IM BLICKFELD

Nachspielzeit im Steuerstreit für Schweizer Banken

Von Daniel Zulauf, Zürich Börsen-Zeitung, 19.3.2016 So dick, wie es manche schlagzeilenhungrigen Kommentatoren und honorargetriebenen Anwälte wahrhaben wollten, ist es schließlich doch nicht gekommen. Die Gesamtrechnung der Schweizer Banken im...

Nachspielzeit im Steuerstreit für Schweizer Banken

Von Daniel Zulauf, ZürichSo dick, wie es manche schlagzeilenhungrigen Kommentatoren und honorargetriebenen Anwälte wahrhaben wollten, ist es schließlich doch nicht gekommen. Die Gesamtrechnung der Schweizer Banken im amerikanischen Steuerstreit dürfte die Marke von 5 Mrd. Dollar nicht überschreiten. Das lässt sich heute schon mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, obwohl verschiedene Häuser immer noch sehnlichst auf das erlösende Papier der amerikanischen Strafbehörden, das sogenannte “Non-Prosecution Agreement”, warten.Damals, vor drei bis vier Jahren, als die Strafaktion der US-Justiz und der Steuerbehörden gegen die Schweizer Banken auf den Höhepunkt zusteuerte, gingen die Schätzungen über die Rechnung für den helvetischen Finanzplatz durch die Decke: von 10 Mrd. Dollar war die Rede – bisweilen sogar von 20 Mrd. Dollar.Gewiss, die “Nebenkosten”, wie sie die Abwicklung des Steuerstreites an vielen Stellen erzeugt hatte, sind in der provisorischen Kalkulation noch nicht enthalten. Es sind bedeutende Kosten für Anwälte, Wirtschaftsprüfer und nicht zuletzt auch für bankeigenes Personal, wo sich kaum ein Bankmanager zu sparen traute. Alexander Rabian, ein Zürcher Wirtschaftsanwalt, der die Interessen der unabhängigen Vermögensverwalter vertritt, glaubt, dass die “Spesenrechnung” am Ende etwa gleich hoch ausfallen könnte wie alle Geldbußen zusammen. Und dennoch, der Schrecken ist weg. Ende Januar hat die letzte Schweizer Bank, die sich im Rahmen des amerikanischen Sühneprogramms selbst in die Kategorie 2 der mutmaßlich fehlbaren Institute eingereiht hatte, ihren Sündendienst geleistet. Auch von den Banken der Kategorie 1, die schon vor Lancierung des Sühneprogramms im Visier des Department of Justice standen und ihren Ablass individuell aushandeln, sind die größten Fälle erledigt. Allerdings gibt es immer noch bedeutende Pendenzen wie jene der Genfer Privatbank Pictet oder der beiden Kantonalbanken in Zürich und Basel. Schmerzhafter ProzessVon einem glimpflichen Ausgang des US-Steuerstreits will die Schweizerische Bankiervereinigung jedenfalls nicht reden. Bußen seien nur ein Teil des schmerzhaften Bankenprogramms gewesen, betonte unlängst Verbandschef Claude-Alain Margelisch: “Es mussten ausführliche Informationen zum Geschäftsgebaren weitergegeben und Mitarbeitende namentlich den US-Ermittlungsbehörden preisgegeben werden. Das wiegt in meinen Augen ebenso schwer wie eine Bußenzahlung.” In der neuen Welt der Schweizer Banken herrscht Steuertransparenz. Der Start für den von der OECD orchestrierten globalen Automatischen Informationsaustausch (AIA) ist auf den 1. Januar 2018 festgelegt. Offiziell stehen die Banken dem Politikwechsel wohlwollend gegenüber.Doch in den Zwischentönen sind ernsthafte Vorbehalte zu hören: Patrick Odier, Genfer Privatbankier und Präsident des Branchenverbandes, sagt, es sei wichtig, dass zwischen bedeutenden Finanzplätzen “eine echte internationale Koordination” erfolge. Die kryptische Formulierung zielt für Insider unmissverständlich auf die USA, die sich als einziges Land dem im AIA festgelegten Prinzip der Gegenseitigkeit verschließen. Doch die Bankiers hüten sich davor, den Missstand laut anzuklagen.Auch Behörden halten sich bedeckt. Beim Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (Sif) verweist man auf das “Global Forum”, eine von der OECD geschaffene Institution, die über die Einhaltung der Regeln über Steuertransparenz und Informationsaustausch wachen soll und dafür ein System gegenseitiger Länderexamen der über 100 Mitgliedstaaten praktiziert. Man werde den Prozess aufmerksam verfolgen und allfällige Verfehlungen von Mitgliedsländern anprangern, heißt es beim Sif.Doch ob sich die USA von einer Ermahnung des Global Forum beeindrucken lassen würde, bleibt abzuwarten. Peter Cotorceanu, ein amerikanischer Steueranwalt, der früher für die UBS tätig war und eine Großkanzlei in Zürich betreibt, sorgte vor einigen Monaten mit einem Aufsatz für Aufsehen, der minutiös die Eigenschaften des amerikanisches Bankgeheimnisses erklärt und die USA als neuen Hort für internationale Steuerflüchtlinge beschreibt. Der Aufsatz verweist unter anderem auf den republikanischen US-Kongressabgeordneten Bill Posey aus Florida, für den die Reziprozität des AIA deshalb zu verwerfen sei, weil sie dem amerikanischen Staat “keinen Penny einbringt” und zudem ausländischen Investitionen in den USA abträglich sei. Der Brief stammt zwar aus dem Jahr 2013, aber das Denken hat sich gemäß Cotorceanu kaum verändert. Selbst wenn die Demokraten im November die Kontrolle über beide Kammern im Kongress erhalten sollten, was extrem unwahrscheinlich sei, wäre die uneingeschränkte Teilnahme der USA am AIA noch lange nicht sicher. Die amerikanische Bankenlobby habe gute Freunde auf beiden Seiten des politischen Spektrums, schreibt Cotorceanu.Mehreren Schweizer Banken sei das Offshore-Geschäft mit Kunden aus Süd- und Lateinamerika in den vergangenen Monaten dramatisch eingebrochen, sagt Anwalt Rabian. Als Grund dafür könne er sich nur die neue Konkurrenz der USA vorstellen. Auch in Europa sind die Bedingungen für die Schweizer Vermögensverwalter alles andere als einfach. Noch immer betreut die hiesige Finanzindustrie ein Drittel der außerhalb der Domizilländer liegenden Offshore-Vermögen europäischer Kunden. Doch manche großen EU-Länder gehen beim Aufbau von Hürden radikal ans Werk. Franzosen mit Schweizer Konten müssen dem heimischen Fiskus monatlich eine Steuerdeklaration vorlegen. In Italien oder Spanien ist die grenzüberschreitende Erbringung von Bankdienstleistungen gar gänzlich verboten. Zwar bestünde die Möglichkeit, diesen Nachteil durch den Erwerb einer lokalen Banklizenz auszugleichen. Doch Italien verhindert de facto die Lizenzvergabe an Schweizer Banken und revanchiert sich so für die angeblichen Behinderungen der Schweizer in der Amtshilfe. In Spanien ist die Lizenz mit Reportingpflichten verbunden, die unter den bestehenden Kundenschutzbestimmungen in der Schweiz nicht zu erfüllen sind. Schwelender KonfliktSelbst in Deutschland, wo der Marktzugang für die Schweizer Banken besser geregelt ist als in jedem anderen EU-Land, werden die helvetischen Institute nicht glücklich. Die systematische Politik deutscher Behörden, die Banken und ihre Kunden durch den Ankauf von gestohlenen Steuerdaten unter Druck zu setzen, sorgt für Verstimmung. Die jüngsten Versuche, die schwelenden Konflikte mit der Drohung einer strafrechtlichen Verfolgung von Bankmitarbeitern weiter zu eskalieren, sind inzwischen Gegenstand von Gesprächen auf Ministerebene.