GASTBEITRAG

Modellrisiken werden zu eigenständiger Risikoart

Börsen-Zeitung, 5.12.2019 "All models are wrong, but some models are useful. So the question you need to ask is not ,Is the model true?` (it never is) but ,Is the model good enough for this particular application?'" Das Zitat von George Box, 1976...

Modellrisiken werden zu eigenständiger Risikoart

“All models are wrong, but some models are useful. So the question you need to ask is not ,Is the model true?` (it never is) but ,Is the model good enough for this particular application?'” Das Zitat von George Box, 1976 veröffentlicht im “Journal of the American Statistical Association”, fasst ein Thema, mit dem sich die Finanzbranche in den vergangenen Jahren verstärkt auseinandersetzt, äußerst treffend zusammen.Modelle sind ein essenzieller Bestandteil eines jeden Finanzinstituts und das nicht erst, seit Fintechs mit digitalen Lösungen die etablierten Player an den Finanzmärkten herausfordern. Angefangen mit dem Handel an Finanzmärkten und der Vergabe von Krediten, über das Controlling der damit entstehenden Risiken bis hin zur Erstellung der Bilanz werden in Finanzinstituten Modelle verwendet.In Zeiten von Big Data, in der Entscheidungen immer schneller getroffen werden müssen und dafür die Auswertung von Daten in großem Umfang erforderlich ist, spielen Modelle eine zunehmend wichtigere Rolle. Die weitentwickelten Finanzmärkte sind ohne die intensive Nutzung und das damit einhergehende Vertrauen in Modelle unvorstellbar. Gute und schlechte ModelleWie lassen sich nun aber “gute” von “schlechten” Modellen unterscheiden? Hierfür ist es entscheidend zu beachten, dass jedes Modell eine auf Annahmen basierende, vereinfachende Darstellung der Realität ist. Die Verwendung von Modellen ist daher grundsätzlich mit Risiken verbunden. Diese Risiken gehen dabei weit über den traditionellen Ansatz aus dem operationellen Risiko hinaus. Von der Entscheidung für ein Modell (und damit gegen ein anderes) über die Auswahl geeigneter Input-Daten, dem Treffen von Annahmen und Entscheidungen im Zuge der Entwicklung und Implementierung bis hin zu der Anwendung des Modells und der Interpretation der Modelloutputs entstehen Modellrisiken. Die hier genannten Quellen für Modellrisiken beziehen sich dabei zunächst nur auf ein einzelnes Modell.Man sollte jedoch beachten, dass ein wesentlicher Teil des Modellrisikos durch Abhängigkeiten von Modellen untereinander entsteht. Daher wird häufig auch der Begriff Modellökosystem verwendet, um die in einem Finanzinstitut existierenden Modelle und deren Interaktion untereinander zu beschreiben. Die zunehmende Anzahl der verwendeten Modelle und deren immer tiefergehende Integration in Entscheidungsprozesse in Finanzinstituten erfordert ein Management der mit der Verwendung von Modellen einhergehenden Risiken. Modellrisikomanagement macht dabei zunächst die Beantwortung der Frage notwendig, was ein Modell ist. Häufig wird – genau wie in dem bisherigen Artikel – der Begriff des Modells verwendet, ohne ihn vorher sauber zu definieren.Ein Ansatz zur Begriffsbestimmung kommt aus dem Supervision and Regulation Letter 11-7 (SR 11-7) der Fed und des Office of the Comptroller of the Currency (OCC) aus dem Jahr 2011. Ein Modell wird hier als quantitative Methode, System oder Ansatz definiert, der statistische, wirtschaftliche, finanzielle oder mathematische Theorien, Techniken und Annahmen anwendet, um Inputdaten in quantitative Schätzungen zu verarbeiten.Dabei hat SR 11-7 nicht nur im US-amerikanischen Raum die regulatorische Benchmark für ein umfassendes Modellrisikomanagement gesetzt. Für den europäischen Markt hat die EZB erst kürzlich mit der Finalisierung des ECB Guide to Internal Models (EGIM) unter anderem auch das Thema Modellrisikomanagement aufgegriffen. Die sich hieraus ergebende zeitlich längere Befassung von Instituten, die unter die US-Regulierung fallen, zeigt sich deutlich in dem Entwicklungsstand des Modellrisikomanagements. Während viele europäische Finanzinstitute gerade beginnen, ein Modellrisikomanagement aufzubauen, haben insbesondere von der US-amerikanischen Regulierung SR 11-7 betroffene Institute bereits ein umfassendes Modellrisikomanagement etabliert. Es wird sich perspektivisch auch in Europa als eigenständige, zu Markt-, Kredit- und operationellen Risiken gleichwertige Risikoart im unternehmensweiten Risikomanagement etablieren.Vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren gestiegenen Kosten durch die zunehmende Nutzung von Modellen sowie aufgrund der stark gestiegenen regulatorischen Anforderungen an den Umgang mit Modellen sollte effizientes Modellrisikomanagement nicht nur als Pflichtübung verstanden werden, sondern insbesondere genutzt werden, um Optimierungspotenzial und Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung zu heben. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass zukünftig auch Nichtrisikomodelle – wie beispielsweise IFRS-9-Impairment-Modelle – validiert und entsprechend gemanagt werden müssen. Großes PotenzialDas Potenzial des Modellrisikomanagements zeigt sich dabei insbesondere in Form der geschäftsbereichsübergreifenden Natur. Da Modelle, vom Front Office über das Risiko-Controlling bis hin zum Accounting, in nahezu allen Bereichen eines Finanzinstituts verwendet werden, kann durch ein effizientes Modellrisikomanagement sogar eine Kostenreduktion erreicht werden. Finanzinstitute können durch eine erhöhte Transparenz und Standardisierung der Prozesse eine bessere Steuerung der beteiligten Ressourcen erreichen, doppelte Prozessschritte vermeiden, wiederkehrende Prozessschritte prioritär automatisieren oder strategisch durch Outsourcing, Near- oder Offshoring Kosten einsparen. Dabei kann neben einem effizienten Ressourcenmanagement auch eine reduzierte Komplexität beziehungsweise eine erhöhte Transparenz bezüglich der Modelllandschaft sowie der damit verbundenen Prozesse zur Identifikation von erheblichem Einsparungspotenzial führen. In Zeiten, in denen qualifizierte Fachkräfte zunehmend zu einer knappen Ressource werden und der Kostendruck steigt, ist ein effizientes Modellrisikomanagement daher ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Zwei Herausforderungen Machine Learning (ML) und Artificial Intelligence (AI) werden für Finanzinstitute mit rasanter Geschwindigkeit immer wichtiger. Für das Modellrisikomanagement der Zukunft ergeben sich hierdurch zwei Herausforderungen. Auf der einen Seite kann die Validierung von Modellen mit Hilfe von ML und AI entscheidend verbessert werden. Andererseits stoßen traditionelle Ansätze zur Validierung von operativ angewandten ML- bzw. AI-Modellen schnell an ihre Grenzen. Hier sollten Banken rechtzeitig Konzepte entwickeln, um die enormen Chancen dieser Zukunftstechnologien nutzen und die entstehenden Risiken durch ein effizientes Modellrisikomanagement identifizieren, analysieren und mitigieren zu können.Für Finanzinstitute ergibt sich damit beim Thema Modellrisikomanagement, neben der regulatorischen Compliance, eine weitere wesentliche Herausforderung: Die Chancen und Herausforderungen des Modellrisikomanagements müssen identifiziert und das Potenzial zur Steigerung der Effizienz beim Umgang mit dem Modellökosystem muss entsprechend realisiert werden, um die nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Dirk Stemmer, Partner bei PwC. Zuständig für das Beratungsgeschäft zu Risikomanagementthemen im Financial-Services-Sektor und Philipp Schröder, Senior Manager bei PwC. Dort berät er europaweit Kunden zu den Themen Modellrisikomanagement und Marktrisiko.