PARADIGMENWECHSEL - KÖPFE DES JAHRES

Netzwerkerin

lee - Das Herz der Kreditwirtschaft schlägt in Frankfurt, aber die Einhörner grasen in Berlin. Um in der Gründerszene nicht ganz den Anschluss an die hippe Hauptstadt zu verlieren, gönnt sich Hessen seit gut einem Jahr mit Kristina Sinemus eine...

Netzwerkerin

lee – Das Herz der Kreditwirtschaft schlägt in Frankfurt, aber die Einhörner grasen in Berlin. Um in der Gründerszene nicht ganz den Anschluss an die hippe Hauptstadt zu verlieren, gönnt sich Hessen seit gut einem Jahr mit Kristina Sinemus eine eigene Digitalministerin. Nach dem ersten Jahr im Amt blickt die parteilose Ministerin auf eine steile Lernkurve zurück.Schon bald nach ihrem Amtsantritt musste die außer mit einem Professorentitel auch mit vielen Jacketts in leuchtenden Rottönen ausgestattete Sinemus lernen, den Spott der Opposition wegzustecken. “Königin ohne Land” betitelte man sie etwa, weil das von ihr geführte Ministerium zunächst provisorisch in der Staatskanzlei untergebracht ist. Doch was zählt Betongold schon, wenn man in der Start-up-Szene unterwegs ist? Die politische Seiteneinsteigerin, die lange eine Kommunikationsagentur führte und sich ehrenamtlich in der IHK Darmstadt Rhein Main Neckar sowie im Wirtschaftsrat Hessen engagierte, lässt den Spott über die unangemessene Bleibe abperlen. Immerhin haben selbst Garagen schon tolle Gründungen hervorgebracht.So richtig weht ihr erstmals im Sommer der Gegenwind ins Gesicht, als sie mit Landtagsabgeordneten, Unternehmensvertretern und Wissenschaftlern eine Delegationsreise nach Israel unternimmt, um zu netzwerken und sich von der dortigen Hightech-Community inspirieren zu lassen. Wegen des mitreisenden AfD-Landtagsabgeordneten Dimitri Schulz sagt nicht nur die Hebräische Universität in Jerusalem ein geplantes Treffen ab, auch die israelische Regierung sieht von einem offiziellen Empfang ab, und weitere Termine werden zusammengestrichen oder ganz von der Agenda genommen. Die 56-Jährige nimmt es gelassen. Immerhin ist sie nicht selbst der Stein des Anstoßes – und den AfD-Mann hätte sie ohnehin nicht an der Mitreise hindern können. Da stellt sie doch lieber die vielen erfolgreichen Gespräche heraus.Doch anlässlich derselben Reise gerät auch die Ministerin selbst in die Kritik. Sinemus, deren Nachname lateinischen Ursprungs ist und sich mit “wir werden zulassen” übersetzen lässt, hängt ein Wochenende in Tel Aviv an die fünftägige Reise dran und rechnet die Übernachtungen im Luxushotel dienstlich ab. Ein Vorgehen, das ihr die Opposition partout nicht durchgehen lassen will. Schließlich übernimmt sie 760 Euro für die Hotelübernachtungen und 73 Euro für Taxifahrten selbst, beharrt aber ein wenig bockig darauf, dass die Verlängerung einen dienstlichen Charakter gehabt habe.Aus Sicht der politischen Kommunikation ist da noch Luft nach oben. Aber auch noch mindestens drei weitere Gründe sprechen dafür, dass sich das neue Jahrzehnt für Sinemus besser anlassen wird: ein Digitalbudget von immerhin 1,2 Mrd. Euro, die personelle Aufstockung ihres Ministeriums von derzeit knapp 70 auf 108 Mitarbeiter und das neue Behördengebäude, das sie mit ihrer Mannschaft im Frühjahr beziehen will.