Mit neuen Spielregeln im Konsumsektor vertraut machen

Marke war gestern - Social Media und Co. machen das Unternehmensimage angreifbarer denn je - Deutliche Verschiebungen im Konsumgüterbereich

Mit neuen Spielregeln im Konsumsektor vertraut machen

Der Wert eines Unternehmens wird nicht nur anhand materieller Werte bestimmt – viele Firmen machen vor allem aufgrund ihrer Marke und deren Bekanntheit die wirklich großen Umsätze. Apple, Google, Coca-Cola, IBM – um nur einige große Namen zu nennen, auf die das zutrifft. Doch ganz so einfach machen es die Verbraucher den Unternehmen heute nicht mehr. Im Gegenteil: Ein verändertes Konsumverhalten und das rasante Wachstum von Social-Media-Kanälen macht es für Manager zunehmend schwieriger, die Kontrolle über das eigene Image zu behalten.Doch wie fast überall im Leben ist des einen Leid des anderen Freud. Denn mit effizient eingesetzten viralen Marketingkampagnen in den sozialen Netzwerken dieser Welt können plötzlich auch völlig unbekannte Teilnehmer signifikante Marktanteile gewinnen. Der Konsumsektor scheint Kopf zu stehen und es wird Zeit, dass sich auch Investoren mit den neuen Spielregeln vertraut machen. Druck ist unendlich großHaben Sie schon einmal etwas von Aspartam gehört? Es ist ein synthetisch hergestellter Süßstoff und in vielen kohlensäurehaltigen Diätgetränken enthalten. Er steht außerdem in Verdacht, diverse Gesundheitsstörungen zu verursachen. Die negative Presse vor allem in der Online-Welt ist überwältigend. Und das, obwohl es zahlreiche Studien gibt, die die gesundheitsschädigende Wirkung widerlegen. Interessant ist dabei vor allem ein Zusammenhang: Die Häufigkeit der Google-Suche nach Aspartam stieg besonders im vergangenen Jahr rasant. Analog dazu fielen die Verkaufszahlen von kohlensäurehaltigen Diätgetränken in den USA, während der Verkauf von regulären Getränken konstant blieb. Mittlerweile ist der Druck so groß, dass Hersteller wohl bald auf natürliche Süßstoffe wie etwa Stevia zurückgreifen werden, um nicht noch mehr Marktanteile zu verlieren.Was dieses Bespiel sehr deutlich zeigt, sind die Widrigkeiten, mit denen vor allem Lebensmittelhersteller im Netz zu kämpfen haben. Denn gerade bei den online aktiven Konsumenten ist ein generelles Misstrauen gegenüber der Branche zu beobachten. Selbst Versuche der Hersteller, den Dialog durch wissenschaftliche Erkenntnisse zu versachlichen, scheitern immer wieder. Und davon, gar die Agenda zu kontrollieren, können solche Unternehmen heute nur noch träumen. Schadensbegrenzung in Bezug auf das Image scheint hier die einzige noch ergreifbare Maßnahme zu sein. Niedrigere EintrittsbarrierenDoch neben dem Kontrollverlust droht vielen Konsumgüterherstellern auch von anderen Seiten Gefahr. So werden beispielsweise auch Markteintrittsbarrieren immer niedriger. Und da, wo es etablierte Marken nicht mehr schaffen, ihre Botschaften zu platzieren und ihr Image bei den Verbrauchern zu halten, entsteht Platz für neue Marken. Katalysator für diesen Trend sind die Online-Shops. Ihre “Regale” schaffen durch das unbegrenzte Platzangebot Raumfür deutlich mehr Marken. Gepaart mit cleveren und geschickt im Netz platzierten Marketingkampagnen – häufig viral – wird es so auch unbekannten Herstellern ermöglicht, einen Teil vom Kuchen zu beanspruchen.Vor den E-Commerce-Zeiten wäre dies undenkbar gewesen. Deutlich macht es ein Blick auf die Amazon-Verkaufsschlager: Die dortigen Top-3-Marken sind meist kleinere Marktteilnehmer, die ihre Anteile online erworben haben und häufig nicht unter den Top-3-Marken in den realen Läden zu finden sind.An dieser Stelle ist aber zu betonen, dass auch für etablierte Marken noch nicht Hopfen und Malz verloren ist. Denn die Durchdringung des E-Commerce liegt gerade einmal bei 5 %. Steigt sie weiter, ist es durchaus noch möglich, dass sich auch traditionelle Marken in der Zwischenzeit angepasst haben und online Marktanteile zurückgewinnen werden. Profiteure sind in jedem Fall die Konsumenten, denen online wie offline nun eine deutlich größere Auswahl geboten wird. Denn die Erfolge kleinerer Marken im Online-Handel haben auch die Einzelhändler dazu ermutigt, ihr Sortiment etwas experimentierfreudiger zu gestalten. Vorsicht vor Generation YUnd trotzdem geht der Einfluss der großen Marken immer stärker zurück. Das liegt auch daran, dass die sogenannten “Millennials” – auch “Generation Y” genannt – deutlich weniger empfänglich für Marken sind. Entsprechend niedrig ist die Markenloyalität bei den zwischen 1980 und 2000 Geborenen. Ungünstig für Konsumgüterhersteller – nimmt der wirtschaftliche Einfluss dieser Generation doch gerade stetig zu und wird somit zu einer weiteren Gefahr für die etablierten Marken. Zudem legen Millennials großen Wert auf Individualität und wollen diese auch durch ihr Konsumverhalten ausdrücken. Das bekommen vor allem Luxusmarken wie Gucci oder Louis Vuitton zu spüren. Es ist nicht mehr schick, Logo zu tragen. Große Probleme haben deshalb auch die großen Brauereien in den USA. Denn auch der Amerikaner will sich abheben und kauft deshalb lieber das Gebräu aus kleinen Hausbrauereien, als “mainstream” den Hopfensaft der Großen zu genießen. Und wer profitiert am Ende?Die Beispiele, wie die junge Generation, das deutlich veränderte Konsumverhalten und das rasante Wachstum der Echtzeitkommunikation über soziale Netzwerke den Konsumsektor derzeit erschüttern, ließen sich beliebig fortführen. Die große Frage ist jedoch, welche Konsequenzen all das nun für Investoren hat. Zum einen gilt es, sich mit den veränderten Bedingungen vertraut zu machen. Und dann besteht die große Herausforderung darin, zu antizipieren, welches Unternehmen die Zeichen der Zeit erkannt und rechtzeitig seine Strategie angepasst hat.Wer im Konsumsektor investiert ist, muss jedoch nicht gleich in Aktionismus verfallen. Die Interbrand Rankings zeigen seit 2000 nur wenig Veränderung – nur Marlboro hat es nicht mehr unter die Top-20-Marken geschafft. Selbstgefällig sollten Investoren jedoch auch nicht sein. Denn dass sich die Konsumwelt verändert, steht außer Frage. Und für einen Konsumgüterhersteller ist schon ein um 1 % verpasstes Gewinnziel bereits ein Großereignis. Einige FaustregelnEs gibt allerdings ein paar Faustregeln, an denen sich Investoren künftig orientieren können, wollen sie in den Konsumsektor investieren. Den Kontrollverlust im Internet, wenn es um das eigene Image geht, können solche Unternehmen recht gut ausgleichen, die digitale Medien verstehen und für sich nutzen. Außerdem gewinnen Werbeagenturen, deren Angebot im Bereich der digitalen Medien gut ist und die es verstehen, integrierte Lösungen anzubieten. Unternehmen, die es nicht schaffen, auch online ein starkes und konsistentes Markenimage aufzubauen, werden verlieren.Von den niedrigeren Eintrittsbarrieren profitieren vor allem die kleinen und mittelständischen börsennotierten Unternehmen sowie Großkonzerne, die bereit sind, sich auch hinter unbedeutendere Marken zu stellen. Eine starke E-Commerce-Strategie ist ebenfalls ein Indiz für den Erfolg. Zudem werden online echte Innovationen stärker belohnt – unabhängig von der Unternehmensgröße. Konsumgüterhersteller, die deutlich mehr von ihren Marken und dem Vertrieb als von Innovationen und dem Preis-Leistungs-Verhältnis abhängig sind, werden es hingegen schwer haben.Während das Misstrauen gegenüber der Lebensmittelindustrie wächst, wird die Nachfrage nach nachhaltigen und biologisch angebauten Lebensmitteln steigen. Auch regionale Marken und Hersteller werden zu den Nutznießern gehören. Mainstream und austauschbare Produkte strafen die onlineaffinen Konsumenten ab. Schwer wird es für die Getränkehersteller, wenn sie nicht zügig mit einer starken Süßstoff-Innovation um die Ecke kommen. Interessantes ErgebnisInsgesamt lassen sich diese neuen Regeln einfach zusammenfassen: Stock Picking wird noch stärker als zuvor über Erfolg und Misserfolg bei Investments im Konsumsektor entscheiden. Und an alle Skeptiker, die meinen, die Markenwelt sei noch vollkommen in Ordnung: Die Marketingagentur Havas Media hat 134 000 Verbraucher aus 23 Ländern gefragt, was sie von 700 Marken halten. Das Ergebnis: Die meisten würden es nicht einmal merken, wenn 73 % dieser Marken verschwinden würden.—Charles Somers, Fondsmanager und Konsumsektor-Spezialist bei Schroders