Mikrofinanz soll "aus der Geschichte lernen"

Yale-Professor nennt deutsche Verbünde als Vorbilder

Mikrofinanz soll "aus der Geschichte lernen"

ssc Frankfurt – Die in die Kritik geratenen Mikrofinanzierer in Entwicklungsländern sollten sich stärker am Beispiel deutscher Sparkassen und Genossenschaftsbanken im 19. Jahrhundert orientieren. Sie sollten aufhören zu versuchen, das Rad neu zu erfinden, argumentierte Timothy Guinanne, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der US-amerikanischen Yale University, auf einem Symposium des Instituts für bankhistorische Forschung in Frankfurt. Die Veranstaltung fand auf Einladung der KfW statt, die selbst stark als Mikrofinanzierer aktiv ist.Man dürfe nicht zu viel von diesem Geschäft erwarten, betonte Guinanne. Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises 2006 an Muhammad Yunus, den Gründer der Grameen Bank, seien die Erwartungen “einfach verrückt” gewesen. Seitdem argumentieren einige Wissenschaftler, dass Mikrokredite privates Unternehmertum in Schwellenländern nicht nachweislich förderten und auch kaum zur Reduzierung der Armut beitrügen. Ferner werden Vorwürfe laut, dass überzogene Zinsforderungen der Mikrofinanzierer manche Kreditnehmer erst recht in Not brächten.Die heute in Entwicklungsländern aktiven Finanzdienstleister sollten “aus der Geschichte lernen”, rät Guinanne. So seien sie auf das Kreditgeschäft fokussiert und schenkten dem Einwerben von Spareinlagen – in der deutschen Geschichte eine Domäne der Sparkassen – bislang zu geringe Aufmerksamkeit. Auch die hierzulande sehr erfolgreichen genossenschaftlichen Modelle würden in der heutigen Mikrofinanzierung zu selten genutzt, meinte Guinanne. Ebenso könnten die Leihhäuser, die im 19. Jahrhundert hierzulande eine wichtige Rolle bei der Kreditversorgung der Bevölkerung gespielt hätten, nach Guinannes Worten den Schwellenländern als Vorbilder dienen. Pfandleiher seien zum Teil zu Unrecht in Verruf geraten. Sinnvoll könnten etwa Modelle sein, in denen sich Leihhäuser bei Sparkassen refinanzierten.Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts hätten Volks- und Raiffeisenbanken eine zunehmend breite Kreditversorgung von Landwirtschaft und Handwerk in Deutschland sichergestellt, berichtete die Doktorandin Frauke Schlütz aus Leverkusen. Kredite seien damals etwa für den Kauf einer Kuh oder die Anschaffung von Baumaterialien vergeben worden. Früh hätten genossenschaftliche Zentralkassen eine wichtige Rolle als Liquiditätsgeber gespielt. In vielen Entwicklungsländern gebe es solche Kassen leider nicht, bedauerte Paul-Gerhard Armbruster, Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen beim Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband.Modelle wie das Sparkassen- und Genossenschaftswesen könnten aber nur unter den richtigen politischen Rahmenbedingungen funktionieren, warnte Reinhard Schmidt, Professor für Internationales Bank- und Finanzwesen an der Frankfurter Goethe-Universität. So seien Sparkassen mit staatlichen Garantien unter den “korrupten Räubersystemen” vieler Entwicklungsländer ein wenig aussichtsreiches Modell.