Neobroker mit Banking-Ehrgeiz
Von Björn Godenrath, Frankfurt
Die vor 14 Jahren von Timur Turlov gegründete Freedom Finance ist ein Unikum der europäischen Brokerage- und Neobanken-Szene. Mit Hauptquartier in Kasachstan hat man über die Holding den Sitz in den USA sowie eine Nasdaq-Notiz – was passend ist zum Gründungsgedanken: Denn mit ihrer Tätigkeit in osteuropäischen Staaten ist Freedom Finance darauf spezialisiert, für die dortige Bevölkerung den Zugang zu ausländischen Kapitalmärkten, insbesondere zu den US-Märkten, herzustellen. Den europäischen Markt geht man über eine zypriotische Wertpapierlizenz an, die Europa-Tochter unterliegt der Aufsicht der Börsenaufsicht der CySEC, und KPMG prüft die Bücher dort. Die Holding unterstehe der US-Aufsicht, erzählt Gründer und CEO Timur Turlov im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
In Deutschland ist man als Niederlassung im Passporting als Finanzvermittler unter dem Mifid-II-Regime unterwegs und bietet Retail-Brokerage an. Aktien, ETFs und Anleihen – bei „Freedom24“ gibt es das übliche Portfolio an Basisdienstleistungen für den Privatanleger. Dabei ist Freedom Finance noch ein kleiner Fisch im Teich der Neobroker: „In Europa haben wir bislang insgesamt rund 140000 Kunden, davon etwa 10000 im deutschen Brokerage.“ Da man grundsätzlich Handelsgebühren verlange und damit kein Gratisbroker sei, werde Payment for Order Flow nur selten genutzt, die punktuelle Vermarktung des Orderflow stelle für Freedom Finance nur eine kleine Zusatzeinnahme dar, so Turlov.
Für den deutschen Markt hatte Turlov sich schon einiges zurechtgelegt, aber nun muss er erstmal eine behördliche Genehmigung zur Restrukturierung des russischen Geschäfts abwarten. Den Frust über die Lage will der seit zehn Jahren in Kasachstan lebende Unternehmer gar nicht verbergen, es ist so, wie es ist. Das russische Geschäft sei unter den heutigen Bedingungen nicht mehr profitabel fortzuführen; Turlov will versuchen, es auf einen neutralen Ort zu übertragen oder an das Management zu verkaufen. Er selbst hofft, schon in Kürze die kasachische Staatsbürgerschaft zu erhalten, womit er den Malus des russischen Passes los wäre.
Herzstück von Freedom Finance ist die eigene Trading-Plattform, die als Basis für die weitere europäische Expansion dient. Turlovs Plan: Die mit Banking-Funktionalitäten ergänzte kasachische Plattform nach Europa tragen, sprich diese Ausweitung auf das Neobanking mit einer Bankenlizenz untermauern. In Kasachstan sei von den Behörden bis zum Finanzsektor schon vieles digital, da könne man auch schon volldigitale Immobilienkredite machen. „Wir wollen die kasachische Plattform nach Deutschland bringen. Wenn man Payment draufhat, ist es einfach, modular auch Investment-Produkte raufzubringen.“
Die Sache mit den Lizenzen wägt Turlov ab, sondiert die Optionen. Möglicherweise werde Freedom Finance eine Lizenz als E-Money-Institut auf Zypern beantragen, aber er präferiert eigentlich den Kauf einer deutschen Bank mit entsprechender Lizenz, bei der das Portfolio überschaubar sei und alle Systeme für Konten laufen. Als ausländisches Institut sei es fast immer besser, einen neuen Markt über eine lokale Bank zu erschließen, bei der alle notwendigen Prozesse schon laufen und man das dann über eigene Technologie skalieren kann.
Dabei ist Liquidität vorhanden: In der Holding habe man gut 300 Mill. Dollar an frei verfügbarem Kapital auf der Bilanz, berichtet Turlov. Für eine Akquisition habe man schon Institute auf dem Radar und gute Gespräche geführt – aber vor dem Hintergrund der geopolitischen Lage und dass Freedom Finance die Optionen für ihr russisches Geschäft noch ordnen muss, geht Turlov davon aus, dass man Verhandlungen für einen Zukauf erst im kommenden Jahr wieder aufnehmen wird.
Obwohl die Aktie ganz schön verloren hat, beträgt die Marktkapitalisierung der Freedom Finance Holding immer noch 2,4 Mrd. Dollar. Für das letzte Quartal zeigte die Holding Einnahmen von 146 Mill. Dollar und erzielte einen Nettogewinn von 51 Mill. Dollar. Konzernweit führt man mehr als 400000 Brokerage-Kundenkonten.