WIRECARD UND DIE FOLGEN - GASTBEITRAG

Nebulöse Konzernstrukturen bei Wirecard

Börsen-Zeitung, 18.11.2020 Der Zusammenbruch von Wirecard hat viele Ursachen. Einer der Gründe für die höchst unglückliche Entwicklung soll das "undurchsichtige Geflecht zahlreicher Firmen" gewesen sein. Auch in anderen Fällen in jüngster Zeit gab...

Nebulöse Konzernstrukturen bei Wirecard

Der Zusammenbruch von Wirecard hat viele Ursachen. Einer der Gründe für die höchst unglückliche Entwicklung soll das “undurchsichtige Geflecht zahlreicher Firmen” gewesen sein. Auch in anderen Fällen in jüngster Zeit gab es solche spaghettihafte Konzernstrukturen. Gemeint sind die für Außenstehende nicht erkennbaren Konzernstrukturen, die dadurch bedingte nebulöse Governance, die undurchschaubaren rechtlichen Beziehungen zwischen den Konzerngesellschaften und die konzerninterne Finanzierung.Damit wiederholt sich, was man schon bei vielen früheren Insolvenzen sah. Der Markt, die Anleger und Gläubiger haben keine Möglichkeit, sich über die Konzernlage der Unternehmen zu informieren. Das Handelsregister berichtet nur höchst unzulänglich über die einzelne Konzerngesellschaft, nicht aber über die Konzernlagen, die Höhe der Beteiligungsverhältnisse und die Leitungsorganisation.Die in der Vergangenheit vorgebrachten Forderungen, das Handelsregister zum Konzernregister fortzuentwickeln, blieben bisher ungehört. Auch im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) vom Oktober 2020 findet man dazu nichts. Stattdessen haben im Markt Unternehmen das Sammeln und den Vertrieb entsprechender Informationen für teuer Geld zum Geschäftsmodell entwickelt. Die Erfahrungen sind nicht überzeugend.Da lohnt es sich nach Großbritannien zu schauen, wo derzeit die größte Registerreform seit 1844, dem Jahr der Einführung des Company Registers, vorbereitet wird. Ende September 2020 hat das Department for Business, Energy and Industrial Strategy die Ergebnisse einer Umfrage vom Mai 2019 über die gesellschaftsrechtliche Transparenz und die Registerreform sowie eine Stellungnahme hierzu veröffentlicht. Verbunden war dies mit der Diskussion der vier geplanten Reformschritte. Ziel der Reform ist die Sicherung der Richtigkeit der Registereintragung, eine weiter gehende Offenlegung unternehmensrelevanter Informationen und die Bekämpfung des Missbrauchs von Gesellschaften, einschließlich der Bekämpfung des “Phoenixing”, nämlich der kriminellen Kettengründung und anschließenden jeweiligen Liquidation von Unternehmen. Von Großbritannien lernenDer erste Absatz der geplanten Reform handelt von der weiter gehenden Offenlegung der wahren Identität der Organmitglieder und aller Personen mit beherrschendem Einfluss (“people with significant control”). Verlangt sei darüber hinaus eine Offenlegung der “beneficial owner”, also der wirtschaftlich Berechtigten. Offengelegt werden sollen auch alle “managing and controlling companies”, also alle beherrschenden und konzernleitenden Unternehmen. Offen ist bislang noch, in welchem Umfang auch Zwischenholdings künftig im Register aufzuführen sind.Der zweite Reformabschnitt zielt darauf, die Richtigkeit der Registereintragung abzusichern, und zwar insbesondere auch den Nachweis der Identität der geschäftsführenden Organmitglieder und der kontrollierenden Teilhaber. Der dritte Reformabschnitt greift ein Thema auf, das auch im deutschen Kapitalmarktrecht diskutiert wurde. Bezweifelt wurde nämlich, ob es Aktionären, die nach den Vorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes zur Offenlegung wesentlicher Beteiligungen verpflichtet sind, zumutbar sei, auch ihre Anschrift anzugeben. Zu befürchten sei, dass solche Aktionäre, wenn ihre Identität und ihre Anschrift bekannt würden, zum Opfer krimineller Handlungen werden könnten. Mit entsprechenden Erwägungen, vor allem dem Risiko, zum Opfer von Betrug und Identitätsdiebstahl zu werden, soll nach den Vorstellungen des englischen Gesetzgebers die Möglichkeit eingeräumt werden, persönliche Daten, angefangen beim Geburtstag bis hin zur Veränderung des Gender, aus dem Register entfernen zu lassen.Der vierte Abschnitt soll der verbesserten Aufklärung von kriminellen Handlungen dienen. Gedacht ist vor allem an eine verbesserte Zusammenarbeit der Behörden.Aus den Bemühungen, das englische Registerrecht zu reformieren, sollte man lernen und nach den Erfahrungen mit Wirecard die Chance ergreifen, auch das Handelsregister zum Konzernregister fortzuentwickeln. Uwe H. Schneider, Direktor des Instituts für Kreditrecht an der Universität Mainz