ANSICHTSSACHE

Mit dem Kapitalmarkt gestärkt aus der Krise

Börsen-Zeitung, 3.7.2020 Gut drei Monate ist es her, dass das Bundeskabinett erste umfassende Maßnahmen zur Bewältigung der initialen wirtschaftlichen Herausforderungen der Corona-Pandemie ergriffen hat. Dank der schnellen und umfangreichen Reaktion...

Mit dem Kapitalmarkt gestärkt aus der Krise

Gut drei Monate ist es her, dass das Bundeskabinett erste umfassende Maßnahmen zur Bewältigung der initialen wirtschaftlichen Herausforderungen der Corona-Pandemie ergriffen hat. Dank der schnellen und umfangreichen Reaktion der staatlichen Institutionen – auch in Zusammenarbeit mit der Kreditwirtschaft – ist diese Krisenbewältigung bisher gut gelungen.Nichtsdestotrotz hinterlässt die noch junge Krise bereits jetzt tiefe Spuren in Wirtschaft und Gesellschaft. Unabhängig davon, ob eine Konjunkturerholung in Form eines V, eines U oder eines W erfolgt, wird in den kommenden Quartalen sowohl bei Unternehmen als auch bei staatlichen Akteuren ein signifikanter Finanzierungsbedarf entstehen. Die ersten finanziellen Rettungsmaßnahmen waren eher kurz- bis mittelfristig angelegt – das ist auch sinnvoll, ging es doch zunächst um die Bereitstellung von schnellen Überlebenshilfen. Zeit für nachhaltige Lösungen Es ist nun jedoch dringend an der Zeit, nachhaltigere Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Zum einen muss der längerfristige Finanzierungsbedarf adressiert werden, zum anderen hat die Corona-Pandemie eine in Ansätzen vorher bereits bestehende Herausforderung in den Fokus gerückt: In vielen Branchen müssen Geschäftsmodelle und -strategien nun schnell überprüft und bei Bedarf angepasst werden, um die langfristige wirtschaftliche Existenz zu sichern.Hierzu gehört auch, sich finanziell möglichst breit und flexibel aufzustellen. Es gilt, jetzt über Kapital- und Finanzierungsstrukturen in drei bis fünf Jahren nachzudenken und auch entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Der Staat kann und sollte nicht alle Unternehmen unterstützen, und die “klassische”, kreditgestützte Bankenfinanzierung wird allein nicht ausreichen, um die deutsche Wirtschaft aus der Krise zu führen.Wie ein Ausweg aussehen kann, zeigt der Blick nach Frankreich oder Großbritannien. Dort nutzen Unternehmen die Kapitalmärkte als Ergänzung oder sogar Alternative zu Bankkrediten viel intensiver, was ihnen eine deutlich erhöhte finanzielle Flexibilität bietet. Während der Anteil der Bankkredite an der gesamten Unternehmensfinanzierung in Deutschland bei 89,3 % liegt, sind es in Frankreich 78 % und in Großbritannien 72 %.Gerade jetzt beobachten wir, dass Unternehmen mit zu engen Finanzierungsstrukturen größere Schwierigkeiten bei einer Refinanzierung haben als solche mit breiten Finanzierungsquellen. Eine deutlich stärkere Nutzung der gesamten Tiefe und Breite der Kapitalmärkte ist deshalb ein sehr wichtiger Schritt hin zu einer höheren Stabilität und Flexibilität der Finanzierung.Für das eine Unternehmen wird das bedeuten, seine Eigenkapitalausstattung zu stärken, für ein anderes, sich an den wieder geöffneten Schuldscheinmarkt zu begeben, und für eine dritte Firma, jetzt an den Markt für Unternehmensanleihen heranzutreten.So hält der Markt für Fremdkapital vom Investment-Grade-Bereich bis hin zum High-Yield-Segment für die meisten kapitalmarktfähigen Unternehmen eine geeignete Form der Kapitalaufnahme bereit. Gegenwärtig erkennen wir verstärkte Aktivität bei nicht gerateten Anleihen, Nachrangemissionen sowie bei Hybridanleihen.Bei der Wahl der richtigen Finanzierungsalternative sind verschiedene Rahmenbedingungen zu betrachten und zu berücksichtigen, wie die Qualität der Wettbewerbsfähigkeit und des Geschäftsmodells, die Finanzierungskosten sowie die Zielsetzungen und Anforderungen wesentlicher Stakeholder – darunter Anteilseigner und Eigentümer, Mitarbeiter, aber auch Staat und Steuerzahler. Immer wichtiger wird an dieser Stelle das Thema Nachhaltigkeit. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, die sogenannte ESG-Compliance – also das Einhalten von ökologischen, sozialen und Verhaltensstandards – noch stärker zu fördern.Die gute Nachricht: Kapitalmärkte sind im Moment sehr aufnahmefähig für unterschiedlichste Finanzierungsprodukte und Emissionen. An dieser Stelle ist die Beratung eine essenzielle Dienstleistung von Banken. Kreditinstitute sollten daher die Disintermediation im Sinne einer verstärkten Nutzung von Kapitalmarktinstrumenten zur Unternehmensfinanzierung unterstützen.Zum einen würde dies zu einer wesentlich breiteren Verteilung von Risiken beitragen und somit auch zu einer Entlastung des Bankensektors führen – das gilt gerade in einem krisengeprägten Umfeld. Dies leistet wiederum einen Beitrag zur Stabilisierung des Finanzsystems insgesamt, da mögliche Ausfälle wesentlich breiter aufgefangen werden könnten.Zum anderen sollte die Möglichkeit genutzt werden, attraktivere Anlagealternativen für Investoren zu schaffen, um in einem Nullzinsumfeld zusätzliche Renditequellen zu öffnen.Eine kritische und disziplinierte Betrachtung von Geschäftsmodellen, Cash-flow-Prognosen oder Renditeentwicklungen durch den Filter des Kapitalmarktes wird Unternehmen resistenter und wettbewerbsfähiger machen. Darauf aufbauend können belastbarere und nachhaltigere Finanzierungsstrategien formuliert und implementiert werden. Breiter, robuster, nachhaltigerDer Zeitpunkt für solche Schritte ist momentan gut: Das beherzte Eingreifen von Staat und Zentralbanken hat der akuten Krise viel Wucht genommen und gibt den Unternehmen etwas Zeit, um längerfristigere Lösungen vorzubereiten. Eine entschlossene Bewegung in Richtung Kapitalmärkte kann nur helfen, die Finanzierung deutscher Unternehmen breiter und somit robuster und nachhaltiger aufzustellen. Nicolo Salsano ist Vorstandsmitglied der HSBC Deutschland, verantwortlich für Corporate und Institutional Banking. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt sowie aus Politik und Wissenschaft. Von Nicolo SalsanoDie “klassische”, kreditgestützte Bankenfinanzierung wird allein nicht ausreichen, um die deutsche Wirtschaft aus der Krise zu führen.—