Margendruck, erodierende Standards - Mix für neue Krise?

Geschäftsmodelle und Entscheidungen nicht auf Basis eines dauerhaft wenig tragfähigen Extremzinsszenarios fundieren

Margendruck, erodierende Standards - Mix für neue Krise?

Das Jahr 2016 wird in die Geschichte des Corporate Banking in Deutschland als das Jahr eingehen, in dem Negativzinsen und Liquiditätsschwemme sich erstmals spürbar in den Erfolgsrechnungen der deutschen Banken niedergeschlagen haben. Die Halbjahresergebnisse nahezu aller großen Banken und über alle drei Säulen hinweg zeigen inzwischen deutlich die Effekte der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). So steht das Zinsergebnis auf breiter Front unter Druck, was angesichts von Zinsen um die oder unter der Nulllinie nicht überrascht. Einziger Lichtblick bleibt der weiterhin sehr niedrige Risikovorsorgebedarf, der die Betriebsergebnisse stützt. Trüber AusblickZum Ertragsdruck kommen erhebliche regulierungsbedingte Kostenbelastungen und ein massiver Aufwand zur Erneuerung vielfach überholter IT-Strukturen. So bilanziert die Bundesbank im aktuellen Monatsbericht einen trüben Ausblick für die Ertragslage der deutschen Banken, wenn sie ausführt: “(…) die ungünstigen Rahmenbedingungen im anhaltenden Niedrigzinsumfeld dürften die Erwirtschaftung auskömmlicher Erträge im zinsabhängigen Geschäft zunehmend erschweren.”Das Zinsergebnis ist mit einem Anteil von rund 75 % an den operativen Erträgen weiterhin die dominierende Ertragsquelle deutscher Banken. So ist es nicht überraschend, dass die durch die EZB gesetzten Rahmenbedingungen sich inzwischen in den Bankabschlüssen niederschlagen. Es hat sich dabei in den letzten Jahren eine Mixtur “zusammengebraut”, die zunehmend zu einer spürbaren Belastung für die Branche wird. Die expansive Politik der EZB wirkt dabei auf das einst ertragsstarke Firmenkundengeschäft vor allem über drei Kanäle: Das Herunterschleusen des allgemeinen Zinsniveaus führt typischerweise zu einer Kompression der Zinsmargen.Die Überversorgung der Banken mit Liquidität in Deutschland heizt den Konditionenwettbewerb unter den Banken zusätzlich an. In- und auch die Auslandsbanken legen derzeit einen strategischen Fokus auf die bonitätsmäßig gut aufgestellten Top-Firmenkunden. Der Wettbewerb um diese attraktiven Kunden wird stark über Konditionen und Zugeständnisse bei den Kreditstandards geführt. So zeigte die Befragung deutscher Banken im Rahmen des aktuellen “Bank Lending Survey” der EZB erneut eine Lockerung der allgemeinen Kreditstandards und eine weitere Einengung der Margen. Der Margendruck war dabei bei den großen Unternehmen deutlich ausgeprägter als bei kleineren Kunden. Und last but not least haben die massiven Käufe von Unternehmensanleihen der EZB seit dem Frühjahr 2016 den Druck auf die Zinsspanne weiter erhöht.Für die Top-Adressen unter den deutschen Unternehmen ist der Kapitalmarkt inzwischen zu einem günstigen und aufnahmefähigen Kanal zur Platzierung des langfristigen Fremdkapitalbedarfs geworden. Auch die umfangreiche Emissionsaktivität im Schuldscheinmarkt mit sehr attraktiven Konditionen und wenig komplexen Strukturen ist ein Indiz für die hohe Liquiditätsversorgung im Markt.Das Überangebot an Finanzierungsmitteln trifft dabei auf eine verhaltene Nachfrage der Unternehmen. Die Investitionstätigkeit der deutschen Unternehmen ist weiterhin alles andere als dynamisch. Und angesichts des starken laufenden Cash-flows deutscher Corporates bleibt der Nettofinanzierungsbedarf in Summe überschaubar. Parallelen unverkennbarDer Druck auf die Ergebnissituation der Banken ist die eine Seite der Medaille. Eine zweite Frage ist, ob die expansive Zinspolitik bei weiterhin scharfem Bankenwettbewerb zu systematischen Verzerrungen bei der Risikoeinschätzung der Finanzinstitute oder auch zu Fehlallokation von Kapital auf Ebene der Unternehmen führt. Bei einem Rückblick auf die unmittelbare Phase vor der Finanzkrise vor inzwischen gut zehn Jahren sind Parallelen unverkennbar. Unter dem Einfluss billigen Geldes und hoher Liquidität drehte sich damals eine Übernahmespirale. Getrieben auch durch Private-Equity-Investoren wurden hohe Multiples gezahlt. Finanzierungen wurden mit immer mutigeren Strukturen im Markt platziert, erinnert sei nur an die sogenannten Covenant-Lite-Strukturen. Heilsame RückkehrIm scharfen Wettbewerb um Finanzierungsmandate waren Banken auf breiter Front zu Zugeständnissen gegenüber den Kreditnehmern bereit. Viele dieser aggressiven Strukturen erwiesen sich in der dann folgenden Finanzkrise als wenig belastbar. Umschuldungen und weitere Notmaßnahmen waren an der Tagesordnung. In den Folgejahren gab es eine heilsame Rückkehr zu solideren Strukturen mit adäquaten Financial Covenants auf Basis nachhaltiger Verschuldungsmultiples. Im Lichte aktueller Transaktionen könnte man der Vermutung folgen, dass wir derzeit wieder eine Entwicklung sehen wie vor der Finanzkrise. Dieses Mal befeuert durch die EZB-Politik des nahezu kostenlosen Geldes. Mögen auch bestimmte Elemente wie der Druck auf die Bankmargen und die erodierenden Kreditstandards an die Zeit vor der Finanzkrise erinnern, so gibt es doch auch Unterschiede, die uns (noch) zuversichtlich stimmen.So sehen wir ein durchaus bedachtes Agieren der deutschen Unternehmen. Das Übernahmekarussell hat sich unter dem Eindruck der rekordniedrigen Zinsen nicht vehement beschleunigt. 2016 dürfte zwar ein Top-Mergers-&-Acquisitions-Jahr in Deutschland werden – dies allerdings vor allem aufgrund des Jahrhundert-Deals von Bayer mit der Übernahme von Monsanto. Die Unternehmen achten bei ihren Käufen weiterhin stark auf strategische Komponenten der Akquisitionen und haben ihren Renditeanspruch deutlich weniger gesenkt, als die veränderte Zinslandschaft es ermöglichen würde. Sollten sich die erhofften Kosteneffekte aus den laufenden Übernahmen zeitnah realisieren lassen, dann scheinen die aufgerufenen strategischen Kaufprämien durchaus gerechtfertigt. Wenn die langfristigen strategischen Perspektiven von Übernahmen und Investitionen die Treiber des unternehmerischen Handelns sind, dann stellen die Niedrigzinsen “nur” ein willkommenes Add-on bei den Investitionsentscheidungen dar und sind kein Katalysator für eine Fehlallokation von Kapital auf Ebene der Investoren. Noch keine Gefahr im VerzugUnd die sinkenden Kreditstandards? Auch hier sehen wir derzeit noch keinen Grund für Gefahr im Verzug. Deutsche Unternehmen stehen nach Jahren der Konsolidierung heute auf deutlich soliderem Fundament als vor zehn Jahren. Die Verschuldung konnte im laufenden Zyklus spürbar zurückgeführt, die Eigenkapitalposition im Gegenzug gestärkt werden. Im Schnitt hat sich die Bonität deutscher Unternehmen nach der Finanzkrise verbessert. Dies rechtfertigt es zu einem gewissen Grad, die Korsettstangen in Finanzierungen etwas geschmeidiger zu gestalten. Bonitätsmäßig besser gestellte Unternehmen können hiervon spürbar profitieren.Für finanzierende Banken gilt es jedoch in diesem Umfeld einen noch stärkeren Fokus auf dem Einzelfall zu haben und alle Strukturelemente, die unter Risikoaspekten notwendig sind, zu sichern. Dies ist sowohl im Sinne der Banken als auch im langfristigen Interesse der Kunden. Die ultraexpansive Geldpolitik nagt allerdings auch über die erhöhten Pensionsverpflichtungen an den mittlerweile deutlich erhöhten Eigenkapitalpositionen im Unternehmens- wie auch im Bankensektor und erfordert eine veränderte Investitionsstrategie, um den wachsenden Pensionsansprüchen eine halbwegs zufriedenstellende Absicherung gegenüberzustellen. Staatspapiere der Industrieländer sind sicherlich derzeit keine zufriedenstellende Assetklasse. Vielmehr bedarf es einer breiter angelegten Investitionsstrategie.Die Geldpolitik kann den notwendigen Strukturwandel erleichtern, aber nicht verhindern. Die überschaubare Umkehr der Zinsentwicklung hat die Finanzkrise in 2008 ausgelöst, aber nicht verursacht. Sofern es der Politik nicht gelingt, die wirtschaftlichen Anpassungen innerhalb von Währungszonen zu ermöglichen, wird ein Auseinanderbrechen der Währungsräume dauerhaft nicht zu verhindern sein. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Großwetterlage oder eine überhastete Zinswende können das fragile Gesamtgebilde leicht in Schieflage bringen. Ventil findet sich immerUnternehmen kann man in diesem Umfeld nur raten, den strategischen Kompass klar auszurichten, Geschäftsmodelle und Entscheidungen nicht auf Basis eines dauerhaft wenig tragfähigen Extremzinsszenarios zu fundieren und erratische Bewegungen von Zins und Wechselkursen einzukalkulieren. Blasenhafte Entwicklungen finden immer ein Ventil zur Entleerung. Wir wissen heute nur nicht wo und wann.—Norbert Schraad, Vorstandsmitglied der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen