IM INTERVIEW: CHRISTIAN ZORN, MORGAN STANLEY

"Man muss in Szenarien denken"

Der Leiter des Investment Banking Deutschland und Österreich über komplexe M & A-Transaktionen und das Interesse aus Asien

"Man muss in Szenarien denken"

Christian Zorn, Leiter des Investment Banking Deutschland und Österreich von Morgan Stanley, sieht für allgemein bekannte Namen und stimmige M & A-Transaktionen keine Limitierung in der Finanzierung. Die Themen Wachstum und geografische Ergänzung treiben den deutschen M & A-Markt, wie er im Interview der Börsen-Zeitung erklärt.- Herr Zorn, der deutsche M & A-Markt hat im Vergleich zum Vorjahr enorm aufgeholt. Geht das so weiter oder hat sich lediglich ein Transaktionsstau aufgelöst?Mit einem Transaktionsvolumen von 175 Mrd. Euro in den ersten neun Monaten dieses Jahres liegen wir deutlich über dem vergangenen Jahr, als im selben Zeitraum Transaktionen im Volumen von rund 100 Mrd. Euro durchgeführt wurden. Allerdings ist eine deutliche Konzentration erkennbar, denn ein Großteil dieser Volumina entfällt auf eine Handvoll Transaktionen.- Was kennzeichnet diese Transaktionen?Wenn man sich die wesentlichen Transaktionen anschaut, übrigens in vielen Fällen von Morgan Stanley beratend begleitet – Bayer/Monsanto, Deutsche Börse/LSE, Sanofi/Boehringer, Siemens/Gamesa, Fresenius/Health Care Services in Spanien, Kuka/Midea, Evonik/Air Products, Uniper, Lanxess/Chemtura -, dann ist das auf den ersten Blick ein relativ breiter sektoraler Mix. Gleichwohl besteht nach wie vor ein Fokus auf Chemicals, Healthcare und Pharma, aber auch Industrials und Utilities. Im Real-Estate-Bereich läuft auch eine ganze Menge, wenngleich etwas kleinteiliger. Es wurden relativ viele Transaktionen “cross-border” beziehungsweise “cross-regional”, also grenzüberschreitend durchgeführt, und es gab neben einer Reihe öffentlicher Übernahmen auch einige private Deals.- Also geht es so weiter?Ja, wir wünschen uns natürlich, dass es so weitergehen wird, weil es nicht nur einige, wenige Sektoren betraf und die Themen Wachstum bzw. geografische Ergänzung weiterhin im Fokus liegen. Außerdem befinden sich deutsche Unternehmen nach wie vor in grundsätzlich guter finanzieller Verfassung und weisen erhebliche Barbestände auf.- Wie wirkt sich das schwierige Umfeld auf Transaktionsentscheidungen aus?Das Umfeld ist nicht ganz trivial. Wir sehen zwei Treiber für Aktivitäten: Zentralbanken, die historisch niedrige Zinssätze anbieten und Assets kaufen, und einen Kapitalmarkt, der offen für Geschäft ist, aber zunehmend verletzbar ist gegenüber großen Makrothemen wie den bevorstehenden Wahlen in den USA, in Deutschland sowie in Frankreich, dem italienischen Referendum, dem weiterhin präsenten “Wie-stark-wächst-China-Thema”, Entwicklungen in Russland, dem Nahen Osten, und auch dem allgemeinen Rohstoffzyklus. Zusammengefasst jede Menge Stoff, der nervös machen könnte. Bisher halten diese Faktoren sich – so hat man das Gefühl – die Waage. Eine Prognose ist deshalb für mich schwierig. Wenn wir jedoch mit Kunden sprechen, äußern sie gewisse Sorgen, was den Ausblick betrifft.- Was treibt dann den M & A-Markt?Das sind eine ganze Reihe von Themen. Es geht aber nach wie vor um die Frage, wo Wachstum herkommt. Das steht noch immer weit oben auf der Agenda unserer Kunden.- Wohin geht die Entwicklung bei internationalen Transaktionen?Wir gehen weiterhin davon aus, dass viele Transaktionen grenzüberschreitend sein werden. Hierbei ist bemerkenswert, wie sich die Volumina zwischen den Regionen beziehungsweise Kontinenten unterscheiden. Auf Basis unserer Datenbanken ist beispielsweise im ersten Halbjahr 2016 das Transaktionsvolumen aus Asia-Pazifik in Richtung Europa etwa zehnmal so hoch wie in die andere Richtung. Hingegen ist das Volumen aus den USA nach Europa nur halb so groß wie von Europa in die USA. Wenn man alle globalen Flüsse berücksichtigt, sind etwa 85 % des Asia-Pazifik-Volumens “outbound”, also in Richtung anderer Regionen, während circa 70 % der USA-Aktivität “inbound” sind.- Woran liegt das?Die demografische Entwicklung in Japan ist zum Beispiel besorgniserregend, die Überalterung der Bevölkerung bremst dort entscheidend das Wachstum. Dies erklärt im Wesentlichen die Notwendigkeit für japanische Unternehmen, im Ausland aktiv zu sein.- Sehen die Amerikaner in Asien oder in Europa kein Wachstum?Es ist tatsächlich so, dass der US-amerikanische Markt höheres Wachstum als die meisten Märkte in Europa aufweist. Dennoch sind US-amerikanische Firmen durchaus in Europa und auch Asien aktiv. Asien ist ein extrem heterogener Markt, und oftmals sind Unternehmensbeteiligungen oder gar Komplettübernahmen entweder erschwert oder gar nicht möglich. Steuerliche Aspekte haben hingegen einige geplante oder erfolgte Transaktionen zwischen USA und Europa mitbestimmt.- Die Asiaten gehen also nach Europa, weil sie dort Wachstum vermuten, die Europäer hingegen nach Amerika. Warum kaufen die Asiaten nicht in Amerika zu?Es gibt durchaus einen regen Transaktionsfluss zwischen Asien und den USA. Bei den Asiaten resultiert die Entscheidung in Richtung Europa neben einer starken kulturellen Affinität mit zum Beispiel Deutschland oftmals aus der Überlegung, dass man ein Produkt oder eine Dienstleistung, die man nicht vor Ort hat, nach Asien bringen und aufgrund der Größe des Marktes dort ausrollen kann. Das war bei einigen von uns begleiteten Transaktionen ein wesentlicher Beweggrund: Die technologische Führerschaft gibt es hier und zum Beispiel in China einen breiten und tiefen Markt. Der Ansatz vieler unserer asiatischen Kunden in Bezug auf M & A ist mit der Zeit deutlich gereift, es gibt gezielte und sehr strategische Mehrjahrespläne. Sie überlegen, was sind fehlende Schlüsseltechnologien, und wo sind diese aufzufinden.- In erster Linie also in Europa?Diese Industrien findet man nicht nur in Europa, sondern natürlich auch in Amerika. Amerika ist außerdem der breiteste, tiefste und liquideste Kapitalmarkt, und für jedes Industriesegment und jede Spezialisierung gibt es vor allem auch jeweils börsennotierte Firmen. Durch die Börsennotierung sind die Parameter für eine erfolgreiche Transaktion oftmals klarer als bei uns.- Aber die Asiaten zieht es eher nach Europa. Bleibt das so?Wir sehen aktuell keine Anzeichen dafür, dass sich das Interesse an Europa und insbesondere dem deutschsprachigen Raum abschwächt.- Es heißt ja, die M & A-Transaktionen, allen voran Bayer/Monsanto, seien hochkomplex. Was hat diese Transaktion so hochkomplex gemacht im Vergleich zu anderen Transaktionen?Komplexität ergibt sich aus der Größe einer Transaktion, wenn diese außerdem noch eine öffentliche Übernahme und zudem grenzüberschreitend ist. Bei vielen Transaktionen kommen dann kartellrechtliche oder sonstige regulatorische Themen dazu. In Amerika, wie in vielen anderen Ländern auch, gibt es dann ja gewisse Institutionen, die sich anschauen, ob nicht relevante Schlüsselindustrien das Land durch eine Transaktion verlassen könnten. Daher werden Transaktionen auch schon mal gestoppt oder müssen in Teilen neuverhandelt werden.- Auch die politische Komponente steigert also die Komplexität?Ja, aber da geht es in erster Linie um Schlüsselindustrien, oftmals um die nationale Sicherheit. Die Komplexität hat auch deshalb deutlich zugenommen. Außerdem ist das Umfeld wie gesagt deutlich volatiler und unplanbarer geworden. Derzeit ist man trotz aller Unwägbarkeiten offenbar noch bereit, große Transaktionen anzugehen. Man darf nicht vergessen, dass einige nun erfolgte Transaktionen nicht erst gestern am Reißbrett entstanden sind.- Zurück zur Anfangsfrage: Sind das aufgestaute Transaktionen? Sie sagten ja, die sind nicht erst gestern am Reißbrett entstanden. Fliegen diese Deals jetzt, weil man vermutet, dass das Umfeld noch unplanbarer wird?Jeder Deal ist sehr spezifisch. Bei vielen mag die industrielle Logik schon seit langem gepasst haben. Vielleicht war die Bewertung oder Finanzierungsstruktur ein Hindernis, es gab einen Wechsel in der Führungsspitze oder ein aktiveres Mitwirken aus dem Aktionariat. Insofern ist es meiner Meinung nach nicht ein Stau an Transaktionen, sondern ein Zusammenwirken von notwendigen Entwicklungen. Die Puzzleteile passten jetzt zusammen.- Welche Rolle spielen die Börsenbewertungen, jetzt aktiv zu werden?Oft denkt man zum jeweiligen Bewertungszeitpunkt, dass es nicht mehr höher gehen könne – und dann passiert es eben doch. Viele Börsen sind jetzt wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor dem Brexit-Votum. Man muss in Szenarien denken. Und vorbereitet sein. Derzeit sehen wir zum Beispiel substanzielle Aktienblock-Aktivität in Deutschland und Europa. Viele von diesen Block-Transaktionen waren schon im Vorfeld mandatiert. Der Emittent hat sich auf längere Sicht überlegt, wie groß der Block ist, den er zu platzieren bereit ist, und erwartet sich von seiner Investmentbank eine klare Strategie in puncto Timing, Volumen, Investorenbasis und Preisfindung. Im Gegensatz zu anderen Block-Transaktionen, die opportunistisch von einem Tag auf den nächsten nach Börsenschluss und oftmals mit Nachdruck in den Markt verkauft werden.- Wirkt die Zinspolitik der EZB dabei unterstützend, weil viel Liquidität im Markt ist?Ja. Unserer Meinung nach werden wir keinen sprunghaften Anstieg der Inflation sehen. Zumindest nicht in Europa, und daher wird “Quantitative Easing” auch noch eine Weile so weitergehen. Die Hausmeinung geht eher in Richtung Verlängerung und gegebenenfalls Ausweitung des Programms.- Wo soll es denn noch hingehen?Das bleibt abzuwarten. Wir befinden uns in einem Umfeld günstiger Finanzierungskonditionen, überschaubaren Wirtschaftswachstums, zumindest in der westlichen Welt, und relativ hoher Bewertungen. Selbst großvolumige Transaktionen gehen gut durch, und Börsen haben vielfach positiv reagiert. “Fahren auf Sicht” ist gleichwohl angesagt. Wenn Kunden eine Transaktion durchführen wollen, lohnt es sich wirklich ernsthaft, diese Vorhaben zu beschleunigen.- Also nichts aufschieben?Genau. Finanzierungsmärkte sind sehr konstruktiv. Wir haben für deutsche Kunden neben Euro- auch etliche britische Pfund- und großvolumige Dollar-Transaktionen begleitet. Einige Emittenten kamen dabei bereits bei relativ kurzen Laufzeiten recht nah an negative Kupons.- Diese riesigen Finanzierungen, wie für die Übernahme von Monsanto durch Bayer, sind offenbar kein Problem. Könnten deshalb solche Transaktionen jetzt öfters kommen?Wir sind bekanntermaßen Berater von Monsanto. Für Household-Names und stimmige Transaktionen sehen wir überhaupt keine Limitierung in der Finanzierung. Was wir jüngst überhaupt nicht viel gesehen haben, sind Wandelanleihen.- Warum läuft nichts bei Wandelanleihen?Wandelanleihen sind sinnvoll bei relativ hoher Volatilität. Die Volatilität ist jetzt zwar geringer, die Option somit weniger wert, dafür ist aber die Fremdverschuldungskomponente extrem attraktiv. Insgesamt sind Prämien von 35 bis 40 % bezogen auf den aktuellen Aktienkurs realisierbar, was wir noch immer für hochgradig attraktiv halten.- Die Beratung großer deutscher M & A-Transaktionen ist – mit Ausnahme der Deutschen Bank, die zudem bei Bayer/Monsanto “conflicted” war – weitgehend in der Hand ausländischer Investmentbanken. Woran liegt das?Diese Art von Transaktionen, die momentan stattfinden, nämlich groß, komplex, vielfach in Form von öffentlichen Übernahmen, mit teilweise erheblichen Finanzierungskomponenten, können nicht von so furchtbar vielen Häusern durchgeführt werden. Die amerikanischen Investmentbanken sind faktisch in einer besseren Verfassung, weil sie sehr früh im Zusammenhang mit der Finanzkrise vom amerikanischen Staat die Einladung erhalten haben, Kapital zu nehmen, zu gesunden, und das auch gemacht haben. Darüber hinaus verfügen sie auch über einen auskömmlichen Heimatmarkt. Der Heimatmarkt Deutschland ist strukturell ein eher schwieriger und hochkompetitiver Markt.- Und auch einfach zu klein?Es sind in vielen Bereichen sehr viele Marktteilnehmer und Marktanteile sind regelmäßig zu gering. Deshalb ist das Profitabilitätsniveau dieses Heimatmarktes aus meiner Sicht für viele der bestehenden Akteure auf Dauer nicht ausreichend. Was den Ausblick für unser Geschäft betrifft, scheinen die aktuellen Entwicklungen und Transaktionen genau in unsere Richtung zu gehen. Wir können unsere globale Präsenz, langjährige Erfahrung, Sektorspezialisierung und Finanzstärke gewinnbringend für unsere Kunden einsetzen. Wir können und wollen transformierende Transaktionen begleiten. In Summe bin ich nach wie vor begeistert vom deutschen M & A-Markt und allem, was dazugehört.- Weil genügend Potenzial da ist?Sowohl was familiengeführte als auch börsennotierte Gesellschaften betrifft, sehen wir jede Menge Potenzial.- Auch mit den Mega-Deals?Mir wäre es persönlich lieber, wenn das Volumen so bleibt, aber etwas mehr ausbalanciert ist, wir also mehr mittelgroße Transaktionen und nicht nur diese Elefanten hätten. Es ist für den Markt auf Dauer besser, wenn die Basis etwas breiter ist. Wir haben sozusagen Bayer/Monsanto, dann Deutsche Börse/LSE, aber dann rutschen wir sehr schnell ab in den Bereich mit Transaktionen im Volumen von 3 bis 6 Mrd. Dollar.- Das war ein ganzer Schwung.Davon könnten es ruhig noch mehr sein. Der deutsche Markt ist eigentlich – historisch betrachtet – ein Markt von dieser Größenordnung. Natürlich gibt es ein paar Unternehmen, wenn die was Großes machen, ist es wirklich richtig groß. Aber selbst die “kleineren” Transaktionen, die alle vom Volumen deutlich darunterliegen, sind transformatorisch in ihrem jeweiligen Segment.- Weil das strategische Transaktionen sind?Ja, und hier schaffen wir die Klammer zur Realwirtschaft. Da sind Deals aus dem Energiesektor dabei oder Ernährung.- Und Healthcare.Healthcare ist ein gigantisches Feld. Und das Thema Mobilität wird auch noch stärker kommen. Die Zeichen sind sehr positiv, und es ist auch gut für den Markt. Da gibt es jede Menge Sachen, die spannend werden können.- Ändert der Brexit etwas? Muss man als Investmentbanker in Deutschland wohnen?In der Betreuung von deutschen Kunden ist es sinnvoll, in Deutschland zu sein – losgelöst vom Brexit. Kundennähe ist immer relevant.—-Das Interview führte Karin Böhmert.