Retail-Einlagen

Narrow Banking hat die Formel für Depositenschutz

Dass Privatanleger wenig bis gar nichts für ihre Depositen erhalten, obwohl ihre Gelder in risikobehaftete Kredite gehen, ist nicht nur ungerecht, es stellt einen Konstruktionsfehler dar, den das Konzept des Narrow Banking heilen will.

Narrow Banking hat die Formel für Depositenschutz

Von Björn Godenrath, Frankfurt

Die Geschichte des Bankwesens steckt voller Wendungen. Das System des „Fractional Reserve Banking“, wie wir es kennen, wurde mit Gründung der Federal Reserve 1913 zementiert. Im Rahmen des Mindestreserve-Bankwesens können Einlagen- und Kreditgeschäft unter dem Dach einer Bank vereinbart werden, wobei ein Teil der Depositen als regulatorische Absicherung/Reserve für Kreditrisiken herhält. Das führt dann in der Praxis zur Fristentransformation, dass also kurzfristige Einlagen zur Deckung langfristiger Ausreichungen dienen. Als sich dann in der Finanzkrise 2008/09 das Risiko von Bank Runs in Griechenland und in England bei Northern Rock materialisierte, wurde auf akademischer Ebene erwogen, ob man nicht auf das Konzept des Narrow Banking zurückgreifen sollte. Dabei halten Banken jederzeit 100% ihrer Einlagen in Form von Bargeld, liquiden Mitteln oder Zentralbankreserven bereit.

Da Geschäftsbanken es mit der Kreditvergabe mitunter übertreiben bzw. das Risikomanagement nicht adäquat ist, haben Reformer und Regulatoren schon seit Hunderten von Jahren Narrow-Banking-Konzepte verordnet. So hatte schon 1361 der Senat von Venedig seinen Banken verboten, die Einlagen der Bürger zu verleihen. Die Institute hielten sich aber nicht daran, umgingen die Vorschrift und einige schlitterten in die Pleite. 1584 brach das größte Institut Pisano & Tiepolo zusammen und wurde verstaatlicht. In den Niederlanden war dann 1609 die Bank of Amsterdam als Narrow Bank registriert, ließ sich aber heimlich auf verbotene Ausleihungen ein. Das Institut brach 1791 zusammen und wurde von der Stadt Amsterdam übernommen.

Im 19. Jahrhundert gingen britische und amerikanische Banken im Rahmen der „Real Bills Doctrine“ dazu über, sich primär auf kurzfristige Ausleihungen zu beschränken. Sprich, es wurden Working-Capital- und Trade-Finance-Kredite mit Laufzeiten von drei Monaten gewährt, die dann wiederum mit dem Vermögen des Unternehmers und mit dem Warenwert besichert wurden. Mit Gründung der Fed fand dann die Ausweitung der mit langfristigen Ausreichungen verbundenen Fristentransformation statt, was sich fortsetzte, obwohl im Rahmen der Great Depression 1929 offenbar wurde, dass die Risiken dieses Modells sich nur schwer steuern lassen.

Kein Ausgleich für Sparer

Heute, ein paar Finanzkrisen später, sind Banken deshalb mit erhöhten Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften konfrontiert und zahlen in Sicherungsfonds ein, die privaten Einlegern Entschädigung versprechen, sollte ein Institut die Grätsche machen. In Deutschland ist dieses Risiko zuletzt mit der Pleite der Greensill Bank schlagend geworden, was neben der Entschädigung nun eine Reform der deutschen Einlagensicherung nach sich zieht. Doch während die Risiken des deutschen und europäischen Sparers auf der Seite mit Sicherungsfonds gut abgedeckt erscheinen, so stehen sie doch vor dem Problem, dass sie für ihre Einlagen Null- oder Negativverzinsung erhalten, während die Banken über die Refi-Geschäfte (TLTRO) der EZB einen Ausgleich haben. Und wo bleibt da der Ausgleich für Retail-Anleger? Der wird zusätzlich mit steigenden Gebühren konfrontiert, da es sich die Banken mit Nivellierung des Zinsniveaus – und des Wegfalls der verzinsten Übernacht-Fazilitäten, was TLTRO ja kompensiert – nicht mehr die Quersubventionierung von Kontenkosten leisten können. Doch wie ließe sich mit Hilfe des Narrow Banking die Situation des Privatanlegers verbessern?

Kreditverknappung

Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass es sich keinesfalls um nutzloses akademisches Geschwätz handelt, wenn man Aspekte des Narrow Banking zu Rate zieht – das demonstrieren die eingangs erwähnten historischen Beispiele. Zum anderen ist klar, dass eine breitflächige Einführung des Narrow Banking eine immense Kreditverknappung zur Folge hätte, wären langfristige Ausreichungen doch kaum mehr möglich. Eine solche Degrowth-Strategie könnte bestenfalls mit einem äußerst langfristigen Phase-in durchgeführt werden – aber selbst dann wären die Verwerfungen enorm.

Dennoch gibt es einen Aspekt des Narrow Banking, der praktikabel ist und der die Rechte der Retail-Seite stärkt. Die Rede ist von einer Pflicht zur Einführung der Verzinsung von Depositen, die von Banken zur Kreditvergabe genutzt werden. Dies wäre dann nur noch mit der ausdrücklichen Erlaubnis der Privatanleger möglich, die dann voll und ganz das Ausfallrisiko ihrer Einlage zu tragen hätten. Aber das würde ja verzinst – und dann würden sich Risiko und Haftung endlich mal wieder im Einklang befinden, ohne dass allerorten Sicherungstöpfe notwendig wären. Und der Retail-Seite bliebe natürlich die Option, ihre Gelder risikoavers zinslos bei Banken zu parken, die diese Reserve entweder in Cash halten oder bei den Notenbanken einliefern. Diese Gelder werden in der Regel verzinst, was zum Grundstock der risikolosen Einnahmeseite einer Bank gehört und der Finanzierung des Geschäftsbetriebs dient – eine Banklizenz kriegt man aber nur, wenn man auch Risikointermediation betreibt, also zum Beispiel Staatsanleihen kauft – auch wenn diese regulatorisch, bezogen aufs Eigenkapital, risikofrei gestellt sind. Diese realitätsfremde Behandlung von Staatsanleihen stellt ein Grundübel im Finanzsystem dar, das zu allerlei Risikoverlagerungen führt bis hin zur monetären Staatsfinanzierung durch die EZB. Wobei es ja gerade die Verrenkungen der EZB sind, die zu Negativzinsen für Privatkunden und Bankeinlagen bei der Notenbank führen. In den USA erhalten Banken Vergütungen für ihre Einlagen bei der Fed, was zu Wettbewerbsverzerrung führt.

So kann es funktionieren

Als Vorschlag zur Güte sei ein Phase-in der risikogebunden verzinsten Depositen vorgebracht: So könnten zunächst 10% der lang- und kurzfristigen Ausreichungen dienenden Einlagen einer Geschäftsbank zwingend verzinst werden. Jede Einlagentranche ist als Investmentkontrakt mit entsprechenden Risikohinweisen versehen, sodass Verbraucher nicht ex post mit Klagen kommen können. Je nach Nachfrage von der Retail-Seite kann diese Quote über die Zeit hochgefahren werden. Was den Banken an (billigem) Funding verloren geht, das müssten sie sich an anderer Stelle besorgen. Dafür gibt es mehrere Optionen: Zum einen ließe sich auf Kapitalmarktfinanzierung zurückgreifen, was aber für die Institute kostspieliger wäre. Zum anderen können Banken sich Depositen über Plattformen verschaffen, wie es heute schon passiert. Dass auch Modelle der Direktfinanzierung in kleinerem Maßstab möglich sind, das zeigen Plattform-Modelle zur Immobilienfinanzierung, wo auch Projekte mit längerer Laufzeit finanziert werden, indem Kapitalgeber Informationen zum Risikogehalt eines Objektes erhalten und dann für sich beurteilen, ob die offerierte Verzinsung adäquat ist. Zur Working-Capital-Finanzierung können Supply-Chain-Plattformen genutzt werden – für eine solche Tranche würden Retail-Anleger dann eine äußerst geringe Verzinsung erhalten, geht es doch um kurzfristige besicherte Ausleihungen.

In diesem Sinne ließen sich die Nebenwirkungen zwingend verzinster Depositen modellieren, Daten dafür sind reichlich vorhanden. Dass Banken mit höheren Refinanzierungskosten konfrontiert wären, darf einen solchen Ansatz nicht verhindern, gibt es doch Instrumente, um das auszugleichen – am besten wäre eine Wiederaufnahme der Verzinsung von Bankeinlagen bei der Notenbank, das Bankenprivileg schlechthin. Und die Banken sollten sich einem solchen Modell nicht verschließen und es vielmehr selbst aktiv in Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Regulator vorantreiben. Denn wenn man an dieser Stellschraube dreht, dann erlebt das Marktrisiko nebst seiner Bepreisung eine Renaissance – und die Banken können wieder mit dem Handel von Marktrisiken am Spread ihr Geld verdienen.

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