Im Gespräch:Philipp Bulis, Oliver Wyman

Neobroker und ETF-Sparpläne lassen Brokerage wachsen

Der Ertragspool im deutschen Brokerage wächst stetig. Wenn das von Bundesfinanzministerium geplante steuerfreie Depot kommt, dann würde sich die Zahl der Selbstentscheider-Aktionäre verdoppeln, so der Oliver-Wyman-Berater Philipp Bulis im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Neobroker und ETF-Sparpläne lassen Brokerage wachsen

IM GESPRÄCH: PHILIPP BULIS

Neobroker und ETF-Sparpläne lassen Brokerage wachsen

Das vom Finanzministerium geplante steuerfreie Depot würde zu einer Verdoppelung der Aktionärszahl führen, erwartet der Berater von Oliver Wyman

Von Björn Godenrath, Frankfurt

Manchmal ist sogar der Experte überrascht: „Wir hatten gedacht, dass sich das Wachstum der Neobroker abschwächt. Aber für das erste Halbjahr 2024 zeigen unsere Daten, dass die Erträge der Anbieter weiter kontinuierlich ansteigen“, so der Oliver-Wyman-Partner Philipp Bulis im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Mit seinen Kollegen René Fischer und Marc Erath stellt er seit 2020 den „Online-Wertpapier-Brokerage“ Report zusammen.

Zahl der Wertpapierdepots wächst um ein Fünftel

Die Zahlen im 2024er-Report sehen so aus: Aggregiert kamen von Ende 2020 bis Juli 2023 mehr als 5 Millionen Wertpapierdepots in Deutschland hinzu, ein Plus von mehr als 20%. „Die Brokerage-Branche erzielt mittlerweile jährliche Erträge von knapp 2 Mrd. Euro, wobei fast 7 Millionen deutsche Anleger als Selbstentscheider agieren. Das Wachstum wird vor allem von Neobrokern und ETF-Sparplänen getragen“, so Bulis.

Der Zinsüberschuss steht inzwischen für 30% der Erträge im Markt. Das hat erheblich zur Diversifizierung der Einnahmen beigetragen.

Philipp Bulis

2023 entfielen schon 40% der Transaktionen auf Neobroker. Wobei der Boom der ETF-Sparpläne eine Downside hat: „Die Sparpläne werfen kaum Erträge ab und rund ein Drittel der Transaktionen geht auf Sparpläne zurück. Dafür steht der Zinsüberschuss inzwischen für 30% der Erträge im Markt. Das hat erheblich zur Diversifizierung der Einnahmen beigetragen, denn 2019 fuhren die Anbieter ihre Erträge noch nahezu ausschließlich über Provisionen ein.“

Ringen um Kickbacks im beratungsfreien Geschäft

Was außerdem auf der Einnahmeseite hilft: Die Broker haben in der Regel Vereinbarungen mit den Banken und Fondshäusern, die Anlageprodukte entwickeln und über die Plattformen vertreiben lassen. Da gibt es dann pauschale jährliche Zahlungen, die schon mal mehrere Millionen Euro betragen können. Dem EU-Gesetzgeber sind solche Kickbacks aber ein Dorn im Auge – und auf Druck von Kickback-freien Ländern aus Skandinavien und den Niederlanden sah ein Gesetzentwurf der EU-Kommission zur „Retail Investment Strategy“ vor, dass solche Vereinbarungen bei beratungsfreien Geschäften (execution only) verboten werden sollen.

Mitte Juni hatte der Europäische Rat das sogenannte Provisionsverbot aber aus den Schlussverhandlungen für die Kleinanlegerstrategie herausgenommen, dafür jedoch steigende Anforderungen formuliert: Um zu dokumentieren, dass die Provisionen alle geltenden Regeln einhalten (wenige Beschwerden, Zielmarkt-Konformität, Ergebnisse aus internen Audits) müssen die Broker Bulis zufolge sogenannte „Inducement Tests“ durchführen. Das ist aufwändig und teuer.

Dieses Zuwendungsverbot hätte Broker im deutschen Markt hart getroffen. Für die stellen solche Zuwendungen oft 10 bis 20% ihrer Erträge dar.“

Philipp Bulis

Das ist aber eindeutig das kleinere Übel, sind die Einnahmen aus den Kickbacks doch nicht gefährdet. „Dieses Zuwendungsverbot hätte Broker im deutschen Markt, auf dem viele Derivate und Fondsprodukte gehandelt werden, hart getroffen. Für die Broker stellen solche Zuwendungen oft 10 bis 20% ihrer Erträge dar.“ Was allerdings bleibt, ist das Verbot von Payment For Order Flow (PFOF), das ab Mitte 2026 umzusetzen ist. Dieses hat Bulis zufolge einen vergleichbar hohen Umsatzanteil wie die Zuwendungen, wobei PFOF bei den Neobrokern sogar 20 bis 25% der Erträge ausmachen können.

Steuerfreies Depot hätte einen Turboeffekt

Was sich positiv auswirken würde, wäre das von der Bundesregierung geplante steuerfreie Depot. Noch ist aber unklar, ob dieses von Bundesfinanzminister Christian Lindner vorangetriebene Projekt in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Der Hebel für die Geldanlage-Branche wäre jedenfalls gewaltig. „In den skandinavischen Ländern hat sich schon gezeigt, was das für einen Schub bringt. Ich schätze, die Zahl der Selbstentscheider-Depots in Deutschland könnte sich mit einer solchen Gesetzgebung auf 13 bis 14 Millionen verdoppeln“, so der Oliver-Wyman-Experte.

Neobroker haben sich schon in Europa ausgebreitet

Dabei haben die deutschen Neobroker längst eine erstaunlich große europäische Abdeckung erreicht. Dem Brokerage-Report zufolge ist Trade Republic mit mehr als 4 Millionen über einige Länder verteilte Depots europäischer Spitzenreiter vor der ING mit gut 3 Millionen befüllten und aktiven Konten. FlatexDegiro ist mit 2,8 Millionen Kunden die Nummer Drei. Dann folgt mit Etoro (2,6 Millionen) ein aus dem Krypto- und CFD-Sektor stammender Anbieter. Die ebenfalls auf den Krypto-Handel spezialisierte Bitpanda wurde per Ende 2023 mit 1,8 Millionen aktiven Depots gewertet – und die Österreicher vermeldeten Ende Juni, im Zuge der Bitcoin-Erholung brutto 5 Millionen Kunden erreicht zu haben. Scalable Capital befindet sich mit 0,6 Millionen aktiven Kunden (Stand August 2022) im hinteren Mittelfeld – dürfte sich aber auch weiter nach vorne arbeiten können.

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