Nachhaltigkeit im Zentrum des öffentlichen Bewusstseins

Auch in der Finanzbranche ist es längst kein Nischenthema mehr

Nachhaltigkeit im Zentrum des öffentlichen Bewusstseins

Dr. Roman GlaserPräsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV)Wie wirtschaften wir nachhaltiger? Diese Frage beschäftigt Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik gleichermaßen – mehr denn je. Wobei dieses Thema nicht neu ist – bereits 1987 wurde von der sogenannten Brundtland-Kommission die Basis für das heutige Verständnis von nachhaltiger Entwicklung geschaffen. 1992 hat sich die internationale Staatengemeinschaft in Rio de Janeiro auf das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung verständigt und den Willen zum Ausdruck gebracht, mit den Ressourcen der Erde aus Rücksicht auf nachfolgende Generationen verantwortungsvoll umzugehen. Nationale Strategien folgten. Nicht zuletzt aufgrund gesellschaftlicher Bewegungen wie etwa “Fridays for Future” ist das Thema Nachhaltigkeit wieder verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt – und das ist auch richtig so. Allerdings wird nachhaltige Entwicklung häufig mit Umweltschutz gleichgesetzt. Neben der ökologischen Komponente sind jedoch auch die soziale und die ökonomische Sphäre von zentraler Bedeutung in der Diskussion über Nachhaltigkeit. Auch in der Finanzbranche ist Nachhaltigkeit längst kein Nischenthema mehr. Bei deutschen Sparern werden Geldanlagen, die neben klassischen Kriterien wie beispielsweise Sicherheit und Rendite auch ökologische und soziale Aspekte sowie gute Unternehmensführung berücksichtigen, immer beliebter. Ausschlaggebend für die gestiegene Attraktivität von nachhaltigen Investments ist unter anderem auch das veränderte Konsumverhalten der Menschen mit bewusster Produktauswahl. Dass das Thema Nachhaltigkeit mittlerweile auch unter deutschen Privatanlegern einen hohen Stellenwert genießt, zeigen die Ergebnisse des Anlegerbarometers von Union Investment: So hält knapp jeder zweite Befragte diese Anlageform für attraktiv. Für 40 % der Sparer kommt entsprechend eine Anlage in nachhaltige Investments ganz sicher oder wahrscheinlich in Frage. Bemerkenswert ist, dass ökologische oder soziale Gesichtspunkte für viele Anleger mindestens genauso wichtig sind, wie der Gewinn: 85 % der Befragten wären bereit, zugunsten der Nachhaltigkeit auf Gewinn zu verzichten. Auch institutionelle Anleger berücksichtigen Nachhaltigkeitskriterien bei der Kapitalanlage, wie die Nachhaltigkeitsstudie von Union Investment aus dem Jahr 2019 zeigt. Mit einem Anstieg um 7 Prozentpunkte auf 72 % erreicht die Zahl nachhaltig anlegender Investoren einen neuen Rekordstand. Hervorzuheben ist, dass sich die Zufriedenheit mit nachhaltigen Investments ebenfalls auf einem Höchststand bewegt: So sind Großanleger sehr zufrieden oder sogar außerordentlich zufrieden. Infolgedessen können sich 89 % von ihnen nicht vorstellen, aus nachhaltigen Kapitalanlagen auszusteigen. Schaut man sich die Motivation für nachhaltiges Investieren an, zeigt sich, dass die Werte des eigenen Unternehmens als Hauptantrieb angeführt werden. Dies zeigt wiederum, dass Nachhaltigkeit im Wertesystem der Unternehmen derart stark verankert ist, dass die Anlagestrategie in einem solch hohen Maß davon beeinflusst wird. Ausschlaggebender Impuls für nachhaltige Investments sind nach Ansicht von 73 % der Befragten sich verändernde regulatorische Anforderungen. Die EU-Kommission beziffert den jährlichen zusätzlichen Investitionsbedarf, um die Klima- und Energieziele der EU bis 2030 zu erreichen, auf 180 Mrd. Euro. Um diese Investitionen zu bewältigen, ist das Ziel der EU-Kommission eine stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Finanzwirtschaft. Dem Finanzmarkt wird somit eine Schlüsselrolle bei der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung zugeschrieben. So soll der Kapitalmarkt eine nachhaltige Realwirtschaft ermöglichen. Die EU-Kommission arbeitet mit Hochdruck an konkreten Maßnahmen zur Umsetzung ihres 2018 veröffentlichten Aktionsplans “Finanzierung nachhaltigen Wachstums”. Auch die Bundesregierung möchte die nachhaltige Finanzwirtschaft stärken. Angesichts unserer mittelständisch geprägten Wirtschaft in Deutschland bedarf es einer klugen Strategie, die die Balance zwischen industrieller Wertschöpfung und mehr Nachhaltigkeit hält. Zunächst ist ein gemeinsames Grundverständnis notwendig, wie Nachhaltigkeit zu definieren ist, in Form einer Taxonomie für nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeiten. Nur so kann der von der Politik angestrebte Übergang der Realwirtschaft – unter Einbindung der Finanzwirtschaft – hin zu mehr Nachhaltigkeit gelingen. Darüber hinaus ist es unerlässlich, die Realwirtschaft als Hauptadressaten der von der Politik eingeleiteten Maßnahmen einzubinden. Letztlich sind es die realwirtschaftlichen Unternehmen, die der Finanzwirtschaft die relevanten Informationen über die Einhaltung der Nachhaltigkeitsanforderungen eines Investitionsvorhabens beziehungsweise des gesamten Unternehmens bereitstellen. In der Realwirtschaft ebenso wie in der Finanzwirtschaft sind verlässliche und dauerhafte Rahmenbedingungen eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg ihrer Geschäftstätigkeit. In den vergangenen Jahren wurden am deutschen Finanzmarkt sogenannte grüne Finanzprodukte auf Basis freiwilliger Marktstandards entwickelt. Diese freiwilligen Marktstandards sollten bei der Gesetzgebung berücksichtigt werden.Die Genossenschaftliche FinanzGruppe ist bereits gut aufgestellt: Union Investment ist mit rund 48 Mrd. Euro Marktführer für nachhaltige Kapitalanlagen, die DZ Bank als genossenschaftliches Spitzeninstitut engagiert sich bei grünen Anleihen und die Volksbanken und Raiffeisenbanken vor Ort unterstützen nachhaltige Projekte im Kreditgeschäft, um beispielsweise die Energiewende voranzubringen. Nachhaltigkeit gehört ohnehin zum Markenkern der Genossenschaftsbanken – sie sind regional verwurzelt, handeln langfristig orientiert und haben die Förderung ihrer Mitglieder zum Ziel. Daher engagieren sich die Genossenschaftsbanken auch gesellschaftlich, etwa mit Spenden an soziale Einrichtungen und Vereine vor Ort. Das Engagement geht oft noch weiter: Viele der Institute unterstützen das Ehrenamt ihrer Mitarbeiter. Damit leisten die Genossenschaftsbanken einen wichtigen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt. Auch das entspricht dem genossenschaftlichen Verständnis von Nachhaltigkeit.