Mit Mobile Banking Filialen in die Tasche stecken
Vor etwa zwölf Jahren wagte ich in der Börsen-Zeitung einen Vergleich, der offenkundig vielen Kollegen und Journalisten bis heute in Erinnerung geblieben ist: Bankfilialen seien wie Telefonzellen im Handy-Zeitalter, schrieb ich damals. Mit solchen Vergleichen macht man sich natürlich nicht unbedingt Freunde. Am allerwenigsten unter jenen, die noch ein flächendeckendes, teures Netz an “Telefonzellen”, sprich: Filialen unterhalten.Und ich will an dieser Stelle ganz offen einräumen: Zwölf Jahre danach würde ich diesen Satz so nicht mehr schreiben. Heute würde ich schreiben: Filialen sind wie Telefonzellen im Smartphone-Zeitalter. Denn natürlich hat sich in den vergangenen Jahren auch in der Telekommunikationsbranche viel getan. Tatsache ist: Es gibt immer weniger Telefonzellen. Allenfalls begegnet man einfachen Kartenapparaten als “Frischluftmodelle” ohne schützende Häuschen. Die braucht man offensichtlich nicht mehr, denn seit dem Siegeszug der Mobiltelefone legen immer weniger Zeitgenossen Wert auf Diskretion und lassen beim lautstarken Telefonieren ihre Umgebung an ihren Gesprächen teilhaben. Netz wird ausgedünntAnfang 2014 gab es nach einer Übersicht der Bundesnetzagentur in Deutschland rund 48 000 öffentliche Telefonzellen, fast 12 000 weniger als drei Jahre zuvor. Als es noch keine Mobiltelefone zu erschwinglichen Preisen gab, verrichteten in Deutschland knapp 150 000 öffentliche Fernsprecher ihren Dienst, sofern sie nicht von Vandalen zerstört worden waren.Auch das Direktbanking von heute ist ein anderes als das in den 1990er Jahren. Dies spiegelt sich schon in den Begrifflichkeiten wider: Aus “Homebanking” wurde “Mobile Banking”. Die Bankgeschäfte werden zunehmend über Smartphone oder Tablet abgewickelt und nicht mehr unbedingt zu Hause über das Festnetztelefon oder am Desktop-Computer.Trotz allem gibt es in Deutschland derzeit noch rund 36 000 Bankfilialen. Doch die reine Existenz einer Sache ist kein Nachweis ihrer Existenzberechtigung. Und im Übrigen darf bezweifelt werden, dass die meisten Betreiber mit ihren Filialen wirklich glücklich sind. Die einen haben ihr Filialnetz drastisch ausgedünnt, wie zum Beispiel die HypoVereinsbank. Die anderen sind gerade dabei. Von den 750 Filialen der Deutschen Bank sollen bis 2017 rund 200 geschlossen werden.Im Jahr 2003, als ich Bankfilialen mit Telefonzellen verglich, waren zum Beispiel die Volks- und Raiffeisenbanken mit über 15 000 Bankstellen deutschlandweit präsent. Im vergangenen Jahr waren es rund 12 700. Sogar die Sparkassen, die sich immer wieder zur “Präsenz in der Fläche” bekennen und dies als Ausdruck der gelebten Kundennähe definieren, trennen sich – regional unterschiedlich stark – von Filialen und Geschäftsstellen. So unterhalten die Sparkassen zum Beispiel in Baden-Württemberg rund 2 000 Filialen – über 200 weniger als vor zehn Jahren.Dieser Trend wird sich nicht nur aus meiner Sicht fortsetzen und weiter beschleunigen. Die Banken müssten in den nächsten Jahren alle Register für weitere strukturelle Kosteneinsparungen ziehen, stellt das Consulting-Unternehmen Bain & Company in einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie fest. Dazu zähle die deutliche Straffung des Filialnetzes, der in den nächsten Jahren rund 11 000 Zweigstellen zum Opfer fallen dürften. Der eine oder andere, der “kraft Amtes” zum Optimismus verpflichtet ist, mag das vielleicht ein wenig differenzierter sehen. Wie aber eine nachhaltige Erhöhung der Eigenkapitalrendite mit einem kostenintensiven Filialnetz möglich sein soll, erschließt sich mir nicht. Jede Filiale verursacht erhebliche Fixkosten in Form von Gehältern, Mieten und Betriebskosten. Ob die Filiale nun Geld verdient oder nicht, diese Kosten fallen immer an. Smartphone ist immer dabeiGeht mit den Bankfilialen aber nicht ein Stück gelebter Kundennähe zu Ende? Zur Beantwortung dieser Frage sei mir noch einmal die Analogie zu den Telefonzellen erlaubt: Keine Bankfiliale (und keine Telefonzelle) ist so nahe wie das eigene Smartphone. Es ist überall dabei, begleitet uns auf Reisen im In- und Ausland und ermöglicht Bankgeschäfte rund um die Uhr. Wenn die Filiale vor Ort tatsächlich ein Erfolgsfaktor wäre, wie sich mancher einredet, dann wäre es ja geradezu töricht, die Filialnetze allenthalben auszudünnen.Mehr als 54 % der Deutschen erledigen ihre Bankgeschäfte online – mit weiter steigender Tendenz. Bislang gingen wir davon aus, dass die Filialen in erster Linie von älteren Kunden besucht würden. Doch dies trifft offenkundig nicht mehr zu, wie eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie des Bundesverbandes deutscher Banken beweist. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass Kunden im Alter von über 60 Jahren die Filialen nicht häufiger aufsuchen als Kunden unter 60. Und wenn die Senioren in einer Bankfiliale sind, dann nutzen sie vor allem Kontoauszugsdrucker, Geldausgabeautomaten und das SB-Terminal. Zum Bankschalter, so das überraschende Ergebnis der Studie des Bankenverbandes, gehen die Senioren weniger als einmal im Quartal.Und Hand aufs Herz: Wann haben wir zuletzt einen älteren Menschen an einem öffentlichen Fernsprecher hantieren sehen? Auch sie telefonieren lieber mit dem Handy im Straßencafé als mit einem Münz- oder Kartenapparat in irgendeiner Schmuddelecke im Hauptbahnhof. Wer heute in den Ruhestand geht, hat in aller Regel in den letzten 15 oder 20 Jahren wie selbstverständlich mit der modernen Kommunikationstechnologie gearbeitet. Altersbedingte Akzeptanzbarrieren bei der Nutzung dieser Technologien gibt es immer weniger. Das wiederum führt zu der nicht überraschenden Erkenntnis: Den Bankfilialen gehen die Kunden aus, doch die Kosten bleiben. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.Nun bin ich mir natürlich darüber im Klaren, dass Bankfilialen nicht so schnell geschlossen werden können wie Telefonzellen. Im letztgenannten Fall geht es um einen Apparat, der einfach stillgelegt wird. Im anderen Fall sind Menschen betroffen – viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den Filialen beschäftigt sind. Und selbst wenn die Kunden ihre Bankfiliale immer seltener aufsuchen, so gehört sie gerade in kleineren Gemeinden irgendwie zu den identitätsstiftenden Institutionen, wie das Rathaus, die Postfiliale, Kindergarten und Schule. Erst macht die Bank dicht, dann geht der Arzt, schließlich wird die Schule geschlossen. Verständlich, dass für viele Menschen das Leben in manchen ländlichen Gemeinden unattraktiver wird (wahrscheinlich hat man sogar das letzte Telefonhäuschen längst schon demontiert). Aber anstatt Vergangenem nachzutrauern, das wirtschaftlich nicht mehr vertretbar ist, sollten die Verantwortlichen dafür sorgen, dass diese Gemeinden nicht den Anschluss an die Zukunft verpassen. Und dazu gehören schnelle Internetzugänge. Dies ist selbst in Deutschland noch nicht überall der Fall. Neue ÄraSo wie das Handy von einem schlichten Telefongerät in den vergangenen Jahren zum Smartphone und somit fast schon zu einem Alleskönner der mobilen Kommunikation mutierte, hat auch im Bankgeschäft eine neue Ära begonnen. Dafür stehen Begriffe wie “Bank 3.0” oder “Digital Banking”.Eine mobile Gesellschaft verlangt nach mobilem Banking. Keine Frage, dem Mobile Banking gehört die Zukunft. Die ING-DiBa hat diese Herausforderung angenommen und sich zum Ziel gesetzt, zur führenden Digitalbank zu werden. So wurde bereits die Video-Legitimation als Alternative zum Postident-Verfahren eingeführt. Zudem bietet die Bank eine SmartSecure App, mit der Online- und Mobile Banking ohne TAN-Verfahren möglich ist. Mit Mobile Banking per Smartphone kann man also die Bankfiliale getrost in die Tasche stecken.Freilich sollte man die Nostalgiebedürfnisse der Menschen nicht unterschätzen. So wurde vor einigen Monaten eine Arbeitsgemeinschaft zum Erhalt der deutschen Telefonzelle gegründet. Begründung: Die gelben Häuschen hätten etwas “Gemütliches”, und man könne dort bei plötzlich einsetzendem Regen Schutz suchen. So mancher soll bei einem Wolkenbruch auch schon einmal in eine Bankfiliale geflüchtet sein, wo er so lange die Immobilienangebote studierte, bis der Regen nachließ. Doch als Regenschutz sind Filialen nun definitiv zu teuer.—Ben Tellings, Aufsichtsratsvorsitzender der ING-DiBa