Neobank Doconomy legt CO2-Bilanzen offen
Von Björn Godenrath, Frankfurt
Irgendwo muss man ja mal anfangen, wenn es vorwärtsgehen soll, auch wenn der Weg zum Ziel noch im Nebel liegt. Und so begab sich Mathias Wikström 2015 mit der Gründung von Doconomy auf die Reise, den CO2-Ausstoß, der Zahlungsströmen zugrunde liegt, zu messen und zu kalkulieren, um die Klimabilanz des täglichen Handelns sichtbar zu machen. Das war drei Jahre bevor die Vereinten Nationen in ihrem Klima-Report offenlegten, dass wir die CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens die Hälfte reduzieren müssen, sonst werde die Schadstoffbelastung in der Atmosphäre unumkehrbar – womit dann der sogenannte Kipppunkt im Klima erreicht wäre.
Die Anstrengungen, das zu vermeiden, sind immer weiter erhöht worden, weil die Dringlichkeit von Maßnahmen immer breitere Akzeptanz findet. Umso besser, wenn man früh gehandelt hat, um seinen Beitrag zu leisten – so wie Wikström, der mit Doconomy eine eigene Banking-App nebst Banking-API für die Finanzindustrie entwickelt hat, die dem Nutzer direkt vor Augen führt, wie umweltschädlich eine Konsumausgabe ist. Wer also seinen Diesel betankt oder einen Müsliriegel im Supermarkt kauft, bekommt direkt die CO2-Bilanz der Transaktion angezeigt. Das schult das Bewusstsein und kann optional direkt mit Folgehandlungen kompensiert werden.
Dafür gibt es verschiedene Optionen. Zunächst liegt dem Dienst ein Tracking der Schadstoffemissionen zugrunde, das sich an dem sogenannten Aland Index orientiert. Diesen hatte Doconomy für die Bank of Aland entwickelt, er kalkuliert den ökologischen Fußabdruck von Gütern und Dienstleistungen, zunächst auf Basis von Thomson-Reuters-Daten. Mit der Weiterentwicklung des Datenbezugs von S&P Trucost wurde das auf die Standard-Doconomy-Kreditkarte (DO) gebracht, die jedem Bezahlvorgang eine CO2-Bilanz zuweist. Dabei machen Wikström und seine Mitstreiter gar kein Geheimnis daraus, dass es sich bei der Feststellung der ermittelten CO2-Bilanz teilweise um Schätzungen handelt, die aber aus mehreren Datenbanken gespeist werden, mit der Zeit immer mehr Datenpunkte erhalten und so die Realität immer besser abbilden können.
Dabei fungiere die eigene App „nur als Sandbox, um neue Features zu testen, die dann den B2B-Kunden per API verfügbar gemacht werden“, so Wikström. Rund 2 Milliarden Transaktionen werden pro Jahr mit Doconomy in der Payment-Wertschöpfungskette abgewickelt. Nordea, BNP Paribas, Klarna und Mastercard gehören zu den internationalen Kunden, die über Schnittstellen Doconomy einbinden. Aus Deutschland ist die OLB dabei, Mastercard ist schon seit 2018 bei Doconomy investiert, die eine cloudbasierte Lösung für den Datenverkehr entwickelt hat.
32 Banken sind heute über die APIs angebunden, Geld verdient Doconomy in ihrem B2B2C-Geschäftsmodell über Abogebühren für den Datendienst – wobei es Ermäßigungen gibt, wenn Banken darlegen, dass sie edukative Maßnahmen aufgesetzt haben, die wiederum über eine App „Tips & Tricks“ für Climate Hacks gemessen werden.
Nach 7 Mill. Euro Seed-Kapital führte Doconomy im September 2021 eine 17 Mill. Euro schwere Serie-A-Runde durch mit Commerzventures im Lead. Mit den frischen Mitteln will Wikström die internationale Expansion auf zehn weitere Länder beschleunigen – in zwanzig Ländern ist man vertriebsseitig schon vertreten. Für Wikström geht es jetzt darum, das nächste Level zu erreichen, indem die Emissionen von Unternehmen und ihrem Produktions- und Distributionspark gemessen werden. 6000 Marken würden für die Kalkulation ihres Emissionsprofils schon auf Doconomy zurückgreifen, sagt Wikström. Wichtig sei, dass zum einen Transparenz über die Emissionswerte hergestellt werde und dass die Methoden zur Kalkulation so gestrickt sein müssten, dass sich Vergleichbarkeit in den Daten ergebe – denn nur so könne man Emissionsdaten einen monetären Wert zuweisen.
Dabei hat Doconomy ihren Ansatz zur Verhaltenssteuerung um eine Premium-Karte erweitert, die genau das Gegenteil incentiviert als sonst üblich: Es wird nicht zusätzlicher Konsum belohnt, sondern ab einem gewissen Limit kann mit der „DO Black Card“ nichts mehr gekauft werden – denn das individuell eingestellte Limit an (über die Karte messbaren) CO2-Emissionen ist erreicht. Das ist dann eine Form von Selbstschutz und eine erzieherische Maßnahme, wenn man es visuell vor sich hat: Mein Verbrauch an Schadstoffemissionen ist für diesen Monat erreicht – und wenn das weit vor Monatsende stattfindet, muss man am eigenen Verhalten schrauben.
Dabei orientieren sich die „carbon limits“ an nationalen Werten, wie sie im Pariser Abkommen zum 1,5-Prozent-Ziel für 2030 vereinbart sind. Für Wikströms Heimat Schweden gilt Folgendes: Heute beträgt das durchschnittliche jährliche CO2-Emissionsvolumen einer Privatperson 19 Tonnen CO2, was gemäß Pariser Benchmark auf 791,5 Kilogramm pro Kopf sinken müsste, so eine Modellrechnung von Thales, die an der Herstellung der umweltfreundlichen physischen Kreditkarte beteiligt ist – es gibt keinen Magnetstreifen, weil ein solcher nicht mit biologisch abbaubaren Stoffen machbar ist. Alternativ lassen sich in Apps virtuelle Kreditkarten verankern.
Die Anstrengungen der grünen Pioniere animieren inzwischen auch die Oldtimer der Kreditkartenindustrie zur Nachhaltigkeit: So besteht die American Express Green Card zu 70% aus recyceltem Plastik, das aus dem Ozean gefischt wurde. Und 2020 wurde ein Recyclingdienst für die weltweit 115 Millionen Karten aufgelegt.
Bisher erschienen:
Paradigmenwechsel für die Finanzwirtschaft (26. Juli)