Wirecard-Prozess

„Nachbearbeitung war unmöglich“

Im Wirecard-Prozess schilderte der Kronzeuge die Probleme der mutmaßlichen Betrügerbande, die vom Sonderprüfer KPMG Ende 2019/Anfang 2020 geforderten Datensätze für Transaktionen nachzubereiten.

„Nachbearbeitung war unmöglich“

sck München – In seiner Befragung durch die Staatsanwaltschaft hat der Kronzeuge im Wirecard-Strafprozess über den Zeitdruck und über die fehlenden Kapazitäten der mutmaßlichen Betrügerbande während der Sonderprüfung durch KPMG 2019/2020 berichtet. „Alle haben geglaubt, dass wir das hinbekommen. Nur ich nicht“, sagte Oliver Bellenhaus am zehnten Verhandlungstag vor der 4. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München I. Mit seiner Aussage bezog er sich auf eine Forderung des damals beauftragten Wirtschaftsprüfers, die Daten für rund 200 Millionen Transaktionen im Bereich des dubiosen Drittpartnergeschäfts (TPA) vorzulegen.

Mit „alle“ meinte der frühere Statthalter des Zahlungsabwicklers in Dubai Ex-Vorstandschef Markus Braun, das einstige Vorstandsmitglied Jan Marsalek und den früheren Konzernchefbuchalter Stephan von Erffa. Dies sagte er auf Nachfrage der Strafermittler, die mit drei Juristen im Gerichtssaal vertreten sind. Neben dem geständigen Bellenhaus sitzen auch Braun und von Erffa auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft München wirft dem Trio u.a. „gewerbsmäßigen Bandenbetrug“ vor. Seit den aufgeflogenen kriminellen Machenschaften im Frühsommer 2020 befindet sich Marsalek auf der Flucht. Medienberichten zufolge soll er sich in Russland versteckt halten.

„Das (…) war scheiße“

In seiner Vernehmung vor Gericht berichtete Bellenhaus von einem Gespräch in der obersten Führungsetage am 24. Oktober 2019, einem Donnerstag. Daran habe der damalige CEO teilgenommen. Braun sei seinerzeit „sehr euphorisch“ gewesen, dass man das bis Weihnachten 2019 schaffe. Er, Bellenhaus, hat nach eigener Aussage Brauns Auffassung nicht teilen können. „Die Nachbearbeitung von Transaktionsdaten war unmöglich“, sagte er. „Das, was wir in den letzten Jahren gemacht haben, war scheiße“, habe er seinen eigenen Worten zufolge an jenem Tag in der Gesprächsrunde gesagt.

„Mir war sofort klar, dass wir es nicht hinbekommen werden, die geforderten Transaktionsdaten aus dem angeblichen TPA-Geschäft mit echten Daten aus geleisteten Zahlungsabwicklungen von Wirecard zusammenzuwürfeln. Aufgrund der hohen Komplexität der Vorgänge war das nicht möglich“, gab Bellenhaus zu Protokoll. „Ich habe in dieser Runde auch gesagt, dass auch aufgrund der nicht vorhandenen personellen Ressourcen es nicht zu schaffen war.“ Der Kronzeuge begründete das mit dem kleinen Kreis der Täter.

Zur Erinnerung: Nach massiven Betrugsvorwürfen der „Financial Times“ vor allem in Bezug auf die angeblichen TPA-Aktivitäten, die sich später als umfangreiche Luftbuchung herausstellten, beauftragte im Herbst 2019 der damalige Wirecard-Aufsichtsrat KPMG damit, sämtliche Bücher und Bilanzen des Unternehmens zu durchleuchten. Treibende Kraft hinter diesem Mandat war AR-Mitglied Thomas Eichelmann. Der einstige Finanzvorstand der Deutschen Börse übernahm Anfang 2020 bei Wirecard den Posten des Chefaufsehers. Abschlussprüfer von Wirecard war seinerzeit EY. Nach dem Ende Mai 2020 veröffentlichten KPMG-Untersuchungsbericht verweigerte EY das Testat für 2019. Das trug zum Zusammenbruch des Dax-Mitglieds bei. KPMG fand keine Belege dafür, dass das TPA-Geschäft existiert, wie Braun weiterhin behauptet.

Dem Kronzeugen zufolge fehlten die Zeit und die Kapazitäten, die von KPMG geforderten Daten für die Transaktionen „plausibel aufzubereiten“. Er, Bellenhaus, hatte „Bedenken, dass die Daten dem forensischen Audit standhalten können.“ Der Mitangeklagte verwies auf durchweg fehlerhafte Datensätze des für die Fälschungen eingesetzten Datengenerators. Als Beispiel nannte er in Yen ausgeführte Transaktionen auf Basis von Aufträgen deutscher Adressen. „Auf die Datensätze hatte Jan Marsalek vollständigen Zugang.“

Derweil wies die Strafkammer die Anträge von Brauns und von Erffas Anwälten ab, den Prozess auszusetzen. Die Voraussetzung dafür sei nicht erfüllt, so das Gericht. Aufgrund der Prozessdauer sei es möglich, Aktenbestände nachzuarbeiten.

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