Nachhaltige Bankensteuerung wird zum Vorteil

Regelungen helfen dabei, das eigene Profil zu schärfen, die eigene Marke weiterzuentwickeln und sich im Zukunftsmarkt zu positionieren

Nachhaltige Bankensteuerung wird zum Vorteil

Pariser Klimaziele, Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen, der europäische “Green Deal” – die Vielzahl globaler Initiativen macht deutlich, welche Dringlichkeit dem Kampf gegen den Klimawandel und der Nutzung immer knapper werdender Ressourcen weltweit mittlerweile beigemessen wird. Das Thema Nachhaltigkeit hat in den vergangenen Jahren an Dynamik gewonnen und erfasst die Politik ebenso wie die Wirtschaft, Konsumenten und Investoren.Dem Finanzsektor als Scharnier zur Wirtschaft kommt dabei auch aus Sicht der Politik eine besondere Bedeutung zu. Die Finanzunternehmen als Kapitalsammelstellen und Schnittstelle für Investitionen sollen den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft vorantreiben. Die Europäische Kommission beziffert den Kapitalbedarf allein für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens mit dem Ziel, die Erderwärmung unter 2 Grad zu halten, mit 180 Mrd. Euro bis 2030 – pro Jahr! Aufgabe der Banken, Vermögensverwalter und Investoren ist die Neuausrichtung der Kapitalflüsse hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft sowie die Finanzierung des Umbaus beziehungsweise der verschiedenen Initiativen.In den vergangenen Jahren hat sich auf der Kundenseite in diesem Bereich viel getan. So betrug im Jahr 2019 allein das Volumen aus grünen Finanzierungen, die an ein ESG-Rating (ESG – Environment, Social, Governance) gekoppelt wurden, 112 Mrd. Euro, und im Green-Bond-Markt wurden 2019 bereits 287 Mrd. Dollar platziert. Aus Sicht der Nachhaltigkeitsbemühungen ist das ein sehr gutes Zeichen, denn es zeigt zum einen, dass die entsprechenden Projekte vorhanden sind, und auch, dass die Marktparteien bereit sind, diese nachhaltige Art der Finanzierung anzunehmen und sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen.Bei der Positionierung im Bereich der nachhaltigen Finanzierung müssen Banken strategische Entscheidungen treffen. In welche Kunden und Segmente will die Bank zukünftig investieren? Welche Bereiche sollten gemieden werden? Dabei spielen nicht nur Reputationsüberlegungen eine Rolle, sondern vor allem auch die Frage, wie etwaige Kreditrisiken beherrschbar bleiben.Potenzielle Nachhaltigkeitsrisiken, die sich aus wirtschaftlichem Handeln ergeben, müssen künftig im Rahmen des Risikomanagements berücksichtigt werden. Das Merkblatt der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken gibt deutschen Kreditunternehmen dezidiert vor, Nachhaltigkeitsrisiken bei Anlage- und Zeichnungsentscheidungen sowie bei der Kreditvergabe zu berücksichtigen und entsprechende Risikobetrachtungen in die Risikosteuerung nach MaRisk (Mindestanforderungen an das Risikomanagement) einfließen zu lassen. Damit wird das Thema zu einem zunehmend wichtigen Faktor in Kundenbeziehungen von Finanzunternehmen und gegebenenfalls auch zu einem Ausschlusskriterium.Für die Banken bedeutet das, die Marktentwicklungen genau zu beobachten, um Chancen (oder Risiken) rechtzeitig identifizieren zu können. Das lässt sich am Beispiel des Energiesektors verdeutlichen: Mit Hilfe sogenannter “Energy Transition Studies” untersucht die ING regelmäßig, wie die Energiewende in verschiedenen Branchen voranschreitet, welchen Einfluss dies auf die Nachfrage nach Rohstoffen wie Öl, Gas und Kohle ausübt und welche möglichen Risiken sich daraus für die Bank ergeben. Glaubwürdigkeit stärkenSolche strategische Überlegungen haben unweigerlich auch Auswirkungen auf die Bilanzen der Banken. Dabei tritt, neben der Vermeidung von Risiken, die aktive Umsetzung eigener Nachhaltigkeitsziele in den Mittelpunkt. Eine Bank kann gegenüber Kunden und der Öffentlichkeit nur glaubwürdig auftreten, wenn sie das Thema Nachhaltigkeit selbst implementiert und verinnerlicht hat. Wie setzt sie Nachhaltigkeit über alle Geschäftsbereiche um? Inwieweit sind nachhaltige Kriterien in die “DNA” der Bank eingeflossen, etwa bei der Governance, den Zielvereinbarungen oder auch der Vorstandsvergütung? Wird die Bilanz nach nachhaltigen Kriterien gesteuert? Werden nicht nur nachhaltige Projekte finanziert, sondern investiert die Bank selbst nachhaltig und versucht, ihren eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren?Die eigene Erfahrung mit dem Thema und das Wissen über mögliche Herausforderungen bei der Umsetzung sind zu Wettbewerbsvorteilen geworden. Das Bewusstsein, dass Nachhaltigkeit strategisch wichtig ist, ist noch nicht bei allen Banken angekommen. Während niederländische und französische Banken relativ weit vorne sind und als Benchmark gelten können, haben Banken in anderen Ländern, darunter teilweise auch in Deutschland, noch Nachholbedarf.Die ING hat 2018 gemeinsam mit der “2° Investing Initiative” den “Terra”-Ansatz aus der Taufe gehoben. Mit Terra soll das gesamte Kreditbuch der Bank mit einem Volumen von rund 600 Mrd. Euro in Richtung des 2-Grad-Klimaziels ausgerichtet werden. Dazu erfolgt eine Bestandsanalyse des Kreditbuches, um Potenziale für eine weitere Reduzierung der CO2-Emissionen zu identifizieren. Als Ergebnis dieser Prüfungen wird die eigene Kapitalallokation gezielt stärker auf kohlenstoffarme Technologien konzentriert, indem beispielsweise mehr Projekte zu erneuerbaren Energien finanziert werden. Im Gegenzug erfolgt der Rückzug aus problematischen Sektoren, wie etwa der Kohle.Die ING kann hausintern auf eine umfassende Sektorenkompetenz in den Bereichen Energie, Automotive, Wohn- und Gewerbeimmobilien, Zement, Stahl, fossile Treibstoffe sowie Schiff- und Luftfahrt zurückgreifen. Sie hilft dabei, in die “richtigen” Sektoren zu investieren und dort auch die passenden Unternehmen für eine CO2-Optimierung der eigenen Bilanz zu finden. Mittlerweile haben sich 39 weitere Banken Terra angeschlossen. Die ING würde auch eine Teilnahme deutscher Banken begrüßen.Mit der Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit und im Rahmen regulatorischer Anforderungen wächst die Gefahr, dass Unternehmen bewusst oder unbewusst “Greenwashing” betreiben. Nicht jede durchgeführte Maßnahme ist unter nachhaltigen Aspekten wirklich zielführend und führt zu belastbaren Ergebnissen, manches ist schlicht irreführend und belanglos. Für die finanzierende Bank ist die Vermeidung von Greenwashing wichtig, um die eigenen strategischen Ziele beziehungsweise die eigene Reputation nicht zu gefährden. Damit kommt ihr eine verstärkte Gatekeeper-Funktion zu. Das kann in der letzten Konsequenz auch bedeuten, ein Vorhaben als nachhaltiges Geschäft abzulehnen, wenn Kunden nicht ambitioniert genug und die geplanten Investitionen für ein Sustainability Improvement nicht ausreichend sind. Vermeidung oder Dialog?Einfach ist eine solche Entscheidung nicht. Denn zum einen müssen Banken, auch bei einer dezidiert nachhaltigen Ausrichtung, letztendlich Rendite erwirtschaften. Zum anderen lassen sich Veränderungen hin zu einem umweltbewussten oder sozial verträglichen Verhalten eher im Dialog einer funktionierenden Geschäftsbeziehung verwirklichen. Beispiel Palmöl: Bringt eine rigorose Vermeidung von Palmölproduzenten der Umwelt langfristig wirklich mehr als der kritische Dialog mit ihnen über die Abholzung von Wäldern und die Arbeitsbedingungen? Vor diesem Dilemma stehen ethisch orientierte Investoren immer wieder. Die Diskussionen müssen dabei ständig aufs Neue geführt werden. Es liegt letztlich in der Verantwortung der Bank, den Kunden dabei zu beraten, die richtigen und aus Nachhaltigkeitssicht effizientesten Maßnahmen zu ergreifen.Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien wird bei der Risikokontrolle im Bankgeschäft zukünftig eine wesentliche Rolle spielen. Dabei geht ihre Bedeutung weit über ein “Must-have” hinaus. Entsprechende Regelungen bei Kreditinstituten helfen dabei, das eigene Profil zu schärfen, die eigene Marke weiterzuentwickeln und sich im Zukunftsmarkt der nachhaltigen Finanzierungslösungen zu positionieren. Marco Schoneveld, Manager Trade Finance Service Corporate Sales sowie Sustainability Representative bei ING Wholesale Banking