dabei den Vorteil, dass sie regelmäßig neue Daten in ihre Modelle integrieren, um vorangegangene Prognosen zu präzisieren, neue Muster und Zusammenhänge zu erkennen und so ihr Wissen zu erweitern. Damit werden die “Experten” auf Basis der ESG-Kriterien regelmäßig angepasst. Darüber hinaus ist die Anwendung dieser “Experten” leicht nachvollziehbar, weil sie sehr transparent sind und eine solide ökonomische Bedeutung haben.Insofern ist ein derartiger Algorithmus in erster Linie als ein erweitertes Werkzeug zu verstehen, das die systematische Aktienauswahl nach ESG-Kriterien deutlich verfeinert. Prinzipiell lässt es sich auf jede Benchmark anwenden, für die eine ausreichende Datenmenge zur Verfügung steht.Gegenüber klassischen ESG-Filtern besticht der erweiterte Ansatz vor allem durch seine systematische Orientierung an ESG-basierten Performance-Chancen.Des Weiteren lässt sich zeigen, dass systematische Smart-Beta-Strategien wie Minimum Varianz einen ähnlich positiven Einfluss auf das Rendite-Risiko-Profil einer derartigen ESG-Auswahl haben wie auf eine klassische Benchmark. Ein Erfolg versprechendes Modell könnte daher darin liegen, Maschine-Learning und Smart Beta zu verbinden: Während zunächst die voraussichtlich gut performenden Aktien mittels sorgfältiger ESG-Analyse ausgewählt werden, folgt eine Einstufung nach Risiken wie Schwankungsintensität und Sektorkonzentration, die im ESG-Screening noch keine Rolle gespielt hat. CO2-Fußabdruck wird kleinerSomit lässt sich der nachgewiesene Erfolg einer Minimum-Varianz-Strategie mit dem ESG-Ansatz verbinden, der – anders als die klassischen Ansätze – neben einem bloßen Ranking nach aggregierten Scores, eine Analyse detailliert aufgeschlüsselter Indikatoren zur Beurteilung künftiger Performance-Chancen umfasst. Ergebnis eines solchen Ansatzes ist ein Portfolio, das im Vergleich zu einer klassischen Auswahl von Aktien aus den Industrieländern ein verbessertes ESG-Rating sowie einen verringerten CO2-Fußabdruck aufweist.—-Carmine De Franco, Head of Fundamental Research, Ossiam