Mit Börsengängen von Konzerntöchtern Wert schaffen

In vielen Fällen verbessert eine solche Maßnahme die Wettbewerbsposition und erhöht die finanzielle und strategische Flexibilität

Mit Börsengängen von Konzerntöchtern Wert schaffen

Unternehmen haben permanent strategische Entscheidungen im Hinblick auf die Optimierung ihres Geschäftsportfolios oder die Konzernreorganisation zu treffen. Dies umfasst auch die Veräußerung von Geschäftsbereichen oder Tochterunternehmen. In der überwiegenden Zahl der Fälle geschieht dies durch Mergers & Acquisitions-(M & A)-Verkäufe an strategische Käufer oder Finanzinvestoren. Dabei eröffnet der Weg über die Börse oftmals eine attraktive Alternative. Spin-offs oder IPOsIn Europa nutzen Unternehmen tatsächlich regelmäßig den Kapitalmarkt, um Portfolioveränderungen umzusetzen. Grundsätzlich kann ein Börsengang dabei auf zweierlei Weise erfolgen. Erstens im Wege eines “Spin-offs” (Abspaltung) von Geschäftsbereichen, vergleichbar einer Dividende an die Investoren der bereits börsennotierten Mutter. Oder zweitens durch IPO (Initial Public Offering), also den Verkauf an institutionelle Kapitalmarktinvestoren. Der Spin-off wird dabei oft zu Unrecht als “Schenkung” eines Unternehmensteils begriffen. Aus der maßgeblichen Perspektive des Aktionärs handelt es sich keineswegs um eine Schenkung, sondern lediglich um die getrennte Verbriefung eines bereits zuvor bestehenden Eigentumsanspruchs. Der Erfolg eines Börsengangs kann zum Beispiel anhand der Aktienkurs-Outperformance der betreffenden Gesellschaften gemessen werden.Roger Rüdisüli (2005) zeigt in einer empirischen Untersuchung eine deutliche langfristige Outperformance für Spin-offs sowohl in den USA als auch in Europa. Dies gilt für die abspaltende Gesellschaft ebenso wie für die abgespaltene Gesellschaft. Für IPO von Konzerntöchtern lässt sich demnach eine langfristige Outperformance so nicht feststellen. Es gibt der Studie zufolge jedoch zum Zeitpunkt der Ankündigung des IPO eines Geschäftsbereichs eine relevante Outperformance der Mutter.Zu den jüngeren europäischen Beispielen erfolgreicher Reorganisationen im Wege eines IPO gehören Philips Lighting in den Niederlanden oder die tschechische GE-Tochter Moneta Money Bank. Namhafte weitere Fälle sind Ferrari (Fiat), NN Group (ING), Worldline (Atos) oder Telefónica Deutschland (Telefónica). Insgesamt beläuft sich das IPO-Emissionsvolumen aus Konzernunternehmen börsennotierter Mütter in Europa in den vergangenen 20 Jahren auf rund 87 Mrd. Euro. Dazu kommen Abspaltungen, ob ganz oder teilweise, börsennotierter europäischer Konzerne einschließlich etwa World Duty Free oder Buwog im Volumen von insgesamt über 270 Mrd. Euro im genannten Zeitraum. Das Gesamtvolumen solcher Börsengänge in Höhe von insgesamt über 350 Mrd. Euro belegt die Bedeutung dieses Instruments. Maßgeschneiderte KonzepteReorganisationen von Unternehmen durch Börsengänge von Tochterunternehmen können dabei so umfangreich ausfallen, dass man von einer “Unternehmenstransformation” spricht. In Deutschland haben Siemens, Bayer, RWE und Eon jüngst mit den Börseneinführungen von Osram, Covestro, Innogy und Uniper die Relevanz einer Ausgliederung über den Kapitalmarkt untermauert. Metro und United Internet haben Vergleichbares angekündigt oder als mögliche Maßnahme in Aussicht gestellt.Strukturierungsvarianten für ein IPO von Konzernteilen gibt es viele. Deshalb können Konzepte auf die verschiedenen Finanz- und Kapitalanforderungen, aber auch auf die strategischen Erwägungen der jeweiligen Emittenten maßgeschneidert werden. Die Abspaltung oder das IPO eines Minderheitsanteils eines Unternehmens kann ein erster Schritt mit Blick auf eine künftige Veräußerung sein; alternativ kann das Management sich bewusst für eine dauerhafte Mehrheitsbeteiligung entscheiden.Siemens und Eon haben beispielsweise den Weg einer Abspaltung in Höhe von rund 80 % beziehungsweise rund 53 % der jeweiligen Tochter gewählt. Damit fließen den Unternehmen im ersten Schritt keine Mittel zu. Über einen späteren Verkauf zunächst bei der Mutter verbliebener Altaktien besteht aber sehr wohl die Möglichkeit, zukünftig Veräußerungserlöse zu erzielen. Frühere Abspaltungen etwa von Lanxess (durch Bayer) oder Takkt (durch Gehe) haben unmittelbar zu einer vollständigen Abgabe der jeweiligen Beteiligung geführt. Beispiele aus der PraxisOsram und Uniper sind Beispiele für Teilabspaltungen, denen weitere Veräußerungsschritte folgen dürften. Dagegen haben Bayer und RWE sich im Falle von Covestro und Innogy für ein IPO entschieden und auf diese Weise Mittel für die Mutter und/oder die Tochter erlösen können. Siemens hat in der Vergangenheit sein Engagement in aktiven und passiven elektronischen Bauteilen durch die IPOs von Infineon und Epcos und darauf folgende weitere Aktienplatzierungen sukzessive aufgegeben.In der Abwägung zwischen den verfügbaren Grundvarianten spielt die Beurteilung von Marktrisiken und Aufnahmefähigkeit des Kapitalmarkts zu einem gegebenen Zeitpunkt ebenso eine Rolle wie die ganz unterschiedlichen finanziellen und bilanziellen Auswirkungen der Alternativen. Letzteres insbesondere mit Blick auf die Eigenkapitalposition des Emittenten, die in korrespondierender Höhe zum Eigenkapital der abgespaltenen Anteile an der Tochter abnimmt.Der Spin-off lässt sich als eher technischer Weg an die Börse verstehen. Die Gesellschaft gibt Aktien der Tochter verhältniswahrend an ihre bestehenden Aktionäre. Die Abspaltung ist in der Folge vergleichsweise unabhängiger vom Kapitalmarktumfeld als der IPO, bei dem eine Kombination von Altaktien aus dem Bestand der Mutter und/oder neue Aktien der Tochter an institutionelle Investoren verkauft werden.Dennoch unterscheiden sich Aufwand und Prozess der Vermarktung in beiden Fällen nur unwesentlich. Während die Vermarktung im Falle eines IPO unmittelbar auf den Vertrieb der Aktien an relevante Investoren gerichtet ist, geht es bei einer Abspaltung um das Management des sogenannten “Flow-backs”. Das bedeutet, es sind frühzeitig auch solche Investoren anzusprechen und mit den Zukunftsplänen und -aussichten der neuen Gesellschaft – der “Equity Story” – vertraut zu machen, die nicht automatisch Aktien erhalten.So lassen sich Verkaufsaufträge derjenigen Investoren, denen die Aktien der Tochter zunächst mechanisch “eingebucht” werden, die aber in vielen Fällen nicht die natürlichen Eigentümer sind oder die Aktien aus technischen Gründen nicht halten dürfen, durch entsprechende Nachfrage anderer institutioneller Investoren auffangen. Ziel ist es dabei, einen allzu großen technisch bedingten Kursdruck auf die Aktien unmittelbar nach der Abspaltung zu vermeiden.Gründe und Motivation der Börseneinführung einer Tochtergesellschaft sind äußerst vielfältig. Wertaufhellung, Reduzierung von Komplexität, Wachstumsfinanzierung der Mutter oder Tochter sowie Schaffung einer “Akquisitionswährung” spielen regelmäßig eine Rolle. Stark unterschiedliche Bewertungen verschiedener Geschäftsbereiche können ebenso den Börsengang einer Tochter motivieren wie die Notwendigkeit, in einem sich konsolidierenden Markt ein höheres Maß an finanzieller und strategischer Unabhängigkeit zu erlangen. Letztlich kann auch die strategische Entscheidung, sich zu fokussieren und somit bestimmte (Rand-)Geschäftsbereiche aufzugeben, ausschlaggebend für eine Veräußerungsentscheidung sein. Relevante ThemenUnabhängig von der Struktur und der Motivation des Börsengangs ist die Umsetzung in der Regel komplex und erfordert, dass sich interne Experten und externe Berater eng abstimmen. Die organisatorische “Verselbständigung” einer oftmals aus Betriebsteilen neu zu schaffenden Tochter, die entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen und deren steuerliche Auswirkungen, das Aufstellen historischer Finanzabschlüsse (in der Regel sogenannte “Kombinierte Finanzzahlen”), die Definition relevanter Kennzahlen für den Kapitalmarkt, die Sicherstellung einer von der Mutter unabhängigen Finanzierung, gegebenenfalls die Loslösung aus einem gemeinsamen Cash-Pool sowie die Duplikation relevanter Stabstellen oder die Einrichtung einer eigenständigen Vertriebsorganisation sind einige der hier gegebenenfalls relevanten Themen. Schritte rechtzeitig prüfenFür einen erfolgreichen Börsengang muss jeder dieser Schritte aus Kapitalmarktsicht frühzeitig geprüft werden. Dies schließt weitere Themen mit ein, etwa Corporate Governance im weiteren Sinne, die Vergütung des Managements oder etwaige vertragliche Vereinbarungen zwischen Mutter und Tochter zur Regelung der fortgesetzten Bereitstellung von Dienstleistungen. Die Maßnahmen müssen geplant und in einen Kommunikations- und Vermarktungsplan für die neue Gesellschaft eingebettet werden. Die Erfahrung zeigt: Der frühzeitige Dialog mit den neuen Zielinvestoren – insbesondere im Falle eines IPO – und ein umfassender Vermarktungsplan sind entscheidende Erfolgsfaktoren.Bei aller Komplexität in Vorbereitung und Umsetzung untermauern die zahlreichen erfolgreichen Börsengänge von Konzernunternehmen in Deutschland und Europa die Relevanz dieses Instruments auch und gerade als Mittel der strategischen Portfolio-Optimierung oder der Konzernreorganisation. In vielen Fällen führt eine solche Maßnahme zu einer Verbesserung der Wettbewerbsposition von Mutter und/oder Tochterunternehmen, erhöhter finanzieller und strategischer Flexibilität und nicht zuletzt messbarer Wertschaffung für Eigentümer und Stakeholder.—Foruhar Madjlessi, Ko-Leiter des Aktienemissionsgeschäfts der Deutschen Bank in Deutschland, Österreich und der Schweiz—Josef Ritter, Ko-Leiter des Aktienemissionsgeschäfts der Deutschen Bank in Europa, dem Nahen Osten und Afrika (EMEA)