Nachhaltige Transformation birgt Chancen

Der Gesetzgeber kann hierfür nützliche Impulse setzen - Solche Maßnahmen dürfen jedoch den Anleger nicht in seiner Entscheidung einschränken

Nachhaltige Transformation birgt Chancen

In Europa soll privates Kapital verstärkt in nachhaltig ausgerichtete Investitionen fließen. Die Finanzwirtschaft ist gefragt, die angestrebte Transformation hin zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem zu begleiten und sich aktiv an diesem Prozess zu beteiligen. Für Assetmanager steht die Integration von Nachhaltigkeitskriterien in den Investmentprozess auf der Tagesordnung. Denn sie bringt nicht nur im Risikomanagement Vorteile, sondern wird darüber hinaus zum festen Bestandteil der Treuhänderpflicht. Kein neues Thema mehrNachhaltigkeit ist für die Finanzmärkte längst kein neues Thema mehr. Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) wird von Assetmanagern und Investoren schon seit Jahren in unterschiedlichem Ausmaß praktiziert. Von den Großanlegern in Deutschland berücksichtigen einer Studie unseres Hauses zufolge gegenwärtig bereits 65 % Nachhaltigkeitskriterien bei der Kapitalanlage. Dennoch befinden wir uns am Beginn einer Umbruchphase, die deutliche Auswirkungen auf die Kapitalanlage haben wird. Nachhaltigkeit ist dabei, von einem abstrakten Begriff zu einer ökonomischen Notwendigkeit zu werden.Dies liegt vor allem an den zu erwartenden gravierenden Folgen des Klimawandels. Global reift bei fast allen Akteuren die Erkenntnis, dass ohne ein Umsteuern hin zu einem CO2-reduzierten Wirtschaften der Schaden sowohl für die Umwelt als auch für die Volkswirtschaften erheblich sein wird. So warnt etwa der Global Risk Report des World Economic Forum: Vier der fünf Risiken mit dem größten Einfluss auf die Weltwirtschaft stehen in Zusammenhang mit dem Klimawandel. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer Transformation hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft.Nicht nur die zunehmend dringlicher werdende Einbettung der Nachhaltigkeit in ökonomische Prozesse spricht für eine Zäsur. Für die Aussicht auf tiefgreifende Veränderungen sorgt zudem die Entwicklung auf europäischer Ebene. Der vor einem Jahr vorgelegte “Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums” unterstreicht den Willen der EU, die Finanzbranche aktiv am Umbau der Wirtschaft zu beteiligen. Das zentrale Ziel besteht darin, privates Kapital verstärkt in nachhaltig ausgerichtete Investitionen zu lenken. Die Forderung, dass das Finanzsystem nachhaltig umgestaltet werden muss, steht schon in den einleitenden Worten des EU-Aktionsplans. Wie ernst Brüssel das Thema nimmt, zeigt die rasche Umsetzung der geplanten Maßnahmen. Vier Vorhaben des Zehn-Punkte-Plans sind als Gesetzesvorschläge veröffentlicht, von denen sich drei mittlerweile auf der gesetzgeberischen Zielgeraden befinden.Auch wenn eine der zentralen Aufgaben des Aktionsplans, nämlich die Erarbeitung eines Klassifikationssystems zum nachhaltigen Wirtschaften, voraussichtlich etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen wird, sollte sich die Finanzwirtschaft keine Illusionen machen: Neue Regeln werden kommen und sich auf die Kapitalanlage von Investoren auswirken. So wird etwa die ESG-Integration in das Portfoliomanagement explizit zum Bestandteil der Treuhänderpflicht von Assetmanagern. Darüber hinaus entstehen mit der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken und deren Offenlegung auch neue Pflichten für institutionelle Anleger wie Pensionskassen und Versicherungen. Zukunft nachhaltig gestaltenUnter Assetmanagern und Investoren ist der Aktionsplan grundsätzlich positiv aufgenommen worden, wirft allerdings auch viele Fragen auf. Es lässt sich häufig eine abwartende Haltung beobachten, solange noch nicht klar ist, wie die Brüsseler Vorgaben im Detail aussehen und umgesetzt werden. Dies ist angesichts der regulatorischen Herausforderungen, mit denen sich die Branche seit geraumer Zeit konfrontiert sieht, durchaus nachvollziehbar. Assetmanager und Investoren tun jedoch gut daran, das Thema proaktiv anzugehen und die Zukunft nachhaltig mitzugestalten. Schließlich ist das Finanzsystem als tragende Säule der Wirtschaft ähnlich stark von der Transformation betroffen wie die produzierenden Unternehmen der Realwirtschaft.In dem Maße, in dem die Vermeidung klimaschädlicher Emissionen die Geschäftsmodelle vieler Unternehmen auf den Prüfstand stellt, müssen die Chancen und Risiken der Kapitalanlage neu bewertet werden. Die Stichworte “Divestment” und “Stranded Assets” führen drastisch vor Augen, was hier auf der Risikoseite auf Investoren zukommen kann. Ein Blick etwa auf deutsche Versorger macht deutlich, worum es hier geht. So mussten im Zuge der Energiewende Eon und RWE massive Wertverluste hinnehmen. Zeichen der Zeit erkennenVorausschauende Unternehmen erkennen die Zeichen der Zeit und leiten entsprechende Maßnahmen ein. Die Transformation von Geschäftsmodellen ist in vollem Gange und macht auch vor den Versorgern nicht halt. Selbst Ölkonzerne wie Total oder Statoil, die über hohe Investitionsbudgets verfügen, setzen verstärkt auf erneuerbare Energien. Statoil hat seinen Firmennamen zu Equinor verändert. Auch Shell hat jetzt angekündigt, sein Geschäftsmodell grundlegend in Richtung erneuerbare Energien und Ökostrom umzubauen.Den Risiken für Anleger stehen auch Chancen gegenüber. Von der Disruption in vielen Bereichen der Wirtschaft können Investoren durchaus profitieren. Denn alte Geschäftsmodelle werden durch innovative Geschäftsideen, Produkte und Dienstleistungen abgelöst. Alternative Energien, leistungsfähige Speichermedien, effiziente Energieträger und innovative Mobilitätskonzepte sind nur einige der Felder, auf denen sich zusätzliche Investmentchancen ergeben und wo Kapital von Seiten der Unternehmen benötigt wird.Indem aktive Assetmanager Unternehmen auf diesem Weg der Veränderung begleiten, können sie einen Beitrag für einen erfolgreichen Umbau der Wirtschaft leisten. Hierfür muss der Gesetzgeber allerdings Handlungsfreiheiten lassen. Entscheidend sollte sein, dass sich Unternehmen ernsthaft und nachprüfbar auf den Weg der Veränderung zu einem nachhaltigeren Wirtschaften begeben. Gleichzeitig lässt sich im direkten Dialog früh erkennen, wie Unternehmen sich gegenüber notwendigen Veränderungen aufstellen, ob Klimarisiken gezielt gemanagt und Chancen bewusst genutzt werden.Vor diesem Hintergrund ist es in der institutionellen Kapitalanlage unabdingbar, frühzeitig Prozesse zu implementieren, die sicherstellen, dass sich die aus der Transformation der Wirtschaft ergebenden Chancen und Risiken in der Anlagestrategie widerspiegeln. Das geht nicht von heute auf morgen und bedarf entsprechender Expertise. Einzelne Investoren können diese komplexen Herausforderungen oft nicht im Alleingang bewältigen. Die großen Vermögensverwalter sind dagegen mit ihrem umfassenden Know-how und ihren Ressourcen in der Lage, gemeinsam mit den Investoren tragfähige Lösungen zu erarbeiten.In vielen Fällen hat sich diese Zusammenarbeit bereits bewährt und im Ergebnis dazu geführt, dass Nachhaltigkeit schon heute fester Bestandteil der Kapitalanlage institutioneller Investoren ist. Jedoch ist auch zu konstatieren, dass das Thema Nachhaltigkeit gegenwärtig für 35 % der Großanleger in Deutschland noch keine Rolle spielt, wie aus der eingangs erwähnten Investorenbefragung hervorgeht. Hier besteht Handlungsbedarf, auch und gerade mit Blick auf den Klimawandel. Rund zwei Drittel der Großanleger haben gegenwärtig noch keine Informationen über die Klimawirkung ihrer Portfolien. Zusätzlicher RisikofilterUnabhängig von klimapolitischen Erwägungen spricht ein weiterer Grund dafür, ESG-Kriterien stärker in die Kapitalanlage zu integrieren. So kann aus Sicht des Risikomanagements die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten nur Vorteile bringen. Denn die klassische Fundamentalanalyse mit ihrem Fokus auf Bilanz, Gewinn-und-Verlust-Rechnung sowie Kapitalflussrechnung reicht keinesfalls aus, um alle Risiken im Portfolio mess- und steuerbar zu machen. Die Fundamentalanalyse muss vielmehr um extrafinanzielle Aspekte wie die ESG-Kriterien ergänzt werden. Wer diese systematisch in den Investmentprozess integriert, führt damit einen zusätzlichen Risikofilter ein. Somit leisten ESG-Kriterien einen wesentlichen Beitrag zur Optimierung des Rendite-Risiko-Profils. Aus diesem Grund haben wir bereits im letzten Jahr damit begonnen, uns mit den Empfehlungen der Taskforce on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) auseinanderzusetzen und Instrumente zur langfristigen, szenariobasierten Bewertung von Klimachancen und -risiken zu entwickeln.Letztlich bleibt festzuhalten, dass die nachhaltige Transformation große Chancen bietet. Der Gesetzgeber kann hierfür nützliche Impulse setzen. Allerdings dürfen solche Maßnahmen den Anleger in seiner Anlageentscheidung nicht einschränken. Zudem müssen auch finanzielle Risiken nachhaltiger Anlagen als renditerelevanter Faktor berücksichtigt werden. Eine so verstandene und umgesetzte Finanzmarktregulierung der Europäischen Union vereint Grundsätze der freien Marktwirtschaft mit Anlegerschutz und dem Ziel der Vermögensanlage.—-Alexander Schindler, Vorstandsmitglied von Union Investment