ANSICHTSSACHE

Modernisierung des Zahlungsverkehrs: Chance für die Banken

Börsen-Zeitung, 21.2.2020 Die europäischen Banken bereiten sich dieser Tage auf den nächsten Schritt zum bevorstehenden "Big Bang" im Zahlungsverkehr vor: Im November 2021 soll die Konsolidierung des Zentralbank-Abwicklungssystems Target2 des...

Modernisierung des Zahlungsverkehrs: Chance für die Banken

Die europäischen Banken bereiten sich dieser Tage auf den nächsten Schritt zum bevorstehenden “Big Bang” im Zahlungsverkehr vor: Im November 2021 soll die Konsolidierung des Zentralbank-Abwicklungssystems Target2 des Eurosystems abgeschlossen werden und die Effizienz des Liquiditätsmanagements der Banken über alle ihre Zentralbankkonten hinweg steigern. Im selben Zug erfolgt die Migration der europäischen Großbetragszahlungssysteme Target2 und Euro1 auf den ISO-20022-Standard, der die Verarbeitungsmöglichkeiten von Zahlungsverkehrsdaten wesentlich verbessert. Soweit die regulatorische Seite. Immer mehr in EchtzeitMarktseitig ist von einer weiteren Expansion von Echtzeit-Zahlungen auszugehen, die zunehmend zur neuen internationalen Norm werden. Dabei nimmt die Wettbewerbsintensität mit dem Einstieg der Big Techs aus den USA und China (Alibaba, Alphabet/Google, Amazon, Apple, Facebook, Tencent) sowie zahlreicher Fintechs dramatisch zu. Gerade die deutschen Banken mit ihrer guten Position im Zahlungsverkehr müssen sich also gleichzeitig auf die grundlegende Modernisierung der Kerninfrastruktur des Eurosystems sowie ein sich schnell und drastisch veränderndes globales Umfeld vorbereiten.Diese Veränderungen sind Teil eines beispiellosen globalen Umbruchs, getrieben von Regulierung, Digitalisierung und veränderten Kundenpräferenzen. Galt der Zahlungsverkehr jahrzehntelang als eher glanzloses, weil technisch trockenes Geschäftsfeld, so hat das vergangene Jahrzehnt eine grundlegende Neubewertung gebracht: Zahlungsdienstleistungen sind inzwischen ein zentraler Wettbewerbsfaktor. Big Tech versus BankenZahlungsverkehr ist ein natürlicher, häufig täglicher Kontaktpunkt von Privat- und Geschäftskunden zur Bank – und zum europäischen Einigungsprojekt: Nämlich dann, wenn wir Bürger unsere hartverdienten Euros irgendwo auf die Theke legen oder – immer häufiger – automatisch per NFC oder App überweisen. Und nicht zuletzt zeigen die jüngsten Versuche, den Zahlungsverkehr politisch zu instrumentalisieren, die geopolitische Komponente dieses Themas.Deshalb ist der Einstieg der Big Techs nicht zu unterschätzen. Mit ihren proprietären, vertikal wie horizontal skalierbaren Plattformen schaffen sie eigene Ökosysteme, die über Skalen- und Verbundeffekte rasch Marktanteile gewinnen können. Teils stoßen sie schon ins Kerngeschäft von Banken vor. So vergeben PayPal und Amazon inzwischen auch kleinere Geschäftsdarlehen an dort akkreditierte Händler und nutzen dabei deren Daten. Teils machen sie, Stichwort Libra, sogar den Zentralbanken Konkurrenz – oder versuchen es zumindest.Werden sich Zahler und Zahlungsempfänger nur noch innerhalb geschlossener Ökosysteme bewegen können, also in der Apple-, Android- oder Amazon-Welt, wie der zuständige Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz mehrfach fragte? Und wie werden dort die Interessen der europäischen Verbraucher und Unternehmen am Schutz ihrer Daten berücksichtigt? Darauf müssen Aufsichts-, Kartell- und Verbraucherschutzbehörden Antworten finden. Aber auch die traditionellen Kreditinstitute werden, so ist zu hoffen, noch ein gewichtiges Wort bei der Zukunft des Zahlungsverkehrs mitsprechen.Zwei gute Nachrichten vorweg: Erstens, der elektronische Zahlungsverkehr expandiert seit Jahren dynamisch und die Wachstumsaussichten sind weiterhin gut. Zweitens, Europa ist diesmal vorne mit dabei. Um davon zu profitieren, dürfen die Banken jedoch Themen wie die Target2-Konsoliderung, die ISO-20022-Migration und Echtzeitzahlungen nicht als Pflichtübung, sondern müssen sie als Chance begreifen, bestehende Geschäftsprozesse und -modelle weiterzuentwickeln. Die Steigerung der Geschwindigkeit, Kosten- und Prozess-Effizienz sowie Transparenz von Zahlungsverkehrsdiensten bieten ein enormes Potenzial für die Kundenbindung und die Möglichkeit, diesen Kontaktpunkt zu einer wertvollen Kundenerfahrung zu machen – zu einer bereichernden “Customer Journey”. Rasche Migration von VorteilEin Beispiel ist die weltweite Umstellung auf ISO 20022, die zeitgleich zur Target2-Konsolidierung in Europa stattfindet. Während das Eurosystem eine “Big Bang”-Umstellung vorsieht, gewährt Swift eine vierjährige Periode der Koexistenz von ISO 20022- und MT-Formaten. Dennoch bringt eine frühzeitige Migration auf den ISO-Standard zahlreiche Vorteile: Die Datenqualität nimmt zu, die Anzahl von Compliance-Rückfragen ab, Automatisierungsgrad und Interoperabilität mit anderen Dienstleistern steigen. Von der Pflicht zur KürEin anderes Beispiel sind Echtzeitzahlungen. Erst jüngst wurde von der Europäischen Zentralbank, Swift und einer Gruppe von 19 Banken als Nutzern der Target Instant Payments Settlement-Plattform (Tips) ein Pilotprojekt mit internationalen Zahlungen nach Europa abgeschlossen. Dabei hat eine Zahlung aus Singapur, die in Deutschland abgewickelt wurde, bereits eine Geschwindigkeit von 41 Sekunden erreicht. Eine weitere Chance, die Customer Journey im globalen Zahlungsverkehr zum Echtzeiterlebnis zu machen.Doch vor die Kür hat die Regulierungsbehörde die Pflicht gesetzt: Bis 31. März 2020 sollten die deutschen Banken der Bundesbank melden, welchen der beiden vom Eurosystem lizenzierten Netzwerkdienstleister – zu denen auch Swift gehört – sie für den Zugang zum Eurosystem Single Market Infrastructure Gateway (ESMIG) wählen. Ein wichtiger Schritt in die neue Welt des europäischen Zahlungsverkehrs! Jürgen Marstatt ist Head of Swift Germany, Austria & Europe Central. In dieser Rubrok veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Jürgen MarstattBis Ende März müssen sich die deutschen Banken für den Zugang zur neuen Welt des europäischen Zahlungsverkehrs entscheiden. ——-