Mainmetropole scheint für jedwede Turbulenz gewappnet
Elf Jahre nach der Lehman-Pleite scheint der nach dem Crash sich entwickelnde Immobilienboom weltweit noch immer ungebrochen. Und Frankfurt boomt mit. 2018 bilanzierte Deutschlands Finanzkapitale mit 10,3 Mrd. Euro ein Allzeithoch beim Transaktionsvolumen, begleitet vom drittbesten Ergebnis überhaupt in der Vermietungsstatistik mit einem Umsatzvolumen im Bürobereich in einer Größenordnung von 633 000 m2. Deutschlands Immobilienmarkt basiert auf grundsoliden Rahmendaten und steht demzufolge im Fokus nicht zuletzt der Anlegerinteressen. In Frankfurt, das wie keine andere Immobilienhochburg in Deutschland über eine große Anzahl an handelbaren, auch großvolumigen Flächen vor allem in attraktiven Hochhauslagen verfügt, liegt der Anteil ausländischer Käufer im Schnitt der vergangenen fünf Jahre bei rund 50 %.Wie aber geht es weiter mit dem gewerblichen Immobilienmarkt am Main? Zahlreiche politische Unwägbarkeiten machen Prognosen mehr denn je zu einer Rechnung mit vielen Unbekannten. Und vergessen werden darf auch nicht, dass der mehr als zehn Jahre andauernde Aufschwung seit Lehman weltweit mit Schulden in Höhe von 244 Bill. Dollar entsprechend 318 % der Wirtschaftsleistung von Privathaushalten, Unternehmen und dem öffentlichen Sektor, einhergeht. Und ein Ende der Verschuldungsspirale ist nicht absehbar.Ein Treiber dieser höchst komplexen weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Gemengelage ist nicht zuletzt der Brexit, der Träumer und Albträumer auf dem Frankfurter Immobilienmarkt zu Spekulationen und Mutmaßungen an- und umtreibt, Verschiebung hin, Verschiebung her. Und das von Labour ins Spiel gebrachte neue Referendum ist ein viel zu vager Hoffnungsschimmer. Derzeit ist und bleibt der Brexit Fakt. Ist der Frankfurter Immobilienmarkt für dessen mögliche Folgen gerüstet oder wird durch einen wie auch immer gearteten harten oder weichen Austritt der Briten aus der EU unter den Immobilienakteuren, Investoren und Nutzern, sowie Developern ein Traum oder Alptraum der ganz anderen Art Realität? Je nach Perspektive verändert sich wie immer auch die Wirklichkeitswahrnehmung. Chancen und Risiken bilden eine explosive Mischung, die die einen in den Abgrund, die anderen in den Himmel blicken lässt.Blicken wir auf die Fakten. Frankfurts Wirtschaft wird “traditionell” dominiert von den beiden Branchen “Banken, Finanzdienstleistungen” und “unternehmensbezogene Dienstleistungen”, hat also Erfahrung mit immer wiederkehrenden Volatilitäten und Ungewissheiten, aber auch überzogenen Erwartungen des Bankensektors, zum Beispiel bei der Entwicklung der Dotcom-Blase, gefolgt von dramatischen Abstürzen an den Weltbörsen nach deren Platzen um die Jahrtausendwende.Bislang waren die Auswirkungen des bis dato quasi unabwendbar zu erwartenden Brexit auf den Frankfurter Büromarkt höchst sparsam. 2017 konnte ein allerdings höchst überschaubares Vermietungsvolumen in einen möglichen Zusammenhang mit dem Brexit gebracht werden. Rund 30 000 m2 konnten, vorsichtig formuliert, mit der Austrittsbekundung der Briten aus der EU in Verbindung gebracht werden.Seither weitestgehend Fehlanzeige. Und selbst innerhalb der Take-up-Bilanz des Jahres 2017 notiert das Brexit-Volumen als Marginalie: So hatten zum Beispiel Flex-Office-Anbieter 2017 einen Rekordumsatz mit 46 000 m2 erzielt. Und der größte Einzelnachfrager auf dem Markt war die Deutsche Bahn AG, deren Anmietungen sich zusammengerechnet auf rund 85 000 m2 summierten, entsprechend 12 % des gesamten Umsatzvolumens 2017. Die Brexit-Auswirkungen waren und sind demgegenüber sowohl absolut als auch relativ bislang eher ein bescheidenes Phänomen auf dem Frankfurter Büromarkt. Das gilt auch für das Jahr 2018 mit allenfalls zwei Brexit bedingten Minivermietungen. Die Gerüchteküche brodeltIn Reaktion auf eine Aussage der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) halten sich nun aber seit Januar 2019 hartnäckig Marktspekulationen, dass mehr als 45 Finanzinstitute dabei seien, ihre Präsenz in Deutschland neu zu etablieren oder signifikant zu stärken. Bislang war man von maximal 25 Instituten ausgegangen. Die Gerüchteküche brodelt einmal mehr und heizt die Fantasien an. Gar von einer Jahrhundert-Herausforderung für die Mainmetropole ist die Rede.Der Superlativ wird immer häufiger bemüht zur Beschreibung der tatsächlichen, erhofften, erwarteten oder herbei geredeten Zukunft des Frankfurter Immobilienmarkts. Eine realitätsnahe “Milchmädchen-Rechnung” sei den Fantasien entgegengehalten. Vorausgesetzt, der Brexit kommt und die 45 Brexit bedingten Verlagerungen von Banken würden Realität und angenommen, alle Institute würden sich tatsächlich in Frankfurt etablieren wollen – so könnte selbst das damit verbundene Nachfragevolumen mühelos absorbiert werden.Wenn man nämlich, basierend auf den knapp 30 000 m2 aus dem Jahr 2017, in einer sehr optimistischen und nicht ganz repräsentativen Annahme die dem Brexit zugerechnete durchschnittliche pro Institut angemietete Fläche errechnen würde, könnte pro weiterem Take-up also von rund 5 000 m2 ausgegangen werden. So groß waren bisherige Brexit-Anmietungen nämlich bisher im Schnitt. Sollten also tatsächlich 45 Finanzinstitute Flächen anmieten, wären das summa summarum 225 000 m2 bei einem aktuellen Leerstand von rund 730 000 m2.Davon ausgehend, dass die Institute nicht ins Mertonviertel, nach Rödelheim oder den Kaiserlei wollen und nur A-Flächen in “prime locations” nachfragen, stünden immer noch 250 000 m2 kurzfristig zur Verfügung. Hinzu kommt noch eine Pipeline im Bau befindlicher Flächen von insgesamt 600 000 m2, davon frei sind noch 310 000 m2, allein im CBD, dem Central Business District, zurzeit noch 140 000 m2, die noch frei und bereits im Bau sind: “Brexiteers” welcome. Nicht zuletzt in Frankfurts Wolkenkratzern. Die werden 2019 nämlich mit 78 Türmen und 2,3 Mill. m2 einen neuen Rekord im Bestand markieren.Zwar haben sich die größten Finanzdienstleister bereits in der jüngeren Vergangenheit nicht nur durch Neuanmietungen, sondern auch durch Expansionen, Nachverhandlungen und arbeitsplatztechnische Umstrukturierungen Luft verschafft. Trotzdem, das ist unstrittig, werden in den nächsten Monaten alle Augen noch gespannter nach London blicken, unabhängig davon, wie der Brexit konkret ausfällt. Was die Flächenverfügbarkeit und eventuelle Anfragen in diesem Zusammenhang angeht, wird die Frankfurter Bankenlage im Laufe des Jahres 2019 und darüber hinaus wieder über mehr Flächenauswahl verfügen, etwa im OmniTurm, im MarienTurm, im MesseTurm, im GlobalTower, im Tower One, im Junghof Plaza oder im FOUR. Zwischenquartier als FolgeBrexit hin, Brexit her: Zu den Gewinnern könnten die Flexible-Office-Space-Anbieter gehören, die in den letzten beiden Jahren massiv Fläche in der Bankenlage absorbiert haben und deren Flächen potenziell als Zwischenquartier dienen könnten. Neben immer weiter steigenden Kosten sind nämlich auch die für den Bau oder Ausbau erforderlichen Zeiten zunehmend schwieriger zu kalkulieren: Sie stellen Mieter immer häufiger vor die Herausforderung, sich wesentlich früher mit ihrer Immobilienstrategie auseinandersetzen zu müssen. Sofern angemietete Flächen nicht rechtzeitig fertig werden, ist die Suche nach einem Zwischenquartier eine zwangsläufige Folge.Hinzu kommt der immer größer werdende Druck auf die Unternehmer durch den “War for Talents”. Der hat ein Übriges getan, um den Vermietungsmarkt am Main zu beflügeln: Frankfurter Firmen sind dazu gezwungen, sich Gedanken über ihren aktuellen Standort zu machen, damit sie für qualifizierte Fachkräfte attraktiv bleiben. Aber auch viele Unternehmen aus dem Umland und aus ganz Deutschland beißen nolens volens in den sauren Apfel, bewegen sich in attraktivere Ballungsgebiete und akzeptieren höhere Mieten. Kaum ein Unternehmen kann es sich leisten, nach zweitklassigen Flächen zu suchen.Wegen des “War for Talents” wachsen die Anforderungen an Lage, Objekt, Fläche und Konzept kontinuierlich. Die Firmen zieht es in die Hochburgen, die diesen Anforderungen gerecht werden können. Bereits 2017/2018 hatten sich renommierte Unternehmen, aus kleineren Städten kommend, fürs Frankfurter Marktgebiet entschieden: Mundi Pharma, SAP, Michelin, Dentsu Aegis, zum Beispiel. Die Mainmetropole ist und bleibt ein immobiler Hotspot und, so will es scheinen, für jedwede Turbulenz gewappnet.—-Timo Tschammler, CEO von JLL Deutschland