Nachhaltigkeit und Rendite schließen sich nicht aus
Wenn wir über das Thema Nachhaltigkeit sprechen, so umfasst es alle denkbaren Lebensbereiche. Als Form des ökologischen und ökonomischen Handelns, das die Lebensbedingungen der gegenwärtigen und künftigen Generationen sichern und schützen soll, betrifft es sowohl das individuelle Sozial- und Konsumverhalten als auch die politische wie wirtschaftliche Übernahme von Verantwortung. Dabei wird Nachhaltigkeit immer mehr zum Maßstab für Innovation und Zukunftsfähigkeit. Im Zuge des globalen Klimawandels hat die Bedeutung von Nachhaltigkeit und Verantwortung enorm zugenommen.Auch die Finanzindustrie muss sich einem veränderten Bewusstsein der Anleger stellen. Ihr Beitrag zum Nutzen der Menschen steht heute immer mehr vor der Steigerung kurzfristiger Profite.Wie kann sie die Nachhaltigkeit aktiv voranbringen? Für die Finanzierung von erneuerbaren Energien, zukunftsträchtigen Geschäftsmodellen und Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sind Investitionen notwendig. Die Finanzbranche kann hier über die Initiierung entsprechender Angebote einen großen Beitrag leisten. Zugleich stellen nachhaltig wirtschaftende Unternehmen für Anleger eine immer interessantere Investitionsmöglichkeit dar. Denn während der Klimawandel weiter voranschreitet, arbeiten diese Unternehmen bereits jetzt proaktiv an geeigneten Lösungen und sichern sich damit Wettbewerbsvorteile.Gleichzeitig schließen sie Geschäftspraktiken aus, die gegen anerkannte Umwelt- und Sozialstandards verstoßen, wie zum Beispiel die Produktion von und der Handel mit Waffen oder die Verletzung von Arbeits- und Menschenrechten. Dass diese Faktoren bei der Investitionsentscheidung für Anleger immer wichtiger werden, spiegelt der aktuelle Marktbericht des Branchenverbands Forum Nachhaltige Geldanlage (FNG) wider.Demnach steigt die Gesamtsumme der nachhaltigen Kapitalanlagen in Deutschland kontinuierlich und erreichte 2018 mit 219 Mrd. Euro eine historische Höchstmarke. Gegenüber dem Vorjahr legte das Volumen um mehr als 48 Mrd. Euro zu, was einem Plus von 28,2 % entspricht. Daraus wird klar: Finanzinstitutionen müssen mit ihren Portfolios auf diesen Bedarf reagieren. Das Problem: Auf dem nachhaltigen Finanzmarkt besteht noch immer ein Mangel an zuverlässigen Daten und Analysen, Standardisierungen und klaren Definitionen sowie strengen und objektiven Prüfkriterien.Über die Anpassung gesetzlicher Rahmenbedingungen wird nun versucht, nachhaltige Investitionen zu fördern. So soll ein Maßnahmenpaket der EU-Kommission höhere Transparenz über das Angebot nachhaltiger Anlagemöglichkeiten und deren Qualität schaffen. Darin soll verbindlich festgelegt werden, was Nachhaltigkeit im Wirtschaftskontext bedeutet; eine umfangreiche Definition aber, die wichtige Bereiche wie zum Beispiel soziale Aspekte und eine verantwortungsvolle Unternehmensführung berücksichtigt, bleibt aus.Die Börse Hannover hat sich über die Initiierung des Global Challenges Index (GCX) bereits vor dreizehn Jahren des Themas Nachhaltigkeit angenommen. Mit dem Ziel, mehr Transparenz und Orientierung auf dem nachhaltigen Finanzmarkt zu schaffen, bildet der GCX eine Auswahl von 50 internationalen Aktien ab, die sich durch ihr besonders nachhaltiges Engagement auszeichnen. Die Unternehmen leisten in ihrem Kerngeschäft substanzielle und richtungsweisende Beiträge zur Bewältigung der sieben globalen Herausforderungen dieses Jahrtausends, denen sich Politik, Gesellschaft und Wirtschaft stellen müssen.Dazu gehören unter anderem die Bekämpfung der Armut, der Erhalt der Artenvielfalt oder die Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit Trinkwasser. So befinden sich zum Beispiel Unternehmen im Index, die im Bereich Abwasserreinigung und Wasseraufbereitung aktiv zur Verteilung von Trinkwasser beitragen, deren Hauptaktivitäten im Bereich Recycling und Abfallentsorgung liegen oder die Strom auf Basis von erneuerbaren Energien, Deponiegas und Müllverbrennung erzeugen. Mehrstufiger ProzessDie Auswahl der Aktien, die Aufnahme in den Index finden, erfolgt auf Basis eines mehrstufigen Prozesses in Zusammenarbeit mit der Nachhaltigkeitsratingagentur oekom research und einem unabhängigen Beirat. Dabei müssen die Unternehmen nach dem Best-in-Class-Ansatz hohe soziale und ökologische Standards erfüllen und den von oekom research definierten “Prime”-Status erreichen. Als Teil des Ratings wird seit 2017 auch überprüft, ob die Unternehmen Produkte oder Dienstleistungen anbieten, die zur Erreichung der 2015 von der UN verabschiedeten 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) beitragen oder diesen Zielen zuwiderlaufen.Des Weiteren werden Unternehmen vom Index ausgeschlossen, die in kontroversen Geschäftsfeldern (wie zum Beispiel Atomenergie, grüne Gentechnik und Rüstung) aktiv sind oder mit ihren Geschäftspraktiken gegen anerkannte Standards in den Bereichen Umwelt, Arbeits- und Menschenrechte sowie Corporate Governance verstoßen. Um die Dekarbonisierung voranzutreiben, werden seit 2017 fossile Brennstoffe als Ausschlusskriterium definiert. Im Rahmen eines sogenannten Rebalancing wird einmal im Jahr die Zusammensetzung des Global Challenges Index überprüft und somit die Aktualität in Form der Einhaltung der Nachhaltigkeitskriterien durch die Indexunternehmen sichergestellt. Um Risiken zu streuen, liegt die Gewichtung der Einzelwerte bei maximal 10 %.Seit seiner Auflage am 3. September 2007 konnte der GCX (Performanceindex WKN: A0MEN2) insgesamt ein Plus von rund 240 % (Stand 29. Januar 2020) verbuchen. Damit übertrifft die Performance des Nachhaltigkeitsindex Vergleichsindizes wie den Dax oder MSCI World deutlich. Der Erfolg des GCX zeigt, dass sich Nachhaltigkeit und Rendite nicht ausschließen. Hendrik Janssen, Vorstandsmitglied der BÖAG Börsen AG, Geschäftsführer der Börse Hannover