Momentum als Performancemotor im Risikomanagement
Martin WeinrauterGeschäftsführer bei GROHMANN & WEINRAUTER Institutional Asset Management GmbHDer negative Zins und das Ende der Kursgewinne bei Anleihen mit langen Laufzeiten beginnen tiefe Spuren in den Ergebnissen von Anlagestrategien unter dem Schutzschirm von Risikomanagementstrategien zu hinterlassen. Die Abkehr von einem indexorientierten Basisinvestment mit Futures-Overlay zugunsten eines mit Momentum gesteuerten Core-Portfolios und eines Risikomanagements auf der Ebene jeder Einzelaktie kann neue Ertragspotenziale heben. Ein Investment am Aktienmarkt kann auf ganz unterschiedliche Art und Weise gedacht werden. Der erste Gedanke dürfte sich auf die Beteiligung an einem konkreten Unternehmen richten und die Entscheidung, ob man dieses oder doch besser ein anderes Unternehmen kaufen sollte. Entscheidungsrelevant können dabei Überlegungen wie die Bilanzqualität, die Stellung im Markt und mögliche Wachstumsperspektiven sein. Eine ganz andere Herangehensweise ist der Kauf von mehr oder weniger allen Aktien am Markt. Ein Investor, der diesen Weg geht, differenziert nicht zwischen Branchen oder Unternehmen, er folgt mit seinem Investment der Entwicklung des gesamten investierbaren Sektors der Volkswirtschaft. Genauso hat es Charles Dow angepackt. Er hatte mit zwei weiteren Journalisten 1882 das Verlagshaus Dow Jones gegründet und suchte nach einer Methode, um die Wertentwicklung des US-Aktienmarktes berechnen und publizieren zu können. Als Charles Dow seinen ersten Index zusammenstellte, war es kein Gesamtmarkt-, sondern ein Transportindex, dominiert von Eisenbahnaktien. Sie hatten ihre wildesten Zeiten bereits hinter sich, maßgebliche Innovationen wie Druckluftbremsen und selbsttätige Wagenkupplungen hatten den Markt sicherer gemacht und Eisenbahnaktien entwickelten sich von Wachstumstiteln zu Value-Titeln. Schaut man sich heute im 21. Jahrhundert den Dow Jones Industrial Average (DJIA) an, in einer Welt, in der man sagt, es gäbe mehr Indices als Aktien, dann staunt man über die archaisch anmutende Konstruktion dieses immer noch weltweit beachteten Index. Er ist ein Preisindex, errechnet über das arithmetische Mittel der Aktienkurse. Jede Aktie ist mit der gleichen Anzahl im Index enthalten, gleichgültig ob deren Kurs bei 200 Dollar oder bei 20 Dollar steht. Es sollten die 30 größten Aktien der USA im DJIA enthalten sein, doch andererseits spielen auch Traditionen eine Rolle, und wenn eines der Urgesteine der US-Wirtschaft aus dem Index entfernt wird – das “Wall Street Journal” unterliegt hierbei keinen zwingend vorgegebenen Regeln -, dann gehen manches Mal wehmütige Schockwellen durch den Markt. Damit die Notiz des DJIA keinen Schluckauf bekommt, wenn eine Aktie mit dem Preis von 200 Dollar gegen eine Aktie mit 20 Dollar ausgetauscht wird, erfolgt eine entsprechende Anpassung des Index-Divisors. Einzelaktien- oder Gesamtmarktblick? Ein Risikomanager wählt in den meisten Fällen den Index und das Futures-Overlay. Er hat es permanent mit zwei Risiken zu tun. Wenn er investiert ist, können Märkte fallen und er muss Verluste hinnehmen. Also wird er es darauf absehen, im fallenden Markt möglichst wenig investiert zu sein. Hat er sich aber entsprechend positioniert, dann ist es sein Risiko, dass der Gesamtmarkt steigt und er nur unzureichend daran partizipiert. Er kann sich drehen und wenden, wie er will, kann es antizyklisch oder prozyklisch, fundamental oder quantitativ probieren, er kann eigene Modelle konzipieren oder dies einer sich künstlich selbst überlassenen Intelligenz anvertrauen, eines kann ein Risikomanager nicht, den Risiken entgehen, im fallenden Markt mit zu vielen und im steigenden Markt mit zu wenig Aktien positioniert zu sein. Eines der beiden Risiken muss er immer tragen und managen. Der Erfolg eines Risikomanagers kann ganz unterschiedlich gemessen werden: Schwankungen im Verlauf der Wertentwicklung, das maximale Ausmaß von Abwärtsbewegungen, oder einen Schritt weiter, die Rendite über den risikolosen Zins hinaus in Relation zum Ausmaß der Schwankungen in der Wertentwicklung. Bei all dem gilt grundsätzlich: Eine Verringerung des Risikos verringert auf Dauer das Ausmaß der Wertentwicklung. Entweder liegt es im Rahmen der Gegebenheiten eines passiven Risikomanagements daran, dass die generelle Aktienquote permanent zu Gunsten einer Rentenquote gesenkt wird und der Zins im aktuellen Umfeld keinerlei Ausgleich mehr für die Performancechance an den Aktienmärkten liefern kann, oder es liegt daran, dass im prozyklischen Risikomanagement aufgrund abrupter Richtungsänderungen der Märkte wichtige Performancetage verpasst oder wichtige negative Performancetage nicht vermieden werden konnten oder im antizyklischen Risikomanagement das Ausmaß von Trends unterschätzt wurde. Das entscheidende Manko eines jeden Risikomanagementansatzes während der aktuellen Marktgegebenheiten ist der fehlende risikolose Zins und die Chance, in Zeiten von sehr schwachen Aktienmarktphasen erhebliche Ausgleichsgewinne mit den Anleihen bester Schuldnerbonitäten und langen Laufzeiten erzielen zu können. Der Corona-Crash im Frühjahr 2020 hat gezeigt, dass es Anleihen im negativen Zinsumfeld auch bei extrem schwachen Kursverläufen am Aktienmarkt kaum noch möglich ist, Performance erzielen zu können. Die Konsequenz daraus ist, dass sich die Relation des Ertrags von Risikomanagementstrategien im Vergleich zu ungesicherten Aktienmärkten verschlechtert hat. Je weiter das Schwankungs- und Drawdown-Risiko gesenkt wird, umso größer wird das Ausmaß des entgangenen Zinsanteils in der entsprechenden Strategie und damit die Performancelücke. Sofern die Wertentwicklung eines Portfolios unter dem Dach von Overlay-Managementsystemen zur Risikosteuerung nicht mit der Wertentwicklung von Aktienmärkten, sondern mit der Wertentwicklung von Mischfondsportfolios gemessen wird, dürfte die Rechnung immer noch aufgehen. Es stellt sich aber dennoch immer unumgänglicher die Frage, ob dieser Verlust von Zins und Kursgewinnpotenzial der Anleihen im Risikomanagement der Aktien nicht durch andere Ertragsquellen kompensiert werden sollte. Ein ebenso wichtiger Aspekt könnte die Senkung der Rentenquote auf ein zeitlich geringeres Ausmaß als in der Vergangenheit sein.Im Risikomanagement wird Aktienbeta traditionell als Lösungsansatz eingesetzt, um das Risiko von Aktienportfolios zu senken. Es werden dabei gezielt Aktien allokiert, die mit einem niedrigen Portfoliobeta unterwegs sind. Wenn aber nicht die Schwankung eines Portfolios im Mittelpunkt der Überlegungen steht, sondern die Performance, und es die Hauptaufgabe des Risikomanagements ist, das Risiko nicht permanent, sondern möglichst in den starken Abwärtsbewegungen der Märkte zu senken, dann kann das Risikomanagement von Aktien auch sehr erfolgreich mit einem hohen Beta von Aktien verknüpft werden. Aktien mit einem hohen Portfoliobeta können gezielt über Momentum-Berechnungen ausgewählt werden. Momentum misst die Stärke einer Marktbewegung. Sie entspricht der Preisdifferenz zwischen zwei Zeitpunkten. Je höher das positive Momentum ist, umso stärker wird sich die Aktie im gegebenen Zeitraum aufwärtsbewegt haben. Aktien, die im Verlauf einer Aufwärtsbewegung des Marktes mit Spitzenwerten im Momentum aufwarten können, sind in Relation zu den anderen Aktien des Marktes mit einem höheren Beta unterwegs gewesen. Solche Aktien wird in diesen Marktphasen jeder Investor gern im Bestand gesehen haben wollen. Das Problem daran ist, dass man es erst im Rückblick weiß, welche Aktien es geschafft haben, das höchste Momentum im Markt zu entwickeln. Man kommt also nicht darum herum, alle zu Aktien kaufen, die Momentum entwickeln. Die Rechnung wird in den Marktphasen aufgehen, in denen dieses Momentum nach dem Kauf der Aktie über mehrere Monate stabil bleibt. Auch der Exit-Zeitpunkt ist nur schwer anzusteuern, denn Aktien mit hohem Momentum ziehen im Verlauf ihrer Bewegung auch viel Kapital an, das unter Trading-Gesichtspunkten engagiert ist und bei Momentum-Abbrüchen für hohe Abwärtsdynamik sorgen wird. Auf den ersten Blick scheinen diese Konsequenzen auf ein Marktumfeld hinzudeuten, das ein Risikomanager meiden sollte. Daher ist es auch nicht überraschend, dass dies in der Praxis auch in den meisten Fällen so gehandhabt wird, wenn eine niedrige Vola der Anlagestrategie als wesentliches Indiz für die Zielerfüllung des Risikomanagements angesehen wird. Ein Blick auf die Ergebnisse von global und flexibel disponierten Anlagestrategien in Euro für den Zeitraum der vergangenen zwei Jahre zeigt, dass der Durchschnitt dieser Strategien mit einer Vola von 6,5% dieses Ziel daher auch erreicht hat. Bei einem maximalen Drawdown dieser Peergroup im Umfeld des Corona-Crashs und seiner Recovery Period von 18,9% lag die positive Rendite p.a. im Zweijahreszeitraum bei 1,1%.Der Vergleich mit einer momentumgesteuerten Risikomanagementstrategie zeigt für diesen Zeitraum Vola-Zahlen von 17,5% und einen maximalen Drawdown von 27,6%, wobei die Aktieninvestitionsquote im Crashverlauf auf ca. 40% gesenkt wurde. Unter Vola-Gesichtspunkten allein hätte sich diese Strategie disqualifiziert. Der Drawdown-Vergleich ist dann nicht mehr ganz so eindeutig. Interessant wird es, wenn auch die erzielte Performance in der Gesamtbetrachtung eine Rolle spielen soll. Sie erreichte in den vergangenen zwei Jahren positive Werte von 9,6% p.a.