Marktplatz mit Trainingslager
Der Stockholmer Börsenbetreiber Nordic Growth Market (NGM) fördert Wachstumsunternehmen. Die Tochter der Börse Stuttgart setzt dabei wie ihre Mutter auf Privatkunden, wobei ihr die ausgeprägte Aktienkultur in Schweden hilft. Bei strukturierten Produkten spielt sie deshalb auch in Europa ganz vorn mit.Von Stefan Schaaf, StockholmNur die metallene Glocke im Foyer der Büroetage im Stockholmer Finanzviertel erinnert noch an die Börsen vergangener Tage, auf deren Parkett Menschen miteinander handelten. Die Räume der Nordic Growth Market (NGM) in der Mäster Samuelsgatan – auf halbem Weg zwischen Hauptbahnhof und Königsschloss gelegen – sehen aus wie Großraumbüros überall in Europa: Schreibtische voller Computerbildschirme. Es gibt keinen Trading Floor, die NGM ist eine vollelektronische Börse, deren Glocke lediglich eine Reminiszenz an die alte Börsenwelt ist.Diese alte Welt, zu deren Ende die Liberalisierung der Finanzmärkte seit den frühen 1980er-Jahren beitrug, bestand aus nationalen Spielern, die oft Monopolisten waren. So ist in Schweden der größte Marktteilnehmer noch immer die Börse Stockholm, die unter dem Namen Nasdaq OMX firmiert. Die 1984 gegründete NGM sieht sich selbst als Herausforderer der Nasdaq-Tochter. Ironie der Geschichte: Die Nasdaq selbst war einmal ein Herausforderer der Nyse, der New Yorker Börse, die inzwischen selbst vom Konkurrenten ICE aus Chicago geschluckt wurde.”Wir existieren, weil es in Schweden ein Börsenmonopol gab, wie beim Alkohol”, berichtet Roger Peleback, Vorsitzender der NGM-Geschäftsführung. Doch im Zuge der Marktliberalisierung änderte sich dies grundlegend – zumindest beim Börsenhandel, Schnaps gibt es auch heute nur in staatlichen Läden. Im Jahr 2008 stieg die Börse Stuttgart ein. Beide Marktplätze fanden zusammen, weil sie sich auf Privatanleger spezialisieren, so dass die NGM heute führende Börse für strukturierte Produkte in Skandinavien ist. Ein Geschäft, in dem auch die schwäbische Mutter als europäischer Marktführer ein starkes Standbein besitzt. Die “hohe Kaufkraft und Online-Affinität der Anleger in Schweden” sei ein wichtiges Argument für den Einstieg gewesen, berichtet der für das Auslandsgeschäft in Stuttgart zuständige Geschäftsführer Ralph Danielski. In Schweden sei deshalb die Zahl potenzieller Privatkunden für die Börse in etwa genauso groß wie in Deutschland.Die NGM selbst ist in diesem Segment inzwischen die Nummer 3 in Europa und hat damit die Euronext eingeholt. Die NGM selbst handelt Optionsscheine, Anlagezertifikate und Knock-out-Produkte in den vier skandinavischen Ländern. Dänemark war zu Jahresbeginn dazukommen. Auch wenn Technik und Produkte von Stockholm einheitlich bereitgestellt werden und die Skandinavier weitaus affiner bei Anlagen am Kapitalmarkt sind als die Deutschen, so bereitet die Tätigkeit in vier Ländern auch Probleme, schon allein weil das Clearing in vier Währungen erfolgen muss und Norwegen nicht der EU angehört. Keinem Segment verhaftetNeben strukturierten Produkten liegt ein Schwerpunkt des Geschäftes in der Förderung von Wachstumsunternehmen. Besucher der NGM werden nicht nur mit dem in Schweden allgegenwärtigen Kaffee versorgt, auf dem Tisch stehen ein paar Flaschen Apfelcidre, über dessen Alkoholgehalt von 0,4 % wohl das Staatsmonopol hinwegsieht. Der Produzent des Cidre ist in England derzeit sehr erfolgreich – und an der NGM gelistet. Mit der Cidre-Verkostung tritt Peleback gleich mal der Meinung entgegen, an einer Wachstumsbörse würden nur Nerds ihre Fintech-Buden listen. “Wir sind keinem speziellen Segment verhaftet”, betont er.Den jungen Firmen – ob nun Apfelweinkelterer oder das nächste Spotify (der Musikstreamingdienst ist eine schwedische Erfindung) – greift die NGM kräftig unter die Arme mit dem Eingangssegment Nordic Pre Market. Wer in diesem Trainingslager mitmacht, verpflichtet sich, sein Unternehmen innerhalb von zwei Jahren an die Börse zu bringen. Im Gegenzug gibt es Hilfe für die Gründer. “Wir teilen unsere Erfahrungen und helfen auch, Kapital zu finden”, sagt Peleback. Drei Unternehmen sind derzeit im Trainingscamp, fünf weitere könnten bald folgen. Die meisten Firmen seien bislang durch Friends & Family sowie Crowdfunding finanziert und wollten nun den nächsten Schritt gehen. “Bei den Firmen findet noch kein Handel statt, wir bereiten sie auf den Handel vor.” Beispielsweise erklärt der Leiter der NGM-Marktüberwachung den Gründern, was beim Aktienhandel geht – und auch was eben nicht geht.Ein Vorbild für Stuttgart, schließlich wird in Deutschland über die Förderung von Wachstumsunternehmen diskutiert? “Wir denken intensiv darüber nach”, sagt Michael Völter, Chef der Börse Stuttgart und Aufsichtsratschef der NGM. “Wir haben bereits ein bei Stuttgart Financial angesiedeltes Angebot und wollen dies ausbauen.” Beteiligung an GebührenSchaffen die Gründer den Sprung an das regulierte Segment (NGM Equity) oder das nichtregulierte Segment Nordic MTF, so profitieren sie von einem in Europa ungewöhnlichen Gebührenmodell. Die NGM schüttet nämlich ein Viertel der Handelsgebühren an die gelisteten Unternehmen aus und schafft damit gerade für Cash-flow-schwache Gründer einen Anreiz zum Börsengang.Aktuell werden den Angaben zufolge zwischen umgerechnet 100 und 15 000 Euro monatlich je Firma ausgeschüttet, der Schnitt liege bei 700 bis 800 Euro. Dem stehen Gebühren von umgerechnet 1 250 Euro im regulierten und 500 Euro im unregulierten Markt gegenüber. Deutsche Anleger können jedoch bislang nicht direkt an der NGM handeln, kein hiesiger Direktbroker ermöglicht den Zugang zu deren Handelssegmenten. Doch bei aller Technisierung: Wer es mit seinem Start-up an die NGM schafft, der darf natürlich auch die Börsenglocke läuten.