FINANZEN UND TECHNIK - IM INTERVIEW: JÜRGEN MOORMANN, FRANCESCO PISANI, FRIEDRICH HOLOTIUK

"Massiver Umbau des Payment-Bereichs steht bevor"

Studie der Frankfurt School of Finance & Management untersucht Auswirkungen der Blockchain-Technologie auf Geschäftsmodelle im Zahlungsverkehr

"Massiver Umbau des Payment-Bereichs steht bevor"

Eine Delphi-Studie der Frankfurt School of Finance & Management beschäftigt sich mit der Blockchain-Technologie und der Frage, inwiefern diese die Zukunft des Zahlungsverkehrs verändern wird. Prof. Dr. Jürgen Moormann, Inhaber der Concardis-Stiftungsprofessur für Bank- und Prozessmanagement, sowie die Doktoranden Francesco Pisani und Friedrich Holotiuk erläutern im Interview der Börsen-Zeitung das Forschungsprojekt und die ersten Ergebnisse.- Herr Prof. Moormann, Herr Pisani und Herr Holotiuk, welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Studie?Jürgen Moormann: Die Finanzindustrie befindet sich mitten in einem gravierenden Umbruch, getrieben von neuen Technologien, Regulation, sich ändernden Kundenpräferenzen und niedrigen Margen. Hierbei spielt die Blockchain-Technologie eine wichtige Rolle. Vielfach wird sie als die erste wirklich disruptive Technologie aus dem Fintech-Bereich bezeichnet. Was aber genau die Konsequenzen für die Geschäftsmodelle von Banken und anderen im Zahlungsverkehr tätigen Instituten sein werden, ist bislang unbekannt – genau darauf zielt unsere Studie ab.- Was ist denn das Besondere an Blockchain?Francesco Pisani: Die Technologie bietet die Möglichkeit, ein dezentrales Register von Eigentum und damit verbundenen Transaktionen zu unterhalten. Der Trick der Technologie besteht darin, dass ein Buchungsvorgang nicht mehr zentral festgehalten, sondern jede Buchung an jeden Server des gesamten digitalen Systems gemeldet wird. Dieses Netzwerk von Servern gleicht dann in Sekundenschnelle eine an das System gemeldete Transaktion ab. Sobald das Netzwerk die Transaktion als stimmig akzeptiert, bucht das gesamte System den Kontostand der Betroffenen.Friedrich Holotiuk: So entsteht letztlich eine fehlerlose, kaum zu manipulierende Buchungskette, die in mehrere Blöcke unterteilt ist – daher der Name Blockchain. Diese Art der dezentralen Buchhaltung wird allgemein auch als “Distributed Ledger Technology” bezeichnet.- Wieso der Fokus auf den Zahlungsverkehr?Moormann: Hier erwarten wir besonders starke Auswirkungen durch das Blockchain-Konzept. Bisher müssen Kunden bei unbaren Zahlungen immer einer Stelle vertrauen, üblicherweise ihrer Bank und der Bank des Empfängers, dass die geplante Zahlung durchgeführt wird. Mit der Blockchain-Technologie geht es dagegen um die Übertragung von solchen Zahlungen ohne Intermediäre, also ohne Banken, Kreditkartenorganisationen oder andere Zahlungsdienstleister, und zwar viel schneller als bisher. Das könnte die Preise dieser Leistungen stark reduzieren und sogar die zugehörigen Geschäftsmodelle unter Druck setzen. Sollten sich die Erwartungen bestätigen, die wir derzeit sehen, stehen wir vor einem massiven Umbau des Payment-Bereichs.- Inwiefern?Pisani: Erstens verschwinden die Risiken, die heute noch in einer langwierigen Abwicklung von Finanzgeschäften, etwa im Außenhandel, liegen. Zweitens – und dieser Effekt ist viel relevanter – verlieren Banken, Clearinghäuser und Broker ihre Aufgabe als Intermediäre, eine ihrer heutzutage wichtigsten Funktionen. Schon heute greifen Fintechs wie Ripple die Bankbranche auf Geschäftsfeldern an, wo die Eintrittsbarrieren noch vor kurzem für extrem hoch gehalten wurden. Die heutigen Systeme der Banken sind auf Strukturen wie Blockchain gar nicht ausgerichtet.- Welche Erkenntnisse haben Sie aus den Expertenbefragungen bislang gewonnen?Holotiuk: Die Entwicklung, die wir in unseren Ergebnissen identifizieren konnten, konzentriert sich in erster Linie auf neue Dienstleistungen, die heute bestehende Services ersetzen werden. Beispiele sind die Einführung von direkten Zahlungsverfahren, die Vereinfachung von grenz- und währungsüberschreitenden Zahlungen sowie die Möglichkeit der Verbindung von Verträgen und Zahlungen. Als Konsequenz wird sich die Finanzstruktur der Geschäftsmodelle, etwa die Struktur der Umsätze, verändern; zudem wird es zu erheblichen Kostensenkungen kommen. Es entstehen daraus neue Geschäftsmodelle; es werden aber auch überholte Geschäftsmodelle verschwinden – eine Marktveränderung, die derzeit hauptsächlich von Fintechs getrieben wird.- In welcher Form sind die traditionellen Banken hiervon betroffen?Moormann: Das Girokonto und der damit verbundene Zahlungsverkehr stellt in Banken typischerweise das Ankerprodukt dar, um das herum alle anderen Dienstleistungen angesiedelt sind. Es ist zugleich die Quelle, um Daten über die Kunden zu sammeln – heutzutage der entscheidende Erfolgsfaktor, um den Kundenkontakt zu sichern und sich in Kundenprozesse zu integrieren. Jeder Ansatz, der zu Marktanteilsverlusten im Zahlungsverkehr führt, kann desaströse Konsequenzen für Banken haben. Die Blockchain-Technologie setzt auf dezentrale, digitale Netze ohne Intermediäre. Theoretisch wären dafür Banken dann nicht mehr erforderlich.Die Technologie ist damit imstande, einzelne Geschäftsbereiche traditioneller Banken überflüssig zu machen. Diese Gefahr wird zunehmend in der Branche erkannt.- Können Sie bereits Handlungsempfehlungen aus den gewonnenen Erkenntnissen ableiten?Holotiuk: Die Mehrheit der befragten Experten sieht die Fintechs am Zug und beurteilt diese als besser aufgestellt für die bevorstehenden Veränderungen, da dort keine Abhängigkeiten von Altsystemen der IT bestehen und sich Fintechs auf kleine, hoch spezialisierte Dienstleistungen konzentrieren können. Dies eröffnet aber auch die Chance für bestehende Banken, White-Label-Lösungen einzukaufen, um die eigenen Entwicklungskosten niedrig zu halten und trotzdem auf dem aktuellen Stand der Entwicklungen zu bleiben. Allerdings steigen dadurch wieder die Abhängigkeiten. Ein anderer Weg, um die Entwicklungskosten gering zu halten, ist die Zusammenarbeit in Konsortien. Jedoch sehen wir hier einen hohen Abstimmungsbedarf.- Welche Potenziale bietet die Blockchain denn darüber hinaus?Moormann: Der Einsatz eignet sich auch dort, wo es um die Übertragung und Eintragung von Vermögenstiteln geht, also etwa Grundbucheintragungen. Die Blockchain kann einen digitalen, nicht löschbaren Besitznachweis liefern – zusammen mit der vollständigen Kette früherer Besitzrechte. Überall dort, wo derartige Eigenschaften benötigt werden, kann die Technologie zum Einsatz kommen.- Zum Beispiel?Pisani: Da gibt es die Verwaltung von Lizenzrechten oder das Management von Beständen, etwa von Bibliotheken, Eheregistern et cetera. Interessant ist aber auch die Nutzung der Technologie, um eine digitale Identität zu bestimmen, die dazu dient, sich im Internet auszuweisen. Zudem lassen sich Transaktionen mit Bedingungen, sogenannten Smart Contracts, verbinden. Das sind selbstausführende Aktivitäten, etwa eine Reiseversicherung, die automatisch zahlt, sobald ein Flug gecancelt wurde, oder ein Autokredit, der die Zündung des Autos funktionsunfähig macht, wenn eine Kreditrate nicht bezahlt wurde. Hier entstehen viele neue Einsatzmöglichkeiten, die bis zur Kreation neuer Geschäftsmodelle reichen.- Wo stehen wir in Sachen Entwicklung und Einsatz der Blockchain?Moormann: Aktuell passiert eine Menge und die Aufmerksamkeit für die Technologie befindet sich auf einem Hoch. Dabei wird die Entwicklung von verschiedenen Seiten vorangetrieben. Mehr als 50 Großbanken haben sich zu der weltweiten Initiative R3 zusammengeschlossen, um die Möglichkeiten zu erforschen. Auch die vier großen Prüfungsgesellschaften experimentieren mit der Technologie, um Prozesse im Auditing und Controlling zu verschlanken. Viele Fintechs haben sich auf die Technologie spezialisiert und dabei unterschiedliche Branchen im Visier. Das Interesse und die Community wachsen schnell. Das ist auch aus dem enormen Venture Capital, das in den Bereich investiert wird, ersichtlich. Das waren allein im ersten Halbjahr 2016 rund 300 Mill. Dollar.- Welche Geschäftsmodelle sind besonders aussichtsreich?Holotiuk: Zurzeit haben innovative, flexible Fintechs gute Aussichten. Die hohe Dynamik, mit der einige Start-ups das Thema treiben, ist für etablierte Finanzdienstleister schwer zu kopieren. Noch ist unklar, ob sie nachhaltig Einnahmen generieren und die dazugehörenden Risiken tragen können. Wir glauben, dass Fintechs, die die Blockchain-Technologie in Kooperation mit etablierten Akteuren einsetzen, bessere Aussichten haben. Es ist aber auch so, dass gerade der Zahlungsverkehr – noch – auf sehr stabilen Strukturen basiert und eine systemische Relevanz für die Finanzbranche sowie die Gesellschaft hat.- Was tun Banken, um den Anschluss nicht zu verlieren?Moormann: Banken haben verstanden, dass Blockchains ein großes Potenzial haben und – auch wenn sie noch mit vielen Problemen konfrontiert sind – durch zielorientierte Investitionen und Kooperationen sowie die Gründung von Inkubatoren und Labs neue Use Cases generiert werden können. Ein Beispiel ist die Reisebank, die mit einigen ausländischen Instituten und Ripple bereits eine Transaktion durchgeführt hat. Aber auch Investitionen von Großbanken in Start-ups wie Digital Asset Holdings, Projekte rund um die Plattformen “Corda” und “Concord” oder “Utility Settlement Coin” (USC) betonen das Interesse. Entscheidend für Banken ist, frühzeitig zu lernen, was mit Blockchain möglich ist, und dann zu analysieren, inwiefern Geschäftsmodelle, Prozesse und Dienstleistungen angepasst werden müssen.- Wie beurteilen Sie den Plan einiger Großbanken, Wertpapierverwahrer und Broker, im institutionellen Zahlungsverkehr den USC einzusetzen, der als “Digital Cash” unter Umgehung von Clearinghäusern direkt mit Zentralbanken verrechnet werden soll?Pisani: Das Projekt ist sehr ambitioniert, spricht aber für die starken Bemühungen der Banken, selbst die Technologie zu nutzen. Momentan sind nur wenige große Institute an der Initiative beteiligt und die Gefahr besteht, dass es keine Standardisierung geben wird, wenn Initiativen parallel tätig sind. Zudem ist der Erfolg von USC abhängig von der Unterstützung durch die Zentralbanken. Für die Banken besteht die Chance, wenn sie digitale Coins nutzen, dass Wertpapiertransfers und der Devisenhandel schneller und kostengünstiger abgewickelt werden. Dies führt zu einem schnelleren Cash-Settlement. Wir gehen davon aus, in den nächsten Jahren noch weitere Initiativen zum Thema “Digital Cash” zu sehen.- Gibt es auch Zweifel an der Technologie?Moormann: Absolut. Sie ist kompliziert. Zweifel gibt es bei der Skalierbarkeit sowie der Performance hinsichtlich der Dauer zur Bestätigung von Zahlungen. Manche kritisieren auch, dass die Blockchain noch nach dem Problem sucht, das sie lösen möchte. Datenschutzaspekte sind noch nicht einmal im Ansatz geklärt. Auch aus regulatorischer Sicht gibt es viele offene Fragen, falls die Banken als Intermediäre tatsächlich ausgeschaltet werden sollten.—-Das Interview führte Franz Công Bùi.